Essen. „(Making) Woyzeck“ heißt das Spiel mit Georg Büchners Klassiker im Essener Theater. Die Regie zeigt ein Herz für Kämpfer, Groteske und Tanzspaß.
Das Schauspiel Essen hat eine neue Studiobühne, die Ada. Das kleine, flexibel bespielbare Raumtheater soll auch Platz für Experimente bieten. Georg Büchners „Woyzeck“ – nach dem frühen Tod des Schriftstellers Fragment geblieben – bietet dem jungen Regisseur Caner Akdeniz zur Einweihung das passende Spielmaterial für seine Fassung: „(Making) Woyzeck“.
Wie in einer Boxarena umringt das Publikum die Akteure, die hier frontal miteinander in den Clinch gehen. Akdeniz interessieren in seiner körperbetonten Inszenierung dabei nicht so sehr die moralischen Zwangslagen des gepeinigten Soldaten und medizinischen Versuchskaninchens, sondern dessen Befreiung aus der Opferrolle. Leider mündet der Abend am Ende in einem konfusen Filmszenen-Nachspielen, dessen parodistischer Wert sich für die Büchner-Deutung kaum erschließt, seine groteske Wirkung aber nicht verfehlt: Selten hat Büchners Tragödie wohl so viel Heiterkeit hervorgerufen wie an dem heftig beklatschen Premierenabend.
„(Making) Woyzeck“ von Caner Akdeniz ist sehr körperbetont
Die soziale Dimension des Stücks, die Ungerechtigkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, die das Handeln dieses gedemütigten Irrläufers bis zum Femizid bestimmen, rücken in den Hintergrund. Dafür zeigt Akdeniz ein Herz für Kämpfer. Wenn Sylvester Stallone als Boxerlegende Rocky Balboa über den Bildschirm flimmert (Video: Jonas Friedlich), weiß man, wie das Heldenbild des Regisseurs geprägt ist. Auch gestorben wird später filmreif wie in einem B-Movie, mit viel Blutgurgeln und großen Gesten. Nur die zentrale Tat, Woyzecks Ermordung seiner geliebten Marie, findet gar nicht statt.
Wobei die stark aufspielende Sümeyra Yilmaz ohnehin keine Frau ist, die sich das Messer aus der Hand nehmen lässt. Das bisschen Halsabschneiden übernimmt selbst, bevor sich der Abend in einem schrägen Szenennachspielen von Harry Potter-Zitaten, Titanic-Gesten und „König der Löwen“-Anleihen auflöst.
Caner Akdeniz nutz alle technischen Möglichkeiten und eröffnet eine Tanzfläche für alle
Wer die Vorlage nicht kennt, wird trotz Texttreue schon vorab Verständnisprobleme haben. Aber gespielt wird ja auch nicht Woyzeck, sondern ein „Making of“. Immerhin wird ein wenig aus dem Reclam-Heft vorgelesen und auf Neudeutsch übersetzt, bis auch dem drangsalierten Woyzeck schwant, dass es mit dem kleinen Glück des armen Mannes vorbei ist, weil seine Marie mit dem Tambourmajor „fickificki“ macht. Mansur Ajang spielt ihn mit animalischer Triebhaftigkeit – „Ich bin ein Bär“!“ – im scharfen Kontrast zu Eren Kavukoğlu, der sich als Woyzeck im Ring wie auf der Tanzfläche äußerst geschmeidig bewegt. Sven Seeburg als zynischer Doktor in Metzgerschürze (Kostüme: Emir Medic) und Stefan Diekmann als sardonisch-lächelnder Hauptmann mit machtgeiler Freude an der Nassrasur ergänzen das konzentrierte Ensemble.
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So ironiesatt und bisweilen klamaukig Akdeniz die Vorlage in seine Lesart übersetzt, so ernst nimmt er doch die Aufgabe, den neuen Bühnenraum, die Ada, mit seinen technischen Möglichkeiten und Publikums-Interaktionen zu nutzen. Die Zuschauer sind hier nicht nur nah dran, sondern immer wieder auch angesprochen. Woyzecks Platznachbar wird da unversehens zum Kameraden Andres. Und das Bühnenquadrat verwandelt sich zwischendrin in eine Tanzfläche für alle. Das von den Intendantinnen Selen Kara und Christina Zintl ausgerufene „neue deutsche Theater“ in Essen will eben auch partytauglich sein.
Tickets und Termine: Tel. 0201-8122-200 und www.theater-essen.de