Düsseldorf. „Size matters“ – auf die Größe kommt es an: Eine Ausstellung in Düsseldorf fragt erstmals nach Größenverhältnissen in der Fotografie.

Eine Gesichtslandschaft – das sagt sich so leicht. Man kann sie aber auch herstellen, mit den Mitteln der Fotografie. So wie Thomas Ruff in seiner Porträtserie. Die Fotografien vergrößerte er derart, dass das Foto kein Porträt mehr zeigt, das Identität widerspiegelt oder Erinnerungen hervorruft, sondern es schafft, dass sogar etwas Sinnlich-Konkretes wie ein Antlitz nur durch schiere Größe fremd zu werden droht.

Es kommt eben doch auf die Größe an. „Size matters“ also heißt die Ausstellung im Kunstpalast Düsseldorf, die erstmals eine besondere Eigenschaft der Fotografie zum Kernthema macht: Fotokunst ist in einer Hinsicht beliebig, denn die Größe des Werkes ist prinzipiell veränderbar. Von raumfüllend bis zum Taschenformat, vom neudeutschen „Thumbnail“, dem Daumen(nagel)kino im Smartphone, über das Pocketformat bis zum Poster.

Linda Conze: „Größenwechsel nehmen wir beinahe nicht mehr wahr“

„Diese Größenwechsel nehmen wir beinahe nicht mehr wahr. Dabei ändert sich das Werk je nach Größe und dem Kontext, in dem es verwendet wird“, sagt Kuratorin Linda Conze, gleichzeitig Leiterin der fotografischen Sammlung im Haus. Als Beispiel nennt sie Kathrin Sonntags Arbeit „Dinge im Hintergrund“.

Im Original ist das Werk 110×75 cm groß, zeigt einen riesengroßen Apfel vor einem Baum in natürlicher Größe. Oder ist es umgekehrt? Der Apfel ist originalgroß, aber der Baum miniaturisiert? Wer sich die Körnung des Bildes genau anschaut, kann das Rätsel lösen: Der Apfel wurde fotografiert vor dem Foto des Baumes.

Im Kunstpalast in Düsseldorf: Kathrin Sonntags „Dinge im Hintergrund #4“, 2022, mit dem Apfel vor einem Baum-Foto.
Im Kunstpalast in Düsseldorf: Kathrin Sonntags „Dinge im Hintergrund #4“, 2022, mit dem Apfel vor einem Baum-Foto. © Courtesy Kadel Willborn, Düsseldorf | Kathrin Sonntag

Sei es drum: Hängt Sonntags Arbeit an der Museumswand, ist es Kunst. Wird das Bild, deutlich vergrößert, draußen als Poster aufgehängt, ist es Werbung. Und verkleinert auf der Einladungskarte ist es so etwas wie ein Farbtupfer und eine dezente Hinführung ins Thema.

„Wie bastelt die Fotografie am Maßstab der Welt herum?“, fragte schon Susan Sontag. Leichter zu beantworten ist die Frage: Seit wann? Nämlich von Beginn an. Der Direktabzug, bei dem der abgebildete Gegenstand direkt auf das Fotopapier belichtet wird, mag am authentischsten sein, wenn es um die reale Größe geht. Andererseits: Welche Fotografie ist authentischer als der meist winzige Kontaktabzug?

Katharina Sieverdings Riesen-Werk „We have friends...“

Vom kleinsten, zwei mal drei Zentimeter messenden Bild des Föhrenspinners von 1856 bis hin zum drei mal 3,75 Meter messenden Werk von Katharina Sieverding „We have friends all over the world“ reicht die Palette, die den Betrachtenden zum verkniffenen Hinsehen der Miniatur vor der Nasenspitze genauso verleitet wie zum weiten Zurücktreten, wenn es darum geht, in einer gigantischen Pixelwand dem Auge doch noch das Zusammensetzen einer Struktur zu ermöglichen.

