Essen. Wichtig oder überflüssig? Der Rat für deutsche Rechtschreibung grübelt übers Gendern. Wir haben bei Kulturschaffenden im Ruhrgebiet nachgefragt.
Heute kommt im belgischen Eupen der Rat für deutsche Rechtschreibung zusammen – und will über neue Empfehlungen zum Gendern beraten, also zu dem Versuch, geschlechtsneutral zu schreiben, wenn in einer Formulierung mehrere Menschen verschiedener Geschlechter gemeint sein sollen.
Wir haben zu dem Thema stichprobenartig Vertreter und Vertreterinnen der Kulturszene des Ruhrgebiets befragt – und ein breites Spektrum an Meinungen gehört.
Antje Deistler, Chefin des Literaturbüros Ruhr in Gladbeck:
Natürlich gendern wir im Literaturbüro Ruhr! Ja, wir lieben die deutsche Sprache und Literatur, aber Sprache ist nun mal veränderlich. Niemand spricht und schreibt heute mehr so wie vor hundert Jahren, viele von uns noch nicht einmal so wie vor zehn Jahren.
Aus gutem Grund. Texte, in denen ausschließlich das generische Maskulinum verwendet wird, wirken doch inzwischen komplett rückständig. Wir benutzen das Sternchen, mögen aber auch den Doppelpunkt. Manchmal verwenden wir beide Formen („Autorinnen und Autoren“) oder Substantivierungen wie „Schreibende“. Da ist die deutsche Sprache flexibel genug. Kein Grund zur Aufregung.
Professor Werner Bergmann, Historiker und Autor:
Ich halte das Gendern für überflüssig, eine Verschwendung von Druckerschwärze. Mir hat sich nie erschlossen, was das soll. Es beruht auf einem falschen Verständnis des grammatikalischen Geschlechts, das mit dem biologischen gleichgesetzt wird.
Das generative Maskulinum ist keine Diskriminierung von Weiblichkeit. Im Mittelalter ist auch nicht gegendert worden, und es hat trotzdem sehr couragierte und eigenständige Frauen gegeben. Bestes Beispiel sind die Äbtissinnen des Stifts Essen, von denen Theophanu etwa viel bewirkt hat. Im 18. Jahrhundert dann hat Maria Kunigunde etwa weitsichtig die ersten Eisenhütten selbst gegründet oder sich daran beteiligt. Und sie hat eine der ersten befestigten Straßen anlegen lassen, für die das Königreich Preußen später viel Geld bezahlen musste. All diese Frauen haben keinen Wert darauf gelegt, dass sie gegendert wurden.
Nora Bossong, aktuelle „Metropolenschreiberin Ruhr“:
Das Anliegen ist mir erst mal grundsympathisch: Alle sollen gleichberechtigt mitgenannt werden.
Für mich geht das in der jetzigen Form noch nicht ganz auf, und was einschließend gemeint ist, kommt zu oft ausschließend an. Deshalb nutze ich das Sternchen selten. Wenn jemand gendert, finde ich es aber ebenso ok.
Probleme habe ich nur, wenn jemand es mir vorschreiben oder verbieten will, gar belehrend oder empört. Daher kein Rat für oder gegen das Sternchen, sondern für mehr Gelassenheit damit.
Milan Gather, Dramatiker und Theater-Regisseur:
Spannend, aus welcher Ecke gegen das Gendern gewettert wird. „*“, „:“ oder „Studierende“ sind „Angriffe auf die deutsche Sprache“? Dann schlage ich ein generisches Femininum vor. Oder geht’s in Wahrheit um was anderes?
Forschungen zeigen, dass Menschen sich beim generischen Maskulinum meistens doch nur Männer vorstellen. Gendern bezieht alle Geschlechter mit ein und führt auch dazu, dass Kinder sich mehr Berufe zutrauen. Allein das ist jede dynamische Sprachentwicklung wert, finde ich.
Selen Kara, Intendantin des Schauspiels Essen:
Ich bin für das Gendern und denke, dass es wichtig für unsere Gesellschaft ist. Denn Sprache beeinflusst unsere Wahrnehmung und schafft Sichtbarkeit.
