Bochum. Shakespeares Mord- und Königsdrama „Macbeth“ radikal verschlankt und an der Grenze zur Parodie: Johan Simons erobert damit das Bochumer Publikum.
Die Zeit des Fremdelns scheint vorbei zu sein: Seit geschlagenen fünf Jahren bemüht sich Johan Simons am Bochumer Schauspielhausum die Gunst seines Publikums, er sammelt Preise und Tickets zum Theatertreffen wie kaum einer vor ihm, doch die Bochumer hadern hartnäckig mit den oft sperrigen Aufführungen des niederländischen Hausherrn. Bis jetzt: Simons‘ „Macbeth“ darf man als ein Meisterstück seiner Intendanz bezeichnen – und wohl auch als ein Durchbruch. Die Premierengäste im ausverkauften Haus jubeln wie entfesselt. Mit fast zehnminütigen stehenden Ovationen bedanken sie sich bei dem fulminanten Darstellertrio und seinem Regisseur, der in T-Shirt und Turnschuhen mindestens zehn Jahre jünger aussieht als die 76 Jahre, die er alt ist.
Dabei wagt Simons eine Menge, und längst nicht jedes Detail dieser tollkühnen Shakespeare-Aneignung wirkt schlüssig. Größter Coup ist die Besetzung: Die blutrünstige und vor allem überaus personenreiche Tragödie kommt mit nur drei Schauspielern auf die fast leere Bühne. Jens Harzer, Marina Galic und Stefan Hunstein teilen sich geschwisterlich sämtliche Rollen – und zeigen eine gewaltige Spiellaune, vergnügt wie Kinder im Sandkasten, dabei jederzeit zu einer Schand- und Schmunzeltat bereit. Eine solch exquisite Darstellerriege kann längst nicht jedes Theater aufbieten, Bochum schon.
Ein „Macbeth“ mit Jens Harzer, der verwirrend für Shakespeare-Laien sein könnte
So kommt es während des rund dreistündigen Spiels (mit einer Pause) zu manch kuriosen Begebenheiten. Ganz wie es im Buche steht, plant der verschlagene Macbeth den Mord an dem schottischen König Duncan. Doch weil Jens Harzer gleich beiden Rollen trockenen Witz verleiht, muss er sich gewissermaßen selbst erdolchen. Mit Krone auf dem Haupt liegt er als Duncan blutüberströmt auf einer Matratze, nur um Sekunden später als Macbeth (ohne Krone) erneut zum Stich anzusetzen. Das könnte völlig albern aussehen, würde es nicht von Jens Harzer gespielt, der solch blitzschnellen Rollenwechseln unnachahmlichen Charme verleiht.
Diese Art des energischen Zugriffs birgt allerdings größere Gefahren. Die erste: Shakespeare-Laien im Saal haben mitunter Mühe, den wild wechselnden Reigen sinnfällig auseinanderzuhalten. Hier sei zuvor ein Blick ins Reclam-Heft oder zumindest den Schauspielführer empfohlen. Viel schwerer wiegt: Eine Differenzierung der Figuren, ihrer Handlungen und Motive sind nur schwer auszumachen. Lady Macbeth besitzt nur so lange jene Eiseskälte, für die sie berühmt geworden ist, bis Marina Galic schon wieder aus der Rolle tritt, um als Banquo mit angeklebtem Schnäuzer eine völlig andere Gestalt zu verkörpern. Das ist zweifellos virtuos gespielt, opfert aber auch einige Tragik und Tiefe, die „Macbeth“ zum puren Horrorstück werden lässt.
Stefan Hunstein ist die einzige Konstante der Aufführung
Einzige Konstante der Aufführung ist Stefan Hunstein, dem die Ehre zuteilwird, nicht mehr als eine der Hexen zu sein. Dafür trägt eine lange Hippie-Mähne über dem korrekt sitzenden Anzug und schleicht wie eine falsche Schlange durch die nüchtern gehaltene Szenerie von Nadja Sofie Eller, die ein abgetakeltes Schwimmbad mit leeren Becken zeigt.
Ständig kauert Hunsteins Hexe genau dort, wo eigentlich am wenigsten Platz ist, mitten zwischen den Königen, Feldherren und ihren rachsüchtigen Ladys. Bei jeder Gräueltat, von denen es bekanntlich einige gibt, zückt er eine Dose mit Theaterblut und gießt sie sorgsam auf die Opfer. „Was bist du bloß für eine rätselhafte Schwester“, stöhnt Macbeth, ehe sich alle am hinteren Bühnenrand waschen und einen neuen Anzug überziehen. Bereit für die nächste Schlacht.