Köln/Bochum/Duisburg. Nach Geiselnahme und Explosionen unter anderem in Duisburg nimmt die Kölner Polizei sieben Verdächtige fest. Das sind die Hintergründe.
Das letzte Deutschland-Spiel der EM war noch nicht angepfiffen, aber die Spezialeinsatzkräfte der Polizei hat trotzdem kaum einer bemerkt. In Kölns Stadtteil Rodenkirchen, wo viele Villen stehen, waren die Straßen schon leer, als die Beamten zugriffen: Am Freitagabend befreiten sie in einem Privathaus eine Frau und einen Mann aus Bochum, die offenbar entführt worden waren. Am Wochenende folgten weitere Festnahmen; insgesamt sitzen sieben Tatverdächtige in Haft. Laut Staatsanwaltschaft gibt es Verbindungen zu mehreren Explosionen in der Vorwoche, auch in Duisburg. Spuren führen ins Drogenmilieu – und in die Niederlande.
Ein lauter Knall um kurz vor ein Uhr in der Nacht zum Freitag in Duisburg. In einer Zechensiedlung in Rheinhausen fehlt einem gelben Haus die Tür, dafür sind Schmauchspuren an der Wand, ein geparktes Auto hat Risse in der Windschutzscheibe. Die Polizei hält sich öffentlich bedeckt. Nun zeigt sich: Es war wirklich eine Explosion, die wohl im Zusammenhang steht mit einer Reihe weiterer Detonationen. Sie schreckten Ende Juni rechtsrheinische Stadtteile von Köln auf, am 1. Juli Engelskirchen – und am Freitag Duisburg. Die Geiselnahme von Bochum gehöre ebenfalls in diese Reihe, sagen die Ermittler am Montag und sprechen von „Tathintergründen im Bereich des organisierten Drogenhandels“.
„Betäubungsmittel im Wert eines Millionenbetrages unterschlagen“
Dass die so unterschiedlichen Ereignisse miteinander zu tun haben müssen, führen Staatsanwaltschaft und Polizei auf „personelle Verbindungen“ zurück. Nach derzeitigem Stand der Ermittlungen, so heißt es in einer gemeinsamen Stellungnahme, sei der Hintergrund eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen zwei Tätergruppierungen. Es habe Streit um ein Drogengeschäft gegeben, das beträchtliche Ausmaße gehabt haben muss: Es sollen „Betäubungsmittel im Wert eines Millionenbetrages unterschlagen worden sein“, offenbar geht es um einen hohen siebenstelligen Betrag, unter anderem für mehrere Hundert Kilogramm Cannabis und Kokain. Möglicherweise, berichten Medien, sollte durch die Entführung und die Explosionen eine große Menge der verschwundenen Drogen zurückgepresst werden.
Gegen fünf der Freitag und Samstag Festgenommenen (zwischen 22 und 29 Jahren) besteht der Verdacht der gemeinschaftlichen Geiselnahme und der gefährlichen Körperverletzung. Der sechste Tatverdächtige wird beschuldigt, Beihilfe zur Geiselnahme geleistet und gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben. Am Sonntag nahm die Polizei einen weiteren Mann fest, der mutmaßlich beteiligt gewesen sein soll, bei ihm wurden Bargeld und Mobiltelefone sichergestellt. Ob auch er wegen des dringenden Tatverdachts der Geiselnahme in Haft bleibt, sollte am Montag ein Haftrichter entscheiden.
Verbindungen zum Al-Zein-Clan?
Berichte der Bildzeitung, nach denen es sich bei den „personellen Verbindungen“ um familiäre Beziehungen der beiden entführten Bochumer zu kriminellen Mitgliedern des libanesischen Al-Zein-Clans handeln könnte, will eine Sprecherin der Kölner Staatsanwaltschaft nicht bestätigen. Auch nicht, wie ein angebliches Video vom Freitag zeigen soll, dass die beiden Opfer körperlich gequält worden seien. Fotos von dem eher unscheinbaren grauen Gebäude in Köln, in dem das SEK am 5. Juli zugriff, zeigen zerstörte Fenster und eine enorme Menge Glassplitter vor dem Haus, das laut Bild erst zum Monatsbeginn neu vermietet worden sein soll.
Hinweise auf einen politischen Hintergrund liegen nicht vor
Zum Gesundheitszustand der Opfer aus Bochum will sich die Staatsanwaltschaft ebenfalls ausdrücklich nicht äußern. Gerüchte, nachdem es einen weiteren Zusammenhang mit dem Bochumer Säureanschlag aus der vergangenen Woche geben könnte, will die Sprecherin gegenüber dieser Zeitung nicht bestätigen. Details könnten aus ermittlungstaktischen Gründen zum jetzigen Zeitpunkt nicht mitgeteilt werden. Hinweise auf einen möglichen politischen Hintergrund hinsichtlich der Explosionen lägen nicht vor.
Wohl aber dies: Die intensiven Ermittlungen führen auch in die Niederlande. Die Rede ist inoffiziell von der sogenannten „Mocro Mafia“, die Teile des Kokain-Markts in Europa beherrscht und in den vergangenen Jahren durch Auftragsmorde, Bedrohungen und Folter unliebsamer verfeindeter Krimineller aufgefallen ist. Ob es über die Explosionen in Duisburg und dem Raum Köln hinaus auch Verbindungen zur tödlichen Detonation in Solingen vom 25. Juni gibt, wird laut Staatsanwaltschaft ebenfalls ermittelt. Dort hatte ein 17-Jähriger eine Flasche Sprengstoff fallenlassen, vier Menschen wurden verletzt, darunter ein siebenjähriges Mädchen. Wohnsitz des später an seinen Verletzungen gestorbenen Mannes: die Niederlande.