Die legendäre Groschenroman-Serie wird 50, Schöpfer Helmut Rellergerd denkt sich seither fast im Alleingang die Gruselgeschichten aus. Ein Besuch
- Seit 50 Jahren verfolgt Geisterjäger John Sinclair Hexen, Vampire und Untote - die Roman-Serie ist 1973 gestartet.
- Erfunden hat sie der Autor Helmut Rellergerd - er hat unter dem Pseudonym Jason Dark mittlerweile 2000 Geschichten geschrieben
- Wir haben ihn dort besucht, wo die Geschichten John Sinclairs entstehen: In einer Dachkammer in Bergisch-Gladbach
Hexen? Waren schon viele hier. Dämonen? Kommen im Wochentakt. Und Zombies? Sind quasi Stammgäste in diesem gepflegten Einfamilienhaus in Bergisch Gladbach. Hier erweckt Helmut Rellergerd unter dem Pseudonym „Jason Dark“ das Böse zum Leben. Genau wie den Mann, der es bekämpft. John Sinclair heißt er, Geisterjäger ist sein Beruf. Vor 50 Jahren löste er seinen ersten Fall. Mittlerweile sind es exakt 2347 und mehr als 2000 davon hat Rellergerd geschrieben.
Der Hausherr, der meist persönlich die Tür öffnet, wenn es klingelt hat volles, hellgraues Haar, ein freundliches Lächeln und einen festen Händedruck und viel Humor. Geboren ist er im sauerländischen Altena, aufgewachsen in Dortmund. Eine Stadt, die er bis heute schätzt und deren größten Fußballverein er liebt. Wann immer er Zeit hat, liest er dort in seiner Jugend. „Von Goethe bis zum Gruselroman, alles, was ich zwischen die Finger bekommen habe.“
Sein erstes eigenes Manuskript schreibt er, als er 1966 beim Bund ist. Ein Satan lässt Chicago zittern, nicht aber den Bastei-Verlag, an den er es geschickt hat. Der lehnt ab, bescheinigt ihm aber „Talent“. Doch Talent zahlt keine Rechnungen. Deshalb wird er erst einmal Chemie-Techniker bei Hoechst. 1972 folgt der nächste Versuch. Dieses Mal mit mehr Erfolg. Bastei veröffentlicht nicht nur einige seiner Manuskripte, man stellt ihn auch als Redakteur ein. Und so ist Rellergerd in der Nähe, als man dort machen möchte, was andere Verlage schon länger mit großem Erfolg machen: Gruselkrimis.
„Das will doch niemand lesen“
„Wer will?“, fragt die Verlagsleitung und Rellegerd hebt sofort die Hand. Einen Helden hat er schon im Kopf. Groß, blond, gut aussehend, ein wenig orientiert er sich damals an sich selbst, wie er heute schmunzelnd zugibt. Nur einen Namen braucht er noch. Da sieht er im Fernsehen die britische 70er-Jahre-Krimiserie „Die Zwei“. Aus dem von Roger Moore gespielten Lord Brett Sinclair wird John Sinclair. Auch sein Pseudonym Jason Dark ist an einen TV-Charakter angelehnt – an den von Peter Wyngarde gespielten Jason King.
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So erscheint am 13. Juli 1973 „Die Nacht des Hexers“. Inhalt: Ein gewisser Orgow erweckt in dem kleinen Örtchen Middlesbury Leichen wieder zum Leben. John Sinclair gelingt es, die Untoten so lange aufzuhalten, bis die britische Armee mit Flammenwerfern anrücken und für Ordnung sorgen kann. „Ich habe das ein bisschen wie einen Jerry Cotton-Krimi aufgebaut“, erinnert sich der Autor. Ob ein Vampir oder Mafiaboss gejagt werde, mache keinen großen Unterschied: „Beides Unterwelt.“
Allerdings gibt es nur bei Jason Dark einen Ermittler, der sich dank seines kleinen Latinums mit den Worten Terra pestem teneto – salus hic maneto! (sinngemäß: „Das Kranke weiche von der Erde, das Heil verbleibe!“) ein Kreuz an seinem Hals aktivieren kann, das selbst den Bösesten der Bösen zu Staub und Asche verwandelt. Rellergerds Chef ist entsetzt. Grusel ja, aber Untote aus dem Grab? „Das will doch niemand lesen.“ Ein Irrtum.
John Sinclair wird in der Gespenster-Krimi-Reihe, in der er zunächst erscheint, so beliebt, dass er nach 50 Bänden im Januar 1978 eine eigene Serie bekommen soll. „Schreibe ich“, sagt Rellergerd. Aber der Verlag ist skeptisch. Normalerweise werden Romanreihen von Kollektiven aus acht bis zehn Autoren verfasst. „Anfangs hat keiner geglaubt, dass ich das alleine schaffe.“ Er schafft es. Im ersten Jahr alle 14 Tage, von da an jede Woche. Immer 64 Seiten.
