Hamster fliegen in die Luft, Puppen landen im Klo, Teddys bleiben ein Leben. Kulturmenschen aus NRW über ihren schönsten Geschenke der Kindheit
Mein schönstes Weihnachtsgeschenk und warum es das war – oder nicht. Die Kultur-Prominenz an Rhein und Ruhr erinnert sich an Gaben der Kinderzeit
Der alte treue Fritz
„Mein schönstes Weihnachtsgeschenk heißt Fritz. Er ist 70 Jahre alt, hat eine etwas ramponierte Nase und trägt einen Norweger-Anzug aus Wolle. Ich bekam Fritz – ein altes Erbstück – zu meinem ersten Weihnachtsfest geschenkt. Der jahrelange Dienst als Kuscheltier hatte den Teddy reichlich mitgenommen. Seine Eingeweide aus Holzwolle wurden nur noch von ein paar Fäden zusammengehalten.
Also wurde für Fritz ein stramm sitzender Norweger-Anzug gehäkelt. Der hält Fritz seitdem in Form. Erinnern kann ich mich an das Weihnachtsfest natürlich nicht. Aber der treue Fritz hat mich seitdem nicht mehr verlassen und hat noch immer einen Platz auf meinem Sofa.“
Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
Kein Wunsch, aber das Schönste!
Ich habe schon als Kind Überraschungen gemocht. Nie habe ich nach Geschenken gesucht. Es wäre für mich schrecklich gewesen, ein Geschenk vor Heiligabend zu finden. Natürlich hatte ich Wünsche und habe mich sehr gefreut, wenn das passende Geschenk unter dem Baum lag. Aber etwas zu bekommen, das ich mir nicht gewünscht hatte und mich dann überrascht hat, war das Schönste.
Einmal bin ich mit einer Spiegelreflexkamera überrascht worden. Ich war etwa 14 Jahre alt. Die Kamera war, wenn ich mich richtig erinnere, gebraucht und natürlich analog. Das war ein tolles Geschenk! Ich habe die Kamera heute noch und über die Jahre viel mit ihr fotografiert. Ich halte mich für nicht besonders begabt, aber ich liebe die Fotografie als Kunstform. Das kommt sicher nicht zuletzt von dieser lange zurückliegenden Weihnachtsüberraschung.
Olaf Kröck, Intendant der Ruhrfestspiele
Als Papa sich was gönnte
Ob es das schönste Weihnachtsgeschenk war,es war auf jeden Fall das beeindruckendste. Mein Bruder und ich waren kleine Jungs und standen Heiligabend mit großen Augen vor einer Märklin-Eisenbahn. Es gab drei bis vier Lokomotiven, Personen und Güterzüge, sowie einen Einführungskurs.
Mein Vater beugte sich über die Gleisanlage, verdrahtete darunter die Kabel für die Signale und setzte alles mit dem Trafo in Bewegung. Mein Bruder und ich standen mit großen Augen daneben und uns wurde klar: Mein Vater hatte sich zu Weihnachten einen Wunsch erfüllt.
Max Raabe, Gründer des „Palastorchesters“
Eine ganze Welt im Kleinen
Ein Puppenhaus aus Holz, das meine wunderbare, liebe- und fantasievolle Mutter vollständig mit selbst lackiertem, blau-weißem Holzmobiliar ausgestattet hat. Eine ganze häusliche Miniaturwelt hat sie mir damit eröffnet und ich habe in der Folgezeit natürlich allerhand Ideen umgesetzt, was sich darin für Szenen zutragen würden...
Katrin Zagrosek, Intendantin des Klavier-Festivals Ruhr
Nach dem Hamster bloß Flops
Meine Eltern haben mir nie das geschenkt, was ich mir gewünscht habe. Zum Beispiel einen weiteren Hamster, weil die vorherigen meine Wurf- und Schnappübungen nicht überlebt haben. Ich kann bis heute nicht gut schnappen. Statt dessen habe ich Puppen bekommen (ich war nicht sehr erfreut) oder selbst gestrickte über der Unterhose zu tragende Überhosen. Das Grauen in Wolle. Mein Tipp: Schenkt euren Kindern, was sie sich wünschen. Hamster, Pferde, Katzen ausgenommen.
Gerburg Jahnke, Kabarettistin, Autorin, Regisseurin
>>> Wie Barbie unser Weihnachten verstopfte <<<
Heiligabend 1964. Ich bin zwölf, mein Bruder elf und meine Schwester neun Jahre. Ach ja, und Zottel der Pudelmischling ist auch dabei. Hinter der Wohnzimmertür singen die Wiener Sängerknaben aus der Musiktruhe. Papa öffnet die Tür. Wir dürfen rein. Thomas muss ans Klavier, ich greife mir die Blockflöte. Stille Nacht. Mama und Michaela singen.
Jedes Kind hat eine eigene Geschenke-Ecke unter der Tanne. Thomas packt einen kleinen Trecker aus, den man aufziehen kann, Michaela ein buntes Kinderbuch und ein Kleidchen und ich … eine Puppe. Sie sieht aus wie eine erwachsene Frau, hat einen Busen und lange blonde Haare. Mama erklärt, dass es sich um eine Barbiepuppe handelt, die aus Amerika kommt. Etwas ganz Besonderes. Ich hasse Puppen.
Gabriella Wollenhaupts Barbie bekam eine Glatze – bloß vom Kämmen
Eine Stunde später: Thomas lässt den Trecker durchs Zimmer fahren, Michaela trägt das neue Kleid. Ich sitze enttäuscht auf dem Sofa und kämme die Puppe. Nach und nach bleiben die langen blonden Haare im Kamm hängen. Barbie bekommt eine Glatze. Zottel spielt mit den blonden Fetzen.
Es ist Zeit für ein Familienfoto. Jeder soll sein Geschenk nehmen und sich vor die Kamera stellen. Papa montiert den Apparat auf ein Stativ und stellt den Selbstauslöser ein. Mama fragt nach Barbie. Mir wird heiß und kalt. Ich hole die Puppe, renne aufs Klo und drücke die Spülung. Weg ist sie. Ich behaupte, der Hund habe sie irgendwo versteckt.
Gabriella Wollenhaupt schrieb die berühmten Krimis um Maria Grappa
Später am Abend. Der Hauswirt klingelt. Das Abwasserrohr ist verstopft und im Erdgeschoss gibt es eine Überschwemmung. Ein Notdienst sei alarmiert. Der lässt sich aber Zeit. Zwei Tage ohne Klo und Wasser machen das Fest besonders anstrengend.
Als alles wieder abläuft geht der Hausbesitzer von Wohnung zu Wohnung – in der Hand die Barbie: Beine und ein Arm fehlen. Er fragt, ob jemand von uns die Puppe ins Klo geworfen hat. Papa und Mama schauen mich an. Sie verziehen keine Miene, während mir das Herz in die Hose rutscht. Dann weisen sie den Verdacht entrüstet von sich. Aber ich weiß, dass sie es wissen.
Wir haben nie wieder über diesen Heiligen Abend im Jahre 1964 gesprochen. Heiligabend 2019. Papa ist tot, Mama ist 87 Jahre alt und dement. Ich lege die Platte mit den Wiener Sängerknaben auf. „Weißt du noch?“, kichert sie plötzlich. „Was?“, frage ich. Sie lächelt schelmisch. „Vor 55 Jahren hast du diese hässliche Barbie im Klo versenkt.“ Wir haben noch viel Spaß an diesem Abend.
Gabriella Wollenhaupt ist Schriftstellerin und Malerin. Bestseller wurden ihre Dortmunder Krimis um „Maria Grappa“