Duisburg. Zum Auftakt der Ruhrtriennale 2023 inszenierte Intendantin Barbara Frey den „Sommernachtstraum“ von Shakespeare – ohne überzeugenden Regieansatz.

„Ich habe einen Traum gehabt“, grübelt Handwerker Zettel, der den von Puck verpassten Eselskopf wieder losgeworden ist, „es übersteigt den Geist des Menschen, zu sagen, was für ein Traum es war. Der Mensch ist nur ein Esel, wenn er sich daran macht, diesen Traum zu deuten.“

Auch Shakespeares Komödie „Ein Sommernachtstraum“ mit ihrer Durchdringung und wechselseitiger Bedingtheit dreier Welten – herrschende Klasse, das gemeine Volk, die irrationale Anderswelt – ist nicht abschließend zu ergründen.

Sommernachtstraum: Verwirrspiel um Wirklichkeit und Fiktion

Das Verwirrspiel um Wirklichkeit und Fiktion, das sich im Athener Wald für die jungen Liebespaare Lysander/Hermia und Helena/Demetrius zum Alptraum auswächst, nutzt Ruhrtriennale-Intendatin Barbara Frey, um eigene, nahe liegende Fragen zu stellen: Was lässt einen Menschen seine Gewissheiten und Gefühle hinterfragen? Wie kann aus Liebe Verachtung, aus Zurückweisung leidenschaftliche Zuwendung werden? Ist der Wahn mächtiger als die Wirklichkeit?

Wer gibt dem Menschen die Träume ein, denen er nachjagt; hat er noch einen freien Willen, oder wird er fremdgesteuert, und wenn ja, warum?

Quälend monotone Livemusik auf Keyboard oder Glockenspiel

Für Freys mit dem Ensemble des Wiener Burgtheaters entwickelten, vom Premierenpublikum in der ausverkauften Kraftzentrale des Landschaftsparks Duisburg euphorisch gefeierten Sommernachtstraum, hat Martin Zehetgruber zum Auftakt der Ruhrtriennale eine große Drehbühne installiert, die erst einen schmucklosen, funktionalen Flachdach-Bau ohne jede Palast-Anmutung zeigt. Drinnen planen Theseus (Markus Scheumann) und Hyppoyta (Sylvie Rohrer) ihre Hochzeit, klagt Egeus (Gunther Eckes), dass Tochter Hermia (Meike Droste) partout nicht den von ihm bestimmten Demetrius (Langston Uibel) heiraten, sondern mit Lysander (Marie-Luise Stockinger) durchbrennen will. Dazu erklingt verhaltene, oft quälend monotone Livemusik auf Keyboard oder Glockenspiel.

Von Anfang an ist klar: Man hört Shakespeare, aber man erlebt ihn so gut wie nicht. Dieses Musterbeispiel des fantastischen Theaters, dieses Zaubermärchen voller Poesie und Sinnlichkeit kommt in Freys Deutung ohne alles Derbe, ohne alles Grazile, ohne spielerischen Witz aus. Aus der Komödie ist eine Elegie geworden.

Das Tragische, das Trauernde, wird zum bestimmenden, auch dynamisch kaum einmal variierten Grundton, der auf alles und jeden abfärbt. Nicht nur auf die Liebenden Hermia und Lysander, die sich oft bewegen müssen wie ferngesteuerte, um Worte und Sprache ringende mechanische Puppen. Betroffen sind auch die Handwerker um Zettel, die normalerweise urkomisches Kernstück jeder Sommernachtstraum-Inszenierung sind und die nun über ihre geplante Aufführung der todtraurigen Geschichte um Pyramus und Thisbe nur sinnieren, aber auch nicht nur ansatzweise an der Umsetzung arbeiten.

Etwas zu viel an „Wokeness“ beim „Sommernachtstraum“ der Ruhrtriennale

Und auch der sonst quirlige, übermütige Puck (Dorothee Hartinger), der auf Geheiß Oberons mittels Zaubertropfen das nächtliche Beziehungschaos auslöst, ist im Grunde nur ein kleiner, botmäßiger Angestellter mit wenig Eigeninitiative.

Irgendwann dreht sich die Bühne, und man sieht keinen Wald, nur drei einsame Bäume und vier abgeladene Schrott-Autos. Holt sich die Natur verlorenes Terrain zurück, oder ist das unabänderlich Endzeit-Szenario? So oder so – die elegische Stimmung bleibt, wenn Frey bei den jetzt im Vordergrund stehenden Geschichten um das zerstrittene Elfen-Königspaar Titania und Oberon auf die aktuelle Gender-Karte setzt. Mal mehr, mal weniger deutlich.

„Sommernachtstraum“ in Duisburg mit gleichbleibend düster-grauer Atmosphäre

Titania und Oberon sind ja die Alter Egos von Hippolyta und Theseus, Markus Scheumann und Sylvie Rohrer nun den jeweils anderen Geschlechterpart übernehmen zu lassen, ist zumindest naheliegend. Wie überhaupt fast alle Rollen gegengeschlechtlich besetzt sind. Doch dass die hoch toupierte, entschieden „tuntig“ ausstaffierte Titania, die sich „auf den ersten Blick“ in den zum Esel verwandelten Zettel verliebt, auch noch durchgängig als „genderfluides“ Wesen präsentiert werden muss, das ist etwas zu viel an angesagter „Wokeness“.

Doch selbst diese Farbe ändert nichts an der gleichbleibenden düster-grauen Atmosphäre. Trotz Shakespeares Sprache – der Regieansatz will die knapp zweieinhalbstündige Aufführung ohne Pause nicht so recht tragen.