Essen. Filmstart: Eine böse Satire aus dem Iran und ein neuer Film von Woody Allen, der diesmal raffiniert dem Psychothrill huldigt

Irdische Verse - Kafkas Mühlen mahlen auch in Teheran

Ein Mann kommt zum Meldeamt. Er hat sich gut vorbereitet. Alle nötigen Dokumente und Quittungen zum neugeborenen Sohn hat er dabei. Zuletzt dann nur noch die Frage, wie das Kind heißen soll. David! Das ist der Startschuss für einen Dialog darüber, ob solches im Iran überhaupt zulässig ist. Die Behörde gibt sich eindeutig. Ein solcher Name kann nicht erlaubt werden, weil er eine fremde Kultur propagiert.

So oder ähnlich gestalten sich auch die anderen acht Gesprächssituationen, in denen ein Mann oder eine Frau mit einer Person konfrontiert wird, die am längeren Hebel sitzt und das weidlich ausnutzt.

Böse Satire: „Irdische Verse“ führt in ein Teheran seltsamer bürokratischer Wirren.
In der Szene „Stadtzerstörung“ sieht der hundertjährige Mann (Ardeshir Kazemi) die Apokalypse herannahen.
Böse Satire: „Irdische Verse“ führt in ein Teheran seltsamer bürokratischer Wirren. In der Szene „Stadtzerstörung“ sieht der hundertjährige Mann (Ardeshir Kazemi) die Apokalypse herannahen. © Neue Visionen Filmverleih | HANDOUT

Ob ein Mädchen einen vorschriftsmäßigen Aufzug für eine religiöse Verpflichtungszeremonie gekauft bekommt, eine Schülerin wegen vorgeblich ungeziemenden Verhaltens zur Rektorin zitiert wird, ein Mann oder eine Frau in zunehmend erniedrigende Vorstellungsgespräche geraten, jemand die versprochene Erlaubnis zum Führerschein oder die Freigabe eines Drehbuchs einholen möchte oder den Verbleib eines abgeschleppten Autos oder beschlagnahmten Hundes klären möchte – in allen Fällen beißen die Bürger auf Granit, werden ihre Anliegen in Behauptungen ertränkt, mit Verdächtigungen und Verdrehungen wegdiskutiert.

In ihrem aus acht Sketchen bestehenden Satireprogramm wider staatliche Willkür und menschliche Niedertracht in den Büros und Amtsstuben der iranischen Hauptstadt Teheran entfesselt das Filmteam Ali Asgari und Alireza Khatami ein Feuerwerk des absurden Humors. Aber mit fortschreitender Spielzeit wird auch klar, welch bittere Wahrheit hinter der ständig sich wiederholenden Struktur der Geschichten lauert. Man denkt an Kafka. Vereinzelt sind Situationen zu kalkuliert auf witzige Pointe hin geschrieben, in der Mehrheit aber dominiert die satirische Entlarvung einer sich selbst genügenden Machtdynamik. Der Trost kommt zum Schluss, denn das letzte Wort hat buchstäblich der Koran. Einer muss ja aufräumen.

Ein Glücksfall: Mit Woody Allen in Paris

Kunsthändlerin Fanny und der etwa zehn Jahre ältere Geschäftsmann Jean sind ein schickes Ehepaar in der gehobenen Pariser Gesellschaft. Die zufällige Begegnung mit dem ehemaligen Schulfreund Alain weckt Fannys romantische Bedürfnisse. Immer öfter sucht sie den angehenden Dichter in seiner Mansarde auf, während Jean (gefährlich smart: Melvil Poupaud) seine Lust an der Kontrolle auszuspielen beginnt. Als Alain plötzlich spurlos verschwindet, wittert Fannys Mutter Camille (Valérie Lemercier als graue Maus mit Brille) Ungeheuerliches.

Guter Film mit doppeltem Boden: Woody Allens „Ein Glücksfall“  ist auch eine Mordsgeschichte von kalter Eleganz. Donnerstag kommt sie ins Kino.
Guter Film mit doppeltem Boden: Woody Allens „Ein Glücksfall“ ist auch eine Mordsgeschichte von kalter Eleganz. Donnerstag kommt sie ins Kino. © ©2022 Gravier Productions | Thierry Valletoux

Woody Allen hat es noch nicht verlernt. In seiner 50. Regiearbeit transformiert er die Riten und Sprechblasen der New Yorker Bohème mühelos ins Pariser Pendant und lässt unter der blasierten Oberfläche finstere Charakterzüge aufkochen. Der Mannequin-Appeal der Hauptdarstellerin Lou de Laâge erfüllt alle heimlichen Erwartungen an französische Pikanterie, der Mordplot entfaltet sich in kalter Eleganz und stets zwinkert Woody Allen schelmisch, wenn er die Erwartungen seines Publikums in trügerischer Sicherheit wiegt. Das eine sei verraten: Der Titel ist absolut ernst zu nehmen.