Essen. Auf Karten für den Grünen Hügel in Bayreuth muss niemand mehr warten. Katharina Wagner ist Chefin von Wagner-Festspielen im Sinkflug.
Vielleich hätte der Groschen schon 2007 fallen müssen. Kaum hatte Katharina Wagners Regiedebüt „Die Meistersinger von Nürnberg“ Premiere, gab es vor dem Festspielhaus ungekannte Bilder: „Karte zu verkaufen“. Sicher, wir kennen die Legende, des (immer kleiner werdenden) Kreises ihrer Verteidiger: Das war und ist eine Verschwörung der vertrockneten Liga der „Bärenfell-Wagnerianer“ gegen diese einsame und tapfere Frau.
Die Realität gibt ein anderes Bild. 2023 stehen die Richard-Wagner Festspiele nicht im ersten Jahr mit gedimmter Strahlkraft da. Das berühmteste internationale Gütesiegel deutscher Musiktheaterkultur zeigt Kratzer. Karten, auf die früher stolze zehn Wartejahre erhoben wurde, gab es, ganz ohne die legendären Schwarzmarktgestalten, auf dem grünen Hügel noch diese Woche.
Christian Thielemann dirigiert lieber in Salzburg
Es ist nicht die einzige Auffälligkeit: Eine Ausnahmeerscheinung am Pult wie Christian Thielemann, der hier fast 25 Jahre ein Weltpublikum der Kenner elektrisierte, dirigiert lieber in Salzburg. Katharina Wagner, alleinige Festspielchefin seit 2015 (2008-2014 in einer Art bewaffnetem Frieden mit ihrer lange von Vater Wolfgang verbannten Halbschwester Eva) gilt als isoliert. Der Politik, dem wichtigen Kreis der Förderer und dem Publikum gaben die letzten Jahre Grund zur Distanz. Unvergessen (und verräterisch), wie Katharina Wagner sich einst angesichts des Kloaken-„Tannhäusers“ von Sebastian Baumgarten äußerte: „Ich stelle mich vor meine Regisseure!“ Schon damals gab es nicht wenige, die eine Festspielleitung vermissten, die sich vor ihr Publikum stellt.
Schwache Inszenierungen, viel Knatsch hinter den Kulissen, unglückliche Kommunikation und das Verschlafen ganzer Komplexe regieren Bayreuth heute. Wenn eine seit 15 Jahren amtierende Festspielchefin 2023 beklagt, dem Haus fehle eine Marketingabteilung, an wem, bitte, wäre es bislang gewesen, das zu ändern?
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Den schwächelnden Vorverkauf schiebt Richards Urenkelin auf Probleme im Vertrieb, erst recht auf die Preiserhöhung, von der sie „gewarnt“ habe. Eben die aber lässt sich als Grund nahezu ausschließen. Tatsächlich ist Geld bei Spitzenkunst anderswo nicht das geringste Thema: Die deutlich teureren Festspielkarten fürs kaum 400 Kilometer entfernte Salzburg (in der Spitze 465 Euro) sind jedenfalls schon lange weg.
300 Brillen, 1937 Zuschauer
Katharinas eigene künstlerische Meriten halten sich nach wie vor in Grenzen. Von dem, was per Mitgliedschaft in der Familie Wagner für sie abfiel („Meistersinger“, „Tristan“), abgesehen, hat die 45-Jährige bis heute kaum nennenswerte Einsätze vorzuweisen. Von einem gekürzten „Ring des Nibelungen“ am berühmten Teatro Colón in Buenos Aires trat sie zurück. Erste Häuser wie Wien, Paris, Mailand oder London führen Wagner nicht auf der Regie-Liste; Stationen waren Würzburg, Las Palmas, Mainz. Immerhin hat jetzt Riga angefragt.
Und die Musik? Mag sein, dass die traditionsbewussten Freunde der Festspiele Nostalgiker sind, aber sie erinnern zu Recht daran, dass die Zeiten, da in einem einzigen Festspielsommer eine Elite namens James Levine, Daniel Barenboim und Giuseppe Sinopoli am Dirigentenpult stand, passé ist. Es gibt wenig Kontinuität, dafür Albernheiten wie 2018 Plácido Domingo als Dirigent der „Walküre“. Das hochkarätige Orchester nimmt solche Dinge übel. „Der rührte, was wir spielten“, erinnert sich zerknirscht ein Bayreuther Blechbläser gegenüber unserer Redaktion an den Einsatz des gealterten Tenors.
Am Dienstag beginnen die Spiele. Das Haus und sein unvergleichlicher Klang haben schon viel überstanden. Mit der Zeit zu gehen, das hat auch diesen Sommer nur bedingt geklappt: Der neue Parsifal sollte mit „Augmented Reality“-Brillen neue Erkenntnisse schenken. Geld war dann plötzlich nur für 330 Paar digitaler Augengläser da – bei 1937 Zuschauern im Saal.
>>> Festspielstart mit „Parsifal“ <<<
Nachdem der letzte Bayreuther „Parsifal“ (Regie Uwe Eric Laufenberg) kaum mehr als provinzielles Stadtttheater war, wird am 25. Juli der Amerikaner Jay Scheib, dessen professionelle Heimat das „Massachusetts Institute of Technology“ ist, Wagners Gral-Oper neu deuten, nicht zuletzt mit digitalen Mitteln.