Das Gender-Sternchen oder ein -Doppelpunkt umfasst natürlich nicht alle Genderidentitäten, aber sie sind ein wichtiger Schritt in Richtung Offenheit und Toleranz.
Es hat auch immer eine politische Dimension, wie wir miteinander und übereinander sprechen.
H. D. Gölzenleuchter, Bildhauer, Grafiker, Autor:
Generell bin ich dafür, dass man von Kolleginnen und Kollegen spricht, das ist menschlicher und demokratischer als so ein Sternchen-Wort. Die Frage ist, wie man die queren, die so dazwischen sind, mit reinholt. In der Literatur, in der Lyrik vor allem, kann ich mir das Gendern mit Sonderzeichen überhaupt nicht vorstellen. Da muss man vielleicht neue Wörter finden. Sonst bleiben Frauen und andere wieder nur ein Anhängsel.
Mir kommt das Ganze aber manchmal etwas zu aufgesetzt, ja dogmatisch vor, ein bloßes Symbolhandeln, das an den sozialen Verwerfungen, Verhältnissen nichts ändert.
Es steckt ja eigentlich ein demokratischer Anspruch dahinter, aber es nützt der Sache nichts, es mit dem Gendern zu übertreiben. Eine herabwürdigende Sprache lehne ich ab. Ebenso eine puristisch-sprachveganistische.
Jacqueline Thör, Roman- und Gedicht-Autorin:
Ich bin für das Gendern. Alle sollten sich eingeschlossen fühlen. Allerdings sollte es so elegant wie möglich passieren. Was klingt glatter: Mitarbeiter*innen oder Mitarbeitende?
Mir persönlich gefällt die substantivierte Form besser. Personalpronomen hingegen könnte man durch Eigennamen ersetzen. So würde statt des Geschlechts die Individualität mehr in den Fokus gerückt. Ich glaube, je eleganter die Alternativen, desto einfacher wird es für uns, sich an sie zu gewöhnen und sie aktiv umzusetzen.
>>> Das sagt der Rat für deutsche Rechtschreibung über das Gendern <<<
Wenn der Rat für deutsche Rechtschreibung jetzt ausgerechnet in Eupen, im Gebiet der deutschsprachigen Minderheit Belgiens tagt, ist das auch schon als Hinweis zu verstehen: Die Regelungen des Rechtschreib-Rates betreffen eben nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch Österreich, die Schweiz sowie Liechtenstein, Bozen-Südtirol und eben die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens. Weil das Gendern letztlich weniger eine Rechtschreib- als vielmehr eine politische Frage bedeutet, ist die Gemengelage komplex.
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Vom rein orthografischen Standpunkt hat der Rechtschreib-Rat bereits im März 2021 Empfehlungen veröffentlicht, die darauf hinauslaufen, den Asterisk (*, „Gender-Stern“), den Unterstrich (_, „Gender-Gap“), den Doppelpunkt „oder andere verkürzte Formen zur Kennzeichnung mehrgeschlechtlicher Bezeichnungen im Wortinnern“ nicht in das Amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung aufzunehmen – sie werden deshalb bislang als Falschschreibungen gewertet.
Das Amtliche Regelwerk, aus dem Rechtschreibwörterbücher wie der Duden ihre Regel herleiten, gilt verpflichtend für Schulen sowie für Verwaltung und die Gerichtsbarkeit. Dem Rechtschreib-Rat ging es bei seiner Entscheidung auch darum, die Einheitlichkeit der Rechtschreibung zu wahren, weil nur ein Teil der Schreibenden solche Sonderzeichen verwenden würden.
Das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache hat im Vorfeld am Begriff „Nutzer“ erhoben, welche Sonderschreibungen am gebräuchlichsten sind. 2020 lag die gegenderte Schreibweise „Nutzer*innen“ noch vor „Nutzer:innen“, 2021 und 2022 aber lag der Doppelpunkt vorn.