Essen. Eine Hose für 20 Euro: Billigmode macht‘s möglich, aber Mensch und Umwelt zahlen den wahren Preis. Dabei gibt es Alternativen, wie Kleidertausch.
Vor der Tür des Wohnhauses steht Anna, einen Wäschekorb im Arm – nicht mit Schmutzwäsche, sondern mit aussortierten Kleidungsstücken. Ich stelle meinen Koffer ab, hole noch eine Kiste aus dem Auto meiner Eltern. Drinnen hängen bereits Hosen über der Couch, Kleider über dem Tisch, und auf dem Bügelbrett parken Schuhe. Neun Frauen sind gerade dabei, das Wohnzimmer in eine improvisierte Kleiderkammer zu verwandeln.
Meine erste Kleidertauschparty? Das war zu Beginn meines Studiums. Eine Freundin hat mich spontan eingeladen. Wenige Stunden später saß ich mit fünf anderen Studentinnen im Wohnzimmer, umgeben von ausrangierten, aber gut erhaltenen T-Shirts, Schmuck und Schuhen. Noch heute trage ich einen Pulli und ein Kleid, die ich damals ergattert habe. Das Konzept ist simpel: Tauschen statt Kaufen. Schließlich könnte die Kleidung, die man nicht mehr trägt, anderen gefallen, und umgekehrt. Was übrig bleibt, wird gespendet.
Secondhand: Rückzugort vom Überangebot der Modeindustrie
Als passionierte Secondhand-Shopperin habe ich schon immer den Reiz gespürt, in den Auslagen nach verborgenen Schätzen und Raritäten zu suchen. Es fühlt sich weniger an wie Einkaufen, eher wie eine Schatzsuche – und gleichzeitig wie eine sanfte Rebellion gegen das Überangebot der Modeindustrie. Secondhand ist mein Rückzugsort – fernab vom Kommerz, von Profitgier und Ausbeutung. Konsum ohne schlechtes Gewissen, bei dem Kleidungsstücke ein zweites Leben bekommen, bevor sie im Müll landen. Schon während meiner Schulzeit griff ich auf die alten Hemden und Shirts meiner Mutter zurück. Da war Vintage noch nicht gefragt, die Secondhand-Läden noch nicht auf modebewusste Hipster ausgelegt.
Mein erster Kleidertausch war eine Offenbarung: Secondhand ohne Kosten. Nur wenige Stunden lagen zwischen der Idee und der Umsetzung. Trotzdem kamen Berge an Kleidung aus den Tiefen der Kleiderschränke, von Dachböden und Kellern zusammen. Seitdem frage ich mich oft, wie viel ungetragenes Potenzial sich wohl in den Schränken dieser Stadt verbirgt – verstaubt, vergessen, wartend auf ihre Zukunft als Mottenfutter. „Irgendwann passe ich da wieder rein“ oder „Irgendwann kommt noch ein Anlass dafür“, sage ich mir häufig, wenn ich meinen Schrank ausmiste. Doch was trage ich wirklich noch?
Billigmode: Die sozialen Medien schüren den Konsumzwang
Das Problem beginnt lange, bevor der Kleiderschrank überquillt. Wir alle kennen es: Der Schrank ist voll und trotzdem hat man nichts anzuziehen. In meiner Jugend haben wir oft in der Einkaufsstraße die Schaufenster bestaunt – der Gang in die Umkleidekabine war aufregend, selbst wenn das Taschengeld nicht für den Kauf reichte. Es ging ums Erlebnis, um die Vorstellung, wie uns neue Kleidung verändern könnte. Shoppen, das ist mehr als nur der pragmatische Kauf zum Ankleiden des Körpers. Es ist für viele ein Hobby, für manche sogar eine Sucht, und Mode ein Statussymbol, mit der die Persönlichkeit inszeniert und der kapitalistischen Konsumkultur gefrönt werden kann.
Vor allem billige Kleidung schafft die Illusion von Gleichheit. Mode ist erschwinglich, dank Fast Fashion. Marken wie H&M, Primark oder Shein werfen ständig neue Kollektionen auf den Markt, passend zu den Trends, die schneller wechseln als die Jahreszeiten. Rund 60 neue Kleidungsstücke kauft der Durchschnittsdeutsche laut Umweltbundesamt jedes Jahr. Die Schränke platzen vor ungetragenen Kleidungsstücken, denn nur jedes fünfte werde regelmäßig getragen. Der Rest endet im Müll, im nahe liegenden Laden wartet schließlich für wenige Euro der nächste Fund – oder man bestellt es sich einfach online bequem nach Hause.
