Dortmund. Kinder an die Macht - im Museum am Ostwall „Kopfüber in die Kunst“ ist für die ganze Familie. Das Besondere: Die Jüngsten führen!
Die andächtig in Monets Seerosenteich Badenden, die vor einem Picasso gottesfürchtig Erstarrenden, sie sollten wohl besser draußen bleiben. Draußen vor der Tür der sechsten Etage im Dortmunder „U“. Es gibt durchaus große Kunst hier, aber sie ist auf entwaffnend charmante Weise in Kinderhand. Die dürften vor Freude einen Purzelbaum schlagen. So heißt die Familienausstellung des Museums denn auch: „Kopfüber in die Kunst“. Der sperrige Untertitel ist wohl erst ab 18: „Vom Environment zur Immersion“.
Bis Ende August: „Kopfüber in die Kunst“ in Dortmunf
Es gibt reichlich Kindermuseen, es gibt Museen für Große mit Alibi-Spielecken für den Nachwuchs im Schlepptau. Aber wie im Fall des Museums am Ostwall (im „U“ beheimatet) seriöse Kunst in die Hände kundiger Dreikäsehochs gelegt wird, das ist schon ziemlich außergewöhnlich – und außergewöhnlich gelungen. Denn hinter Mia, Paula, Samson, Andrea, Benjamin, Malie und den anderen liegt ein kleines Trainingslager (ein Interview dazu finden Sie hier). In den Osterferien haben die Expertinnen vom Museum aus ihnen: „Kinderkunstscouts“ gemacht.
„Kopfüber in die Kunst“: ln Dortmunds „U“ werden Kinder Kunst-Scouts
Was das sein soll? Eine Führungskraft im besten Alter! Ein Kind, das anderen erste Schritte in die (abstrakte) Kunstwelt schenkt und ihnen vor allem zeigt: Ich bin eine(r) von Euch. Womit der übliche Blick bei Kunstführungen von den Kleinen nach oben schon mal entfällt: Er findet in Dortmund auf Augenhöhe statt. Es sei denn, man zählt zu den Erwachsenen. Die dürften an der Schau auf ihren rund 900 Quadratmetern dennoch kaum weniger Spaß haben.
Listig das Kuratoren-Duo Viktoria von Pidoll und Michael Griff: Sie kommen nicht mit Kinderklischees. Sie fahren richtig starke Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf. Die Klammer: Alle sind üppig „raumgreifend“, alle von ihrer Schöpfung an zur Begehung gemacht. Die rosarote Höhle etwa, für die Ferdinand Spindel 1969 rund 1000 Quadratmeter Schaumstoff verbaut hat. Dem „Schaumraum“ folgt beim Rundgang Marinella Pirellis „Film Ambiente“: Dort werden wir en passant zu Kino-Flaneuren, Teil des Endlos-Streifens, unter dessen Flimmern wir verführerisch labyrinthische Gänge durchschreiten. Wer in Joon Moons „Chasing Stars in Shadow (2021) zur Laterne greift, scheucht lichtscheue Geschöpfe durch den Saal: unheimlich, schön!
Daten, Karten, Führungen
Die Schau im Dortmunder „U“, Leonie-Reigers-Terrasse, ist bis 25. August zu sehen.
Di/MI/SA/SO 11-18h. DO/FR 11-20h. Eintritt 9€, erm. 5€. Tel.Info: 0231-5024723
Führungen gibt es vor allem an den Wochenenden, oft mit den Kinderscouts, es können aber auch reine Erwachsenenführungen besucht (und gebucht) werden. Außerdem gibt es bis Ausstellungsende ein üppiges Veranstaltungsprogramm von der Lesung bis zum Bastel-Workshop. Alle Infos unter dortmunder-u.de/event/kopfueber/
Es ist „Kopfüber in die Kunst“ ein Ort ohne „Psst!“, ohne strenge Blicke, weil jemand Lust hat, kurz zu toben oder mal ganz nah ran zu gehen an ein schönes Bild. Kaleidoskopscheiben bitten um Zugriff, Buntstifte baumeln von den Wänden: Was zu tun, ist ausdrücklich erwünscht, vor allem sollen sich alle hürdenfrei wohlfühlen, für die Malerei Neuland ist. Schild am Eingang: „Lasst Euch in die Sitzsäcke fallen, macht es Euch hier richtig gemütlich...“ Apropos Schilder: Jeden Raum leitet eine zweisprachige Einführung ein: eine erwachsen, eine kindgerecht.
Wird das die erhoffte Brücke bauen? Eine von der Sorte, auf der die kleine Kundschaft in zehn Jahren ins seriöse Fach wechselt? Auch hier halten die Gastgeber ein cleveres Scharnier bereit. Studenten der Fachhochschule Dortmund (Master Szenografie und Kommunikation) haben einen der großen Kunstschätze des Hauses spielerisch in einen Erlebnisraum übersetzt: In August Mackes „Großer Zoologischer Garten“ werden hier greifbar die Gehege geöffnet. „Un/fenced“ (nicht eingezäunt): Vor uns ein Urwald im Dämmerlicht, die „Bäume“ sind mannsdicke Röhren, mit Fell bespannt. Greift man kräftig zu, brüllen aus ihnen Leoparden, kreischen Affen, trompeten Elefanten. Wer das schweigende Original sehen will, wechselt einfach die Etage.
Aber nicht nur wegen des kunstgedüngten Moosbodens dieser Wildnis schließt man die Ausstellung ins Herz. Vielmehr, weil sie eine zentrale Eigenschaft künstlerischer Schöpferkraft wundersam leicht hochleben lässt: Das Tummeln auf der Spielwiese ungebremster Kreativität. Ganz gleich, wie alt jemand ist.