Jens Luther ist Vorstand der Hanseatischen Krankenkasse. Seine Karriere basiert auf Fügung, Förderung und Gestaltungswillen.
Aufrecht steht er vor der Kulisse der Speicherstadt. Das volle Grauhaar und der entschlossene Gesichtsausdruck machen Jens Luther, 58, zu einem Archetyp des hanseatischen Kaufmanns. Keine Casting-Agentur hätte den Chef der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) als Werbeträger seines Unternehmens besser besetzen können.
Von Luther geht eine jungenhafte Energie aus. Er begrüßt den Gast mit festem Händedruck, strahlendem Lächeln und forscher Fröhlichkeit: "Sie sind ja superpünktlich, das bin ich auch immer, finde ich toll." Die athletische Statur und der federnde Schritt, mit dem er in sein Büro vorauseilt, verraten den ehemaligen Fußballer.
Luthers berufliches Schicksal ist fast symbiotisch mit der HEK verbunden. Hier begann er 1981 als Trainee, seit 1999 agiert er als Alleinvorstand. 2012 belegte das Unternehmen beim Wettbewerb "Hamburgs beste Arbeitgeber" Platz eins.
+++Engagement und Balance siegen+++
Unter Luthers Führung wuchs die Zahl der Mitglieder kontinuierlich, bis 2017 sollen es 500 000 Versicherte sein. Er selbst schreibt den Erfolg seiner Arbeit einer komplexen Mischung aus Fügung, Förderung, logischem Denken, Gestaltungswillen und Verantwortungsbewusstsein zu. "Im Rückblick klingt mein Werdegang sehr stringent, aber im Grunde bin ich immer nur meinem inneren Kompass gefolgt."
Zum Abitur kam er auf Umwegen. Obwohl Klassenbester, hatte er mit einer "glatten Sechs" in Latein die Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium nicht geschafft. Nach der mittleren Reife absolvierte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Esso AG und holte das Abitur auf dem Wirtschaftsgymnasium nach. Dass er während des Wehrdienstes in einer Kaserne in Hamburg-Jenfeld für das Fußballtraining in der Ligamannschaft des SC Langenhorn regelmäßig freigestellt wurde, wertet er als "das einzig Positive an dieser Zeit". Das habe seinen Teamgeist und sein Selbstvertrauen gestärkt.
Gäbe es nicht die HEK, wäre er gern Vorstandsvorsitzender des HSV. "Aber da lasse ich meinem Freund Felix Magath gern den Vortritt", sagt er in Anspielung auf eine Facebook-Aktion, die den Wolfsburger Trainer in neuer Funktion an die Elbe holen will.
+++Wer etwas erreichen will muss seine Ziele definieren+++
Dankbar ist Luther vor allem seinem Vater, der ihm das Studium der Volkswirtschaftslehre an der Uni Hamburg finanzierte. "Ich musste nicht nebenher arbeiten, das rechne ich ihm bis heute hoch an." Weil der Student keine Lust auf die überfüllten Hörsäle hatte, landete er "eher zufällig" im Seminar von Professor Jens Lübbert, einer Koryphäe der Sozialpolitik. Dort saß nur noch eine weitere Kommilitonin. "Wir trafen uns dann meist bei Lübbert zu Hause in Lemsahl." Sein Mentor hat Spuren bei ihm hinterlassen. Vor allem das von Lübbert geforderte "systematische Denken" sei ein wesentlicher Erfolgsfaktor für seine Karriere gewesen. Das systematische Denken sei eigentlich ganz simpel, sagt Luther: Es beginnt mit der Analyse der Ist-Situation, es folgen die Diskussion und die Entscheidung über zu treffende Maßnahmen. Danach die Umsetzung. "Viele Menschen beginnen im blinden Aktionismus mit den Maßnahmen und wundern sich, dass alles im Chaos endet."
