Essen. Tierschützer und Jäger stehen sich unversöhnlich gegenüber. Es geht nicht nur um Argumente, sondern auch um jede Menge Emotionen.
Als Kind öffnete ich einmal die Küchentür meines Onkels. Über dem Esstisch hing ein totes Reh, in dem Onkel und Tante herumfuhrwerkten. Entsetzt starrte ich auf diese Szene – mir als Großstadtpflanze völlig fremd. Beim Weglaufen hörte ich meinen Onkel fröhlich rufen „Wer einen Jäger heiratet, muss das können!“ Igitt, das schied für mich aus. Fleisch kannte ich nur als Hack und Salami beim Metzger um die Ecke. Der Zusammenhang mit (ehemals) lebendigen Tieren war mir nicht präsent. Meine Cousine jedoch begleitete ihren Vater zur Jagd auf den Hochsitz und zerlegte im Keller Wildtiere mit ihm. „Mich hat das fasziniert, auch die Anatomie der Tiere. Mein Vater hat sich in seinem Revier sehr um die Natur gekümmert, brachte Enten zum Aufpäppeln mit und fuhr nachts raus, um sich durch Autounfälle verletzte Tiere zu kümmern,“ erzählt sie. „Jäger und tierlieb sein, das ist kein Widerspruch.“ Ist Jagen Mord an unschuldigen Tieren? Ist es unnötig oder gar schädlich? Sollten wir Wälder und Tiere sich selbst überlassen und vegetarisch oder vegan leben? Wollen Menschen, die auf Rehe, Hirsche und Wildschweine schießen, nur wichtigtuerisch herumballern? Ein heiß umstrittenes Thema, über das man sich offenbar schlecht einig werden kann. Tierrechts-Organisationen wie PETA finden Jagd das Allerletzte, und die Tierschutzpartei erhielt in Deutschland bei der Europawahl immerhin 1,4 Prozent der Stimmen.
Johann Steineshoff ist Metzgermeister und Jäger in Mülheim an der Ruhr. Seine Landfleischerei, in der er auch selbst erlegtes Wild anbietet, genießt einen guten Ruf. „Bei uns kann man auch Veggieburger kaufen“, erklärt Steineshoff. „Jeder soll essen, was er will. Aber Zutaten wie Soja müssen erst angebaut und transportiert werden, das verbraucht CO2. Und für Tiere in Stallhaltung benötigt man Betonbauten, Futter und so weiter. Wildfleisch verbraucht keine Ressourcen und ist das beste Fleisch.“ In seiner Metzgerei verarbeitet er so gut wie alles vom Tier. „Aus den Knochen machen wir Fonds“.
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Besonders wichtig ist Steineshoff, dass Wild waidgerecht gejagt wird. „Der Jäger hat die Pflicht, jedes Tier schnellstmöglich ohne Leiden zu erlegen.“ Tiere in Massentierhaltung müssen oft sehr viel Leid durchleben: in viel zu engen Ställen mit keiner oder wenig Frischluft, ohne Auslauf, beim unsachgemäßen Schlachten werden sie zuweilen halbtot weiterverarbeitet, bei Transporten über Autobahnen sind sie Enge, Hitze und Stress ausgesetzt. All das entfällt bei Wild, das in der Natur unter freiem Himmel aufwächst, sich davon ernährt und sich frei bewegen kann.
Da kommen die vorgeschriebenen Jagdquoten ins Spiel: Jede Jägerin, jeder Jäger erschießt nicht irgendwelche Tiere, sondern jagt nur so viel, wie erlaubt ist. Die Abschussquoten sind geregelt. „Ich bin kein Freund davon, jedes Tier totzuschießen, das ein Blatt frisst“, betont Steineshoff. „Aber wir müssen den Bestand in unseren kultivierten, bewirtschafteten Wäldern regulieren. Die früheren Fressfeinde Bär und Wolf hat der Mensch ausgerottet, weil er das Wild selbst essen wollte und vor Beginn der Landwirtschaft auch zum Überleben brauchte.“ Wildschweine in Vorgärten will auch niemand haben. Steineshoffs Meinung nach ist Jagen das älteste Handwerk des Menschen. Dessen Entwicklung habe sich kräftig beschleunigt, als er begann, seiner Speisekarte nährstoffreiches Fleisch hinzufügen.
„Jagd muss sein“, ist der Fleischexperte überzeugt. „Um waidgerecht schießen zu können, braucht man eine gründliche Ausbildung.“ Sei er selbst bei der Jagd, empfinde er keine Mordgelüste. „Es geht um die sehr konzentrierte Gewinnung hochwertiger Lebensmittel.“ Und zum Jagen gehöre Tierwohl: etwa das Retten von Kitzen auf Feldern vor der Ernte und das Ausbringen von Salzlecksteinen im Winter. „Die Tiere leben glücklich in der Natur“, das sagt auch meine Cousine, die Jägerstochter. „Und mehr Bio als bei Wild geht nicht.“ Das „From Nose to Tale“-Prinzip gefalle ihr: Von der Nase bis zum Schwanz wird das erlegte Tier verarbeitet.
