Ulrich Sieg ist ein Chef zum Anfassen - bodenständig und ohne Allüren. Seinem Unternehmen, der Hochbahn, ist er seit 1978 treu. Es ist sein “Lebensjob“.
Ulrich Sieg, 62, empfängt die Besucher in seinem Büro im ersten Stock des Hochbahn-Hauses mit strahlendem Lächeln. "Freut mich, dass es mit unserem Treffen geklappt hat", sagt er mit festem Händedruck. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende verantwortet das Ressort "Betrieb und Infrastruktur". In seinem Büro schlägt das Herz der Hochbahn.
Ulrich Sieg bittet an den Konferenztisch, schenkt Kaffee und Wasser ein und schält sich nebenbei aus seinem Jackett - "Hoffe, es stört sie nicht, es ist doch ziemlich warm hier" - und wirft wieder ein verschmitztes Lächeln in die Runde. Sieg entwaffnet: Der Mann ist ein Menschenfänger ohne Kalkül und bestätigt gleich zu Beginn den Ruf, der ihm vorauseilt: Bodenständig sei er, ohne Allüren, ein genialer Kommunikator, Chef zum Anfassen und vor allem mit jeder Faser ein "Hochbahner".
Seine Verbundenheit mit dem Unternehmen ist nicht zu übersehen: Sieg hat sein Büro in ein Mini-Museum verwandelt. Auf einem Regal reihen sich Fahrzeugtypen aus verschiedenen Epochen der 100-jährigen Hochbahn-Geschichte, an der Wand hängen Entwürfe für die opulenten Mosaik-Fenster der U-Bahnhöfe Kellinghusenstraße und Flurstraße, heute Saarlandstraße. "Sind diese Zeichnungen nicht prachtvoll? Diesen Schatz habe ich im Archiv entdeckt und freue mich jeden Tag darüber", sagt Sieg und sein Lächeln wird noch eine Nuance breiter.
Ulrich Sieg ist ein Glücksfall für die Hochbahn. Und umgekehrt. Seit seinem Einstieg bei der Hochbahn-Tochter Hamburg Consult 1978, seinen verschiedenen Positionen bei der Hochbahn ab 1986 bis zu seinem Einzug in den Vorstand im Jahr 1999 hat der gebürtige Niedersachse die wichtigen Weichen für die erfolgreiche Entwicklung des Unternehmens mitgestellt. Vor allem hat er den "Systemgedanken" etabliert, durch den zum Beispiel U-Bahn- und Bus-Systeme verzahnt sind.
"Nicht zuletzt mit dieser Qualitätsoffensive haben wir die Fahrgastzahlen in den letzten sechs Jahren um knapp 15 Prozent steigern können", sagt Sieg. Mittlerweile sind es mehr als 420 Millionen. Stolz sei er vor allem auf die guten Ergebnisse in den regelmäßigen Kundenbefragungen, sagt Sieg. "Die Hochbahn hat seit Jahren ein exzellentes Image, vor allem was Pünktlichkeit und Service betrifft."
+++Hochbahn-Jubiläum im U-Bahnhof HafenCity+++
Seinen Aufstieg hat sich Ulrich Sieg hart erarbeitet. Der Sohn eines Maschinenmeisters kam 1949 in Ottensen, einem Dorf mit 350 Einwohnern bei Buxtehude, zur Welt. "Dort gab es eine Schule mit einem Lehrer und 30 Schülern - acht Altersstufen in einem Klassenraum", erzählt Sieg. Nach dem Hauptschulabschluss machte er eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. "Ich habe schon als Kind mit meinem Stabilbaukasten die dollsten Dinger gebaut." Bereits damals wusste er: "Technik ist genau meine Sache."
Und noch heute erinnert sich Sieg an den Geruch von Diesel in der Werkstatt und an das Gefühl der Werkzeuge und Schrauben in seinen ölverschmierten Händen. "Ich habe es geliebt", sagt er. Ein Berufsschullehrer erkannte seine technische Begabung und drängte ihn, nach Ende der Lehrzeit die mittlere Reife zu machen. Obwohl Sieg, anders als die anderen Schüler, weder Vorkenntnisse in Englisch, Chemie oder Physik mitbrachte, schaffte er als einer der wenigen seiner Klasse den Abschluss. Für ihn war dieser Erfolg eine Schlüsselerfahrung. "Ich habe Tag und Nacht gelernt, mich auf den Abschluss fokussiert und gemerkt, dass ich alles erreichen kann, wenn ich es nur ernsthaft genug will." Eine Erfahrung fürs Leben.
Während des anschließenden 18-monatigen Wehrdienstes traf Ulrich Sieg auf Kameraden, die wie er ihren Weg suchten, ihre Fähigkeiten analysierten und Ziele hinterfragten. Diese Zeit, sagt Sieg, habe ihn "menschlich wachsen und reifen lassen". Am Ende stand der Entschluss, den eingeschlagenen Weg mit aller Konsequenz weiterzuverfolgen.
