Lennestadt. Winnetou Jean-Marc Birkholz weiß, wie man beim Elspe-Festival einen Helden spielt. Warum im Wilden Westen im Sauerland das Gute siegt.

Verliebt in Winnetou? Das geht vielen Frauen und Männern so. Sie haben sich als Kinder in die Abenteuer des edlen Apachen-Häuptlings hineinphantasiert; das sind Erinnerungen, die bis heute lebendig bleiben. Jean-Marc Birkholz kennt diese Träume, sie begegnen ihm jeden Tag. Denn der Schauspieler ist Winnetou. Sommer für Sommer auf der Naturbühne in Elspe. Zusammen mit seinen Kollegen versucht er, jenen Zauber zu wirken, der auch große Zuschauer wieder zu kleinen Kindern macht. Doch was bedeutet es in unserem polarisierten Zeitalter, ein Held zu sein? Und wie geht man damit um, einen zu spielen?

Das ist eine Frage, die sie sich alle stellen in Elspe: Jean-Marc Birkholz als Winnetou, Martin Krah als Old Shatterhand und Sebastian Kolb als Bösewicht vom Dienst. Kolb: „Die Helden Karl Mays sind keine Superhelden, sie sind greifbar. Sie setzen sich für das Gute ein, aber sie haben keine übernatürlichen Kräfte.“ Martin Krah ergänzt: „Aber sie sind clever, sie verstehen sich blind.“

Freude und Leid des Heldenbildes lasten am meisten auf Jean-Marc Birkholz, dem Winnetou, und er hat sich gründlich mit der Thematik beschäftigt – zumal er nur im Sommer der Held ist, „der Rest des Jahres bin ich in anderen Rollen der Antiheld, das ist eine schöne Abwechslung.“ Birkholz hat sich intensiv mit der Figur Winnetous und dem literarischen Werk Karl Mays beschäftigt, auch mit den Romanen, die weniger bekannt sind und die er für den Karl-May-Verlag als Hörbuch eingesprochen hat. Sein Rollenverständnis gründet sich in dem beschriebenen Wunsch nach einem Seelengefährten aus einer anderen Kultur, welche die eigene Kultur spiegelt. Birkholz: „Old Shatterhand kam in den Wilden Westen als Arbeiter und ist geblieben. Warum ist er geblieben? Das war die Sehnsucht nach einer anderen Welt. Es wird ja am Anfang der Romane geschildert, dass das rote Volk im Sterben liegt. Old Shatterhand sieht diesen Untergang, er weiß, das ist nicht rückgängig zu machen, und dann trifft er diesen Seelenverwandten, der das genauso sieht.“

Winnetou und Old Shatterhand reiten im Kostüm, aber ohne Maske über die Bühne beim Elspe-Festival.
Winnetou und Old Shatterhand reiten im Kostüm, aber ohne Maske über die Bühne beim Elspe-Festival. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

In „Winnetou und das Halbblut“ offenbart Winnetou in einem großen Monolog die desolate Situation seines Volkes. Es könnte eine Wutrede sein, doch Jean-Marc Birkholz legt sie als Bekenntnis zum Frieden an. Senanda, Kind einer weißen Mutter und eines Häuptlings, bewegt sich in dem Stück zwischen den Kulturen und zerbricht an diesem Konflikt, das können auch Winnetou und Old Shatterhand nicht verhindern. „Eigentlich sind die beiden Freunde Freiheitskämpfer, sie versuchen, das zu realisieren, was die Gesellschaft eigentlich verwirklichen sollte. Und so stellt sich Old Shatterhand immer wieder gegen Seinesgleichen, weil er für seine Werte eintritt“, beobachtet Martin Krah.

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Sebastian Kolb steht auf der Bühne außerhalb dieses Freundschaftsbundes, er ist der Antiheld von Elspe, der Bösewicht – und überlegt genau, wie er diese Charaktere gestaltet: „Ich bin als Schauspieler immer auf der Suche. Es wäre falsch, das Böse böse zu spielen. Ich glaube, dass noch der Böseste aus einer Überzeugung das Richtige tut, und dann wird es spannend.“

„Ich könnte mir keine besseren Kollegen wünschen als diese beiden. Wir sind auch hinter der Bühne füreinander da. Das ist das Geheimnis.“

Jean-Marc Birkholz, Winnetou-Darsteller beim Elspe-Festival

Das Publikum sehnt sich nach der anderen Welt, die Elspe anbietet, und das nicht nur wegen der akrobatischen Stunts der Kunstreiter, der berühmten Pyrotechnik und der vielen Effekte. Die Besucher möchten wenigstens für einige Stunden Helden erleben, mit denen sie sich identifizieren können, und die ihnen versprechen, dass das Gute siegt. Sebastian Kolb: „Winnetou und Old Shatterhand finden auch Lösungen, wenn sie in einer unterlegenen und aussichtslosen Situation sind.“

Karl May, der Pazifist

Jean-Marc Birkholz verweist auf den Pazifismus Karl Mays und dessen Bezüge zur Bibel. Er hat unter anderem „Winnetous Erben“ als Hörbuch eingesprochen, den ursprünglichen vierten Winnetou-Band. „Dort heften sich die Protagonisten Sterne mit den Namen ihrer Feinde an die Brust, und den Feind beschützen sie dann bis zur Selbstaufgabe. Wie gut könnte eine Welt werden, wenn man diese Prinzipien aufgreift.“

Der große Knalleffekt: Beim Elspe-Festival fliegt in diesem Jahr ein ganzes Fort in die Luft und verschwindet gleichzeitig in der Versenkung.
Der große Knalleffekt: Beim Elspe-Festival fliegt in diesem Jahr ein ganzes Fort in die Luft und verschwindet gleichzeitig in der Versenkung. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann

Darstellerisch müssen die Guten wie der Böse allerdings differenziert angelegt werden. Sebastian Kolb, der General Bentler in „Winnetou und das Halbblut“: „Wichtig ist, dass man die Rolle so nimmt, wie sie ist. Da müssen persönliche Eitelkeiten zurücktreten.“ Martin Krah freut sich als Old Shatterhand über die wortlose Verständigung mit seinem Blutsbruder Winnetou: „Sie sind die Helden des Wilden Westens. Dieser Ruf eilt ihnen voraus, auch damit kann man als Darsteller spielen. Ich möchte dem mit einer menschlichen Komponente begegnen: Eigentlich bin ich ein Mensch wie Ihr.“

Und Jean-Mark Birkholz? „Als Winnetou auf der Bühne bewege ich mich anders, ich spreche auch anders. Das ist die Magie eines Schauspielers. Wenn man im Moment des Spiels mit der Rolle verwächst, gibt es eine ganz besondere Ausstrahlung. Das Geheimnisvolle ist viel schöner, als wenn ich alles sehe. Manchmal ist es viel schöner, wenn man die Dinge nicht sieht, sondern sich nur vorstellt, was es sein könnte.“ Und das sind die Momente, die das Publikum liebt. Birkholz: „Diese Magie springt dann über, dann kann man mit 4000 Leuten eine Stecknadel fallen hören. Das ist der Zauber des Theaters.“

Die Kategorie Held oder Bösewicht spielt übrigens keine Rolle mehr, sobald die Vorstellung vorbei ist. Jean-Marc Birkholz: „Ich könnte mir keine besseren Kollegen wünschen als diese beiden. Wir sind auch hinter der Bühne füreinander da. Das ist das Geheimnis.“

Das Stück „Winnetou und das Halbblut“ wird bis zum 8. September auf der Naturbühne des Elspe-Festivals gezeigt. www.elspe.de