Für Helmut Dammann-Tamke, Präsident des Deutschen Jagdverbandes, ist die Jagd geradezu eine Pflicht: „Deutschland ist eine intensiv genutzte Kulturlandschaft, die vom Menschen seit Jahrtausenden gestaltet wird. Artenvielfalt müssen wir managen. Das geht zum Beispiel, indem wir Lebensräume für bedrohte Arten wie Feldlerche oder Feldhamster schaffen. Aber vor ,schöner Wohnen’ kommt: nicht gefressen werden. Wir müssen deshalb Raubsäuger wie Fuchs oder Waschbär eindämmen. Dafür braucht es die Jagd“, so der Oberjäger. Auch auf Aufforstungsflächen brauche es die Jagd, um junge Bäume vor Reh oder Hirsch zu schützen.“
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Dammann-Tamke preist zudem die Qualität des Wildfleisches. Die sei ein „ursprüngliches, natürliches Lebensmittel. Es hat die beste Ökobilanz: Es ist ein regionales Produkt mit kurzen Transportwegen“. Hinzu komme, so der Jägerpräsident, „Wildtiere haben bis zum Tod ein freies, selbstbestimmtes Leben“, meint Dammann-Tamke. „Wir alle nutzen die Natur. Entscheidend ist die Art und Weise, wie wir leben. Auch Menschen, die sich vegan oder vegetarisch ernähren, beanspruchen Natur und nehmen Tieren so Lebensraum.“
„Jagd ist Mord“, urteilt dagegen PETA e.V., Deutschlands größte Tierrechtsorganisation. Sämtliche Argumente der Jäger seien „Augenwischerei“. Bestimmte Tiere zu jagen, hält PETA für „Speziesismus“ und damit für ebenso verachtenswert wie Rassismus und Sexismus. „Menschen vergessen gerne, dass sie auch Tiere sind.“ Übereinstimmung mit Jägern besteht nur in der Kritik an Hobbyjägern und -jägerinnen: „Privatpersonen können als Freizeitbeschäftigung völlig legal auf wehrlose Mitgeschöpfe schießen.“ Über 400.000 von ihnen stünden nur 1000 Berufsjäger gegenüber. Renommierte Biologen seien sich einig, dass sich die Tierpopulation selbst regele und die Jagd ökologisch und moralisch unverantwortbar sei, sagt PETA. Natürliche Beutegreifer wie Fuchs oder Wolf gehörten genauso in Wälder wie andere Tiere auch.
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„Jäger und Jägerinnen versuchen normalerweise, die größten und robustesten Tiere zu töten – denn sie wollen ihre toten Köpfe stolz über den heimischen Kamin hängen“, heißt es weiter. „Die natürlichen Regulationsmechanismen werden außer Kraft gesetzt und die Wildtiere dann kurzerhand zum Störfaktor degradiert und am liebsten ausgelöscht.“ Unter anderem die Treib- und Fallenjagd halten die Tierschützer für „abscheuliche Tierquälereien.“
Überdies ist Wildfleisch laut PETA ungesund: Es enthalte Dauergifte wie Dioxine und polychlorierte Biphenyle (PCB), hohe Bleirückstände durch Jagdmunition, Keime aufgrund von Stress während der Jagd, und es sei weiterhin regional radioaktiv hoch belastet durch die Folgen von Tschernobyl. „Unhygienische“ Verarbeitung wird ebenfalls bemängelt. Alles, womit Jäger den Sinn der Jagd begründen, hält PETA für gelogen oder vorgeschoben.
Der Jägerpräsident hält dagegen: „Manche Menschen verhätscheln ihren Hund oder ihre Katze und füttern sie mit Fleischprodukten, die sicher Tierleid verursacht haben können. Wenn Haustierbesitzer selbst Billigfleisch ungewisser Herkunft verzehren, Jäger aber als Mörder bezeichnen, darf man schon nach der Logik fragen“, so Helmut Dammann-Tamke.
Aber was stimmt denn nun? In einer Ausgabe der Zeitschrift GEO sind Argumente für und gegen die Jagd aufgeführt. Dagegen spräche: Freizeitschützen und -schützinnen würden in Wäldern herumballern, um unschuldige Tiere zu töten. Viele Menschen fänden es unmoralisch, dass Tiere „zu unserem Vergnügen leiden“. Manchmal würden sie nur angeschossen und schleppten sich verletzt weiter. Die Schüsse würden bei den Tieren Angst und Stress verursachen., sie würden tief ins Unterholz flüchten und sich auf kleinen Flächen drängeln. „Rehe und Hirsche knabbern dort nur deshalb besonders häufig die Knospen und Triebe junger Bäume ab.“ Auch die Fütterung in kalten Wintern wird kritisiert, weil die Schwächsten dann nicht sterben und im nächsten Jahr mehr Tiere erschossen würden.
Für die Jagd spräche: Jäger und Jägerinnen schützen die Natur. Es gehe ihnen um deren „tiefes Erleben“. Ein Wildschwein lebe wohl im Wald glücklicher als eine Zuchtsau im engen Stall. Und: Wer die Verantwortung für ein Jagdrevier übernimmt, müsse vorher eine schwierige Prüfung ablegen und sich gut um die Wildtiere kümmern. „Jagdleute richten Ruhezonen im Wald ein, pflanzen Hecken oder schaffen Brutplätze für Vögel.“ Außerdem bewirke die Jagd, dass etwa Rebhühner und Kiebitze eher überleben, wenn weniger Füchse „herumschleichen“. Jagen verhindere, dass sich manche Tierarten zu stark vermehren, Felder zerwühlen und junge Laubbäume abknabbern. Die Wälder müssten sich aber erneuern können, um besser mit dem Klimawandel zurechtzukommen.
Eigenartig ist, dass in Zeiten, in denen eine wachsende Zahl von Menschen nicht einmal mehr tierische Produkte Milch oder Eier zu sich nehmen will – geschweige denn Fleisch – zugleich die Faszination der Jagd wächst und immer mehr Menschen auf den Genuss von Wildfleisch schwören.
Vielleicht sollten sich Jäger und Tierschützer viel öfter mit- als übereinander unterhalten, um so das beste für Mensch und Tier erreichen zu können.
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