Essen. „Transitmaus“, der jüngste Roman von Eva Sichelschmidt, entführt ins Berlin der 80er: Eine junge Frau aus dem Revier sucht Liebe, Sex und Drogen.

Mit ihrem zweiten Roman „Bis wieder einer weint“ stand Eva Sichelschmidt 2020 auf der Shortlist zum Literaturpreis Ruhr. Er schilderte das Wohl und Wehe einer Unternehmerfamilie aus dem Maschinenbau „am westlichen, grünen Rand des Ruhrgebiets“, wo auch Eva Sichelschmidt aufwuchs.

Der Drei-Generationen-Roman schilderte das schwierige Verhältnis eines Vaters, früh Witwer, Dressurreiter und an jungen Männern interessiert, zu seiner Tochter, die bei seinen Schwiegereltern aufwächst. Sie erkundet, wie ihre Eltern waren, bevor sie Eltern wurden.

Eva Sichelschmidt setzt die Geschichte der Familie Rautenberg fort

In ihrem dritten, zwischen kalter Ironie und pulswarmer Beobachtung erzählten Roman entwickelt Eva Sichelschmidt nun die Geschichte der Familie Rautenberg weiter: Die Firma ist pleite, der Patriarch kommt zusehends herunter, ein junger Gefährte namens Uwe übernimmt mehr und mehr die Kontrolle über ihn und seinen Besitz. Im Zentrum aber steht seine Tochter, nunmehr eine junge Frau, die 1988 während der Fahrprüfung auf dem Mittelstreifen der Autobahn den kleinen Bären mit der Aufschrift: „Berlin 500 Kilometer“ sieht.

Die heutige Bundeshauptstadt war damals noch jene Insel voller Wehrpflichtflüchtiger, Berlinzulage-Kassierer und Sonderlingen aller Art, die es seit den 70ern zu einem hoch subventionierten Biotop für Kreativität, alternative Lebensformen und Abenteuerlust gebracht hatte. Es ist das Berlin des „Herrn Lehmann“, wie Sven Regener es so verquasselt hat, nun aber aus den Augen einer jungen Heldin. Mit ihr betreten wir aber bald die Altbauwohnungen saturierter Bürgerskinder, die einen exaltierten Lebensstil zwischen Mixtapes und ausgiebigem Drogengebrauch pflegen – und für eine junge Frau aus dem Ruhrgebiet zu einer echten Attraktion werden.

„Transitmaus“ feiert die Tunichtgute – und nicht die Softies

Vor allem Falk, ein Tunichtgut mit großspuriger Attitüde, der sie magisch anzieht. Und auszieht. Mit „Softies“ wie Lutz aus ihrer Heimat kann die Heldin nur spielen, aber nichts Ernsthaftes anfangen. Also fährt sie bald jedes Wochenende nach Berlin. Anfangs noch mit Passagieren, die ihr die Mitfahrzentrale vermittelt hat, dann aber übersteht sie das herzrhythmus-artige „Dadam“ der DDR-Autobahn lieber allein.

Es ist dann aber Claudius, mit dem sie Falk betrügt und der „zwei grüne Weiße für meine Transitmaus und mich bestellt“ – nachdem sie mit ihm Spielarten des Sex kennengelernt hat, von denen sie nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Am Ende dieses Romans wird die Mauer fallen und der Vater fragen „Mäuschen, kannst du dich nicht um mich kümmern?“ Aber da hat sie gerade erst gelernt, sich um sich selbst, ihr eigenes Wohl und Wehe zu kümmern. Vor allem in Liebesdingen, körperlich wie seelisch, darum geht es in diesem Roman vor allem. Sie ist keine Maus mehr, und das mit dem Transit hatte sich dann ja auch erledigt.