In einigen Räumen ist die Ausstellung erfreulich weit weg von der reinen Bildergalerie: Ein „Fotoalbumzimmer“ zeigt die leicht sepiagebräunte Welt unserer aus der Mode gekommenen Bilderwelten. In zwei Räumen können sich Besucher und Bilder spiegeln in den millionenfach vergrößerten Silbergelatine-Bildstückchen, die Simon Starling als „Nanjing Particles“ – mit dezenter Anspielung an Jeff Koons – in den Raum gestellt hat.

Verloren in der Bilderflut: Mit der Arbeit von Evan Roth „Since you were born“ werden die Besucher aus der Ausstellung entlassen. Er hat alle Fotos ausgedruckt, die sich am Tag der Geburt seiner Tochter im Computer fanden.
Verloren in der Bilderflut: Mit der Arbeit von Evan Roth „Since you were born“ werden die Besucher aus der Ausstellung entlassen. Er hat alle Fotos ausgedruckt, die sich am Tag der Geburt seiner Tochter im Computer fanden. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Am Ende ertrinken wir dann doch in der Bilderflut: Am Tag der Geburt seiner Tochter 2019 hat Evan Roth ausgedruckt, was er beim Gang durchs Internet in seinem lokalen Computerspeicher an Bildern fand. Die Fotografien tapezieren einen ganzen Raum vom Boden bis zur Decke. Selbst im Postkartenformat.

Die Ausstellung indes beweist, dass selbst aus den täglich milliardenfach neu entstehenden Fotografien immer noch Kunst entstehen kann. So wie bei den Bildern von Handy-Displays von Morgaine Schäfer. Es kommt halt auf die Größe an. Und auf die Distanz – und damit den Standpunkt – beim Betrachten.

Zwei Drittel Kunstpalast, eine Prise Folkwang

Der Kunstpalast hat die Ausstellung zu knapp zwei Dritteln aus dem eigenen Bestand bestückt. Mit einem obligatorischen Riesen-Gursky unter anderem, der einem bei „großen Fotografien“ natürlich als erstes in den Sinn kommt. Auch die Fotografische Sammlung des Museums Folkwang hat etliche Arbeiten beigesteuert, neben diversen Ruff-Porträts sind darunter die ins Riesenhafte vergrößerten Löffel, Schrauben und Bohrer von Patrick Tosani.

Am Beispiel von Andreas Gursky, gezeigt wird hier das Wimmelbild eines Madonna-Auftritts von 2011, wird klar: Hier ist die Größe wirklich entscheidend für die Wirksamkeit und die Erkennbarkeit. Selbst auf dem Riesenwerk ist Madonna mal gerade 13 Zentimeter groß. Kein Bild, das man seinerzeit im Drogeriemarkt in 9x13 nachbestellt hätte.

Wer übrigens die Bilder der Ausstellung im Katalog mit nach Hause tragen will, wird noch einmal mit dem Größenproblem konfrontiert. Neben diversen Texten zum Thema zeigt er auch die Fotografien in Originalgröße. Und wo das nicht passt, wie bei Gursky, Ruff und Co, gibt es „nur“ einen Ausschnitt.

Linda Conze, Leiterin der Fotografischen Abteilung des Kunstpalastes, hat die Ausstellung kuratiert. .
Linda Conze, Leiterin der Fotografischen Abteilung des Kunstpalastes, hat die Ausstellung kuratiert. . © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Keine Angst, hinten im Katalog (Distanzverlag, 116 Seiten, 92 Abbildungen, 29,80 Euro im Museum, 36 im Buchhandel) ist ein komplettes Werkverzeichnis mit allen Bildern in einem Format, das man eher unter „Briefmarkengröße“ abstempeln würde. Wenn einen die Ausstellung in Düsseldorf nicht einen differenzierteren Blick auf wahre Größe gelehrt hätte. Zu sehen bis zum 20. Mai 2024, di-so 11-18 Uhr, do bis 21 Uhr. 13 Euro, ab 22. Februar 16 Euro. Eintritt unter 18 frei.