Hamburg. Am 19. Juli 2004 sorgte die „Queen Mary 2“ für einen Massenauflauf im Hafen und an den Ufern der Elbe. Ein Weckruf für die Branche.
Es war kein allzu langer Artikel im Hamburger Abendblatt vom 10. November 1999, doch wer sich damals schon für Kreuzfahrten interessierte, der spürte bereits, dass hier etwas ganz Besonderes angekündigt wurde.
Denn der Text lautete: „Die Legende lebt. Zwar liegt die alte ,Queen Mary‘ als eines der schönsten und größten Passagierschiffe aller Zeiten heute als Touristenattraktion am Pier im kalifornischen Hafen Long Beach. Doch die britische Cunard-Reederei, für die die alte Mary von 1936 an über den Atlantik fuhr, will nun eine noch größere ,Queen Mary 2‘ bauen lassen. Mit einer Länge von 335 Metern soll sie das derzeit größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die ,Voyager of the Seas‘, noch übertreffen. Gebaut wird das Schiff – wie berichtet – vermutlich von einer italienischen oder deutschen Werft. Gespräche werden mit fünf Werften geführt. Der neue Luxusliner soll im Jahr 2003 im Dienst sein. Der Ozeanriese mit einer Länge von mehr als drei Fußballfeldern kann 2500 Passagiere befördern und soll sogar eine eigene Brauerei an Bord haben. Cunard will mit der ,Queen Mary 2‘ nach Worten von Cunard-Chef Larry Pimentel zum ,goldenen Zeitalter der Schiffsreisen‘ zurückkehren.“
Was damals wohl noch niemand wirklich geahnt hat: dass eben jene „Queen Mary 2“