Uns wird eingeredet, dass wir am Puls der Modetrends bleiben müssen, den wieder aufblühenden Adidas Samba oder die neue Longchamp-Tasche brauchen. Gehe ich durch die Einkaufsstraße an Geschäften vorbei, macht es etwas mit mir – vor allem die Sale-Schilder rufen mich herein. Deswegen meide ich diese Orte, so weit es geht, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen.
Doch dann bleibt noch der Algorithmus in den sozialen Medien, der mir ständig Hosen von Halara, Rucksäcke von Pingpong und 20 ausgewählte Stücke von Asos in den Feed spült – ebenso wie in meine Mails. Einmal gegoogelt, verfolgt das Produkt mich in der digitalen Welt. Personalisierte Werbung macht es möglich – und schürt den Konsumzwang weiter. Jeden Tag. Und jeden Tag denke ich mir ein Stück mehr: Genau diese Hose, diesen Rucksack habe ich schon immer gebraucht. Da zu widerstehen, ist schwer. Dabei müsste ich es besser wissen, habe während eines Praktikums bei einer Non-Profit-Organisation drei Monate an einem Bildungsangebot zu bewusstem und nachhaltigem Kleidungskonsum gearbeitet.
Textilindustrie: Eine Jeans braucht 8000 Liter Wasser
Was ich dort verinnerlicht habe: „Fast Fashion hat einen Preis, auch wenn dieser Preis nicht auf dem Preisschild steht“, wie auch das Umweltbundesamt mitteilt. Spätestens seit dem verheerenden Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem über Tausend Menschen ums Leben kamen, wissen wir: Der Preis wird dort gezahlt, wo Menschen unter prekären Bedingungen arbeiten, um den stetigen Nachschub an Billigmode zu sichern. 2013 hörte ich das im Radio. Doch für Konsumenten ist der ökologisch-soziale Preis meistens unsichtbar – oder wird verdrängt. Dabei sind lange Arbeitszeiten, niedrige Löhne, giftige Chemikalien und mangelnde Sicherheitsstandards an der Tagesordnung.
„Fast Fashion hat einen Preis, auch wenn dieser Preis nicht auf dem Preisschild steht.“
Doch nicht nur das: Mit 1,2 Milliarden Tonnen CO₂ pro Jahr ist die Textilindustrie einer der größten Umweltverschmutzer – sie belastet das Klima mehr als internationaler Flug- und Schiffsverkehr zusammen. Dazu kommt der hohe Wasserverbrauch: Für eine einzige Jeans werden etwa 8000 Liter Wasser benötigt – oft in Regionen, in denen Wasser knapp ist. Das entspricht der Menge, die eine Person in 7,4 Jahren trinkt. Schädliche Chemikalien aus den Fabriken gelangen über das Abwasser in Flüsse und Trinkwasser in Asien und Mittelamerika. Auch hierzulande hinterlassen die Klamotten Spuren: Bei jedem Waschgang von erdölbasierten Materialien wie Polyester gelangt Mikroplastik in die Umwelt. Die Liste der Kosten ist lang und trotzdem wächst die Fast-Fashion-Industrie immer weiter, hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt, vorangetrieben durch unseren Konsum.
Alternativen zu Fast Fashion: Wo kann gewissenhaft gekauft werden?
Denn die Mode ist schnelllebig – und die Geschäftsmodelle der Fast Fashion sind darauf ausgerichtet. Es geht auch anders, zirkuläre, langlebige und umweltfreundliche Alternativen liegen nah – und damit ist nicht nur Slow Fashion gemeint, die auf Fairtrade, Bio und Recycling statt Chemikalien und Kinderarbeit setzt.
Secondhand-Läden, Flohmärkte oder Plattformen wie „Vinted“ bieten Optionen, alte Kleidung weiterzuverkaufen und neue günstig zu finden. Auch Upcycling ist eine Option: Warum nicht Kleidungsstücke kürzen, reparieren oder neu gestalten? Für besondere Anlässe lohnt es sich oft nicht, etwas zu kaufen – warum nicht leihen, vom Freundeskreis oder aus dem Geschäft? Eine Freundin ist so an ihr Hochzeitskleid gekommen, hat es nach der Feier einfach wieder verkauft. Oder eben Kleidertauschpartys – ob privat oder öffentlich organisiert. Der Ausweg aus der Konsumfalle beginnt nicht im Laden – er beginnt in unseren Kleiderschränken.
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