Wer gegen diese Reihenfolge verstößt, bekommt Jens Luthers Unmut zu spüren: Wenn Mitarbeiter in einer Sitzung vor der Analyse bereits Maßnahmen propagieren, kommt es vor, dass er die Veranstaltung abbricht. "Ich will, dass meine Leute das lernen."
Nach dem Studium setzte Jens Luther erst einmal voll auf Karriere. Sein Mentor Jens Lübbert hatte ihn dem damaligen HEK-Chef Egon Bultze empfohlen, der sein dritter Förderer werden sollte. "Das war ein sehr strenger Mensch mit hohem Anspruch an sich und andere, aber das hat mich angespornt." Denn kämpfen, das lernte er schnell, muss jeder für sich und seine Erfolge selbst. Als Quereinsteiger und Akademiker ohne Stallgeruch musste er sich durch überragende Leistungen profilieren.
Es folgte die Ochsentour: Nach eineinhalb Jahren war er Chef des Vertragswesens - "das war bis dato null organisiert" -, später übernahm er die Leistungs- und zusätzlich die Marketingabteilung inklusive des Vertriebs. "Am Ende konzentrierten sich alle Schlüsselfunktionen bei mir." Dennoch dauerte es bis 1999, bis er endlich an der Spitze stand. "Erst in dieser Position konnte ich die HEK nach meinen Vorstellungen umkrempeln."
Der 1996 eingeführte Risikostrukturausgleich, bei dem er ein Viertel der Einnahmen an klamme Konkurrenten abführen musste, zwang ihn zu einschneidenden Maßnahmen. Er entließ mehr als 300 der 1000 Mitarbeiter, schloss Geschäftsstellen, schärfte das Profil der HEK als "Business-K(l)asse" für eine erfolgsorientierte Klientel. Die Strategie ging auf, wie steigende Mitgliederzahlen zeigen. "Hier habe ich mir bei Norbert Klusen von der TK abgeschaut, wie man eine Kasse zu einer starken Marke formt", sagt Luther. Aus der Krise hat er vor allem gelernt, noch stärker den Fähigkeiten seiner Angestellten und sich selbst zu vertrauen. "Wir sind bis heute ganz ohne irgendwelche Unternehmensberater ausgekommen. Darauf sind wir stolz."
Gelernt hat er auch, dass es sich lohnt, in der Not an Deck zu bleiben. Statt aus Bequemlichkeit Abwerbeversuchen anderer Unternehmen zu erliegen, schlug er sich mit Widersachern innerhalb der HEK herum, bis er seine Strategie durchgeboxt hatte. "Ich hätte mir nicht verziehen, vor diesen Auseinandersetzungen zu flüchten, dafür hatte ich zu viele Befürworter und Menschen um mich, die mir vertrauten."
Kraft schöpft Luther seit jeher auch aus den Erkenntnissen großer Denker und Philosophen. Er nimmt ein gerahmtes Zitat von der Wand. "Alles, was ich mir vorstellen kann, kann ich auch erreichen" steht da. Diese Kernbotschaft von Gary Hamel und andere seelische Anker - darunter viele asiatische Weisheiten - hat er als Leitbilder auf ein Kärtchen drucken lassen, das er an seine Mitarbeiter verteilt.
Privat gibt sich Luther ganz unprätentiös. Er lebt seit Jahren auf 68 Quadratmetern in Alsterdorf. "Das reichte mir bislang vollkommen." Mit seiner langjährigen Lebensgefährtin sucht er erst jetzt gemeinsam eine größere Wohnung. "Ottensen reizt mich. Ich bin aber in Alsterdorf schon sehr verwurzelt."
Als Unternehmenslenker hat er weiter viel zu tun. "Man muss immer wieder alles infrage stellen und an sich arbeiten", sagt Luther. Als Gesicht der HEK darf er bald erneut auf Plakaten und Broschüren seinen Kopf hinhalten. Auch die Slogans entwickelt er im Team. "Wir brauchen keine Werbeagentur, die besten Ideen haben wir selbst."