Und nicht nur das. Weil er sich nicht ausgelastet fühlt, schreibt der zweifache Vater nebenbei auch noch andere Reihen. Hier mal einen Western, dort einen Kommissar X. Mal unter dem Pseudonym Damion Danger, mal als Jim Prescott. Der bei Scotland Yard in einer Sonderabteilung für übersinnliche Phänomene arbeitende Oberinspektor aber steht über allem, wird zu Rellegerds Lebensinhalt. Dafür arbeitet er viele Jahre mit eiserner Disziplin.
Erst schickt der Verlag das Bildmotiv eines neuen Heftes, dann dichtet Rellergerd den Titel. „Achterbahn ins Jenseits“, „Der Irre mit der Teufelsgeige“, „Das Horror-Taxi von New York“, „Im Nachtclub der Vampire“ – so etwas in der Art. „Die Grundidee ist immer schnell da“, sagt Rellergerd. Und dann? „Die Geschichten müssen schnell zur Sache kommen.“
Der erste Satz sei am wichtigsten. „Sie trug nichts als ihre Ohrringe…“ ist so einer. „Die Waffe an seiner Schläfe war eiskalt ...“ ein anderer, „Da will man doch wissen, wie es weitergeht“, ist Rellergerd überzeugt. Dabei weiß er das selbst erst einmal nicht. „Was genau passiert, ergibt sich beim Schreiben.“
Das macht er seit vielen Jahren „in meiner Bude oben“, im Arbeitszimmer unterm Dach. Immer von 8 bis 12 Uhr. Früher 30 bis 35 Seiten, heute 10 bis 15 Seiten am Tag. An einer Olympia, Modell „Monika“, die er „Hackkasten“ nennt. Grün mit schwarzen Tasten, Gold-Gravur an der Front. „Mittlerweile die dritte“, sagt er. Was anderes kommt ihm nicht ins Haus. Keine Elektrische, erst recht kein Computer. „Die Dinger mag ich nicht.“ Überhaupt hält sich seine Begeisterung für moderne Kommunikation in Grenzen. E-Mail-Adresse? „Habe ich nicht.“ Handy? „Mache ich nie an.“ Wer ihn erreichen wolle, solle bitte das Festnetztelefon bemühen.
An die 400.000 Seiten geschrieben
In den frühen 80er-Jahren verkauften sich die Heftchen rund 100.000 Mal die Woche. Mittlerweile sind es rund 10.000 Exemplare. Insgesamt sind es in den 50 Jahren – zurückhaltend gerechnet – mehr als 250 Millionen. Mehr hat kein anderer deutscher Autor geschafft. „In den USA wäre ich steinreich“, sagt Rellergerd. In Deutschland ist er es nicht, sagt er. Denn bezahlt wird er pauschal. Angeblich, so munkelt man, rund 1500 Euro pro Heft. „Es reicht, um gut zu leben“, sagt Rellergerd nur. Wie viele Seiten er geschrieben hat, weiß nicht. 400.000 könnten es gewesen sein. Ist am Ende aber auch egal. Genauso egal, wie die Bezeichnung „Groschenromane“ für seine Werke. Oder der Umstand, dass das Feuilleton ihn ein halbes Jahrhundert ignoriert. „Hauptsache, meine Romane werden gelesen.“
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Das werden sie. Trotzdem tritt er auf Bitte von Ehefrau Roswitha seit seinem 70. Geburtstag kürzer und schreibt nur noch zwei Romane im Monat. Deshalb dürfen nun auch mal andere ran. Funktioniert das? Rellergerd will die Antwort mal so formulieren: „Echte Fans merken, dass die Reihe nicht mehr aus einer Hand kommt.“
„Zu warm in meiner Bude“
Während Rellergerd zum Rentner geworden ist, bleibt Sinclair immer Mitte 30, wird nur „abgeklärter“, ist kein „Haudrauf“ mehr. Und anders als sein Erfinder geht der Geisterjäger mit der Zeit, nutzt Smartphones und das Internet. In London, wo Sinclair regelmäßig seine Beretta mit geweihten Silberkugeln lädt, war Rellergerd übrigens auch noch nie. Kein Problem für ihn: „Es gibt doch gute Stadtpläne.“
Gerade macht Rellergerd zwei Monate Pause. „Wenn es zu warm wird in meiner Bude habe ich einfach keine Lust zu schreiben.“ Sinclair aber kriegt keinen Urlaub. „Ich habe genug vorproduziert.“ Überhaupt ist kein Ende in Sicht. „Wenn die Leser das wollen, schreibe ich, bis mir der Griffel aus der Hand fällt.“ Und wenn nicht, würde er seinen Helden ganz ohne den Einfluss böser Mächte aus dem Leben scheiden lassen. „Sinclair besäuft sich im Pub, geht raus und übersieht einen Kanal, dessen Deckel verschwunden ist. Da fällt er rein. Ende.“
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