Sieg studierte erst Fahrzeugtechnik an der Fachhochschule Hamburg, danach Maschinenbau an der Technischen Uni Berlin, insgesamt sieben Jahre lang. "Das Bewusstsein, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, hat damals ungeheure Kräfte bei mir freigesetzt." Ausgestattet mit zwei Schlüsselqualifikationen der Branche stand ihm die Arbeitswelt offen.
+++Mit dem inneren Kompass ganz nach oben+++
Bei der Entscheidung für seinen Arbeitgeber verließ sich Sieg auf sein Bauchgefühl. Im Jahr 1978 stieg er als Projektingenieur bei der Hochbahn-Tochter Hamburg Consult ein, wo er sich um alle technischen Probleme des öffentlichen Nahverkehrs kümmerte. Zwar hatte ihn damals auch der VW-Konzern umworben, doch schon nach dem ersten Vorstellungstermin in Wolfsburg fühlte er sich "total verschaukelt": "Ich hatte auf eine Ausschreibung im Bereich der Unfallforschung reagiert, ein Traumjob. Aber vor Ort wollten sie mich für die Getriebeentwicklung werben. Da wusste ich: Die hatten eine Lockanzeige geschaltet."
Nach zwei Jahren bei der Hamburg Consult wechselte Sieg zur Hochbahn. Dort fand er seinen "Lebensjob", wie er sagt. Er arbeitete sich über drei Jahrzehnte die interne Karriereleiter hoch, übernahm nacheinander leitende Funktionen im Bereich Omnibus-Verkehr und bei der U-Bahn. Seit 1993 ist er Spartenleiter U-Bahn und Prokurist, 1999 wurde er in den Vorstand berufen. Dort verantwortet Sieg die beiden wichtigsten Bereiche: den Schienenverkehr und das Busressort.
Seine Identifikation mit dem Unternehmen und die daraus resultierende Motivation wertet Sieg im Rückblick als wesentlichen Grund für seinen Aufstieg. Er tauchte in die Geschichte ein, beschäftigte sich eingehend mit der Infrastruktur, darunter die vielen architektonischen Besonderheiten der 89 U-Bahnhöfe auf dem 101 Kilometer langen Streckennetz. "Ich sah es von Anfang an als besondere Aufgabe, die historischen Bauten in Schuss zu halten und gleichzeitig das Hochbahn-Netz an die dynamische Entwicklung Hamburgs anzupassen
Entscheidend sei, die Balance zwischen Routine und Herausforderungen zu wahren. "Mir wurden gottlob immer rechtzeitig neue Aufgaben angetragen, an denen ich mich weiterentwickeln und bewähren konnte." Sein Rat: Wer jeden Tag gern zur Arbeit gehen will, sollte sich immer neue Herausforderungen suchen - "ob im eigenen Unternehmen oder anderswo".
Netzwerken und mit den Leuten reden ist sein Erfolgsrezept
Impulse für die Zukunft holt er sich auch beim Netzwerken - zum Beispiel mit den U-Bahn-Chefs von London, Paris oder Singapur. Ulrich Sieg trifft sie bei Zusammenkünften der UITP, der "International Association of Public Transport", deren Mitglied er ist. "Wir diskutieren hier die neuesten technischen Entwicklungen oder tauschen Erfahrungen aus, wenn es um Fragen der Instandhaltung oder organisatorischer Betriebsabläufe geht", sagt Sieg.
Als weiteren Erfolgsfaktor hat er den Dialog mit den gut 4400 Mitarbeitern ausgemacht. Die meisten seien der Hochbahn seit Generationen verbunden, viele Ehen würden hier gestiftet. Es sei wichtig, den Mitarbeitern die Ziele des Unternehmens plausibel zu machen. "Motivation funktioniert nur, wenn jemand von der Notwendigkeit seines Tuns überzeugt ist."
Ulrich Sieg weiß, dass er sich auf sein kommunikatives Talent verlassen kann. "Ich habe früh gemerkt, dass ich mit meiner offenen Art die Menschen erreichen und für meine Anliegen gewinnen kann." Ohne Murren praktizieren die Busfahrer daher zum Beispiel auch den "Einstieg vorn", samt Fahrkartenkontrolle, um die Zahl der Schwarzfahrer zu reduzieren. "Das bedeutet erst einmal mehr Arbeit, aber jeder weiß, dass es zum Wohl des Unternehmens ist." Dabei kommt Ulrich Sieg sein persönlicher Draht zu den meisten seiner Mitarbeiter zu Hilfe. "Sehr viele kenne ich noch mit Namen aus meinen vorherigen beruflichen Stationen bei der Hochbahn."
Wie im Arbeitsleben hat Ulrich Sieg auch privat keine Experimente gemacht. Seit 33 Jahren sei er mit derselben Frau verheiratet. Seine glückliche Ehe, die Freude an den beiden mittlerweile erwachsenen Kindern hätten ihm immer Halt und Kraft gegeben. Wieder lacht er, warm und von innen heraus. Ulrich Sieg ist ein Mensch, der seit Langem angekommen ist. Bei sich und auch bei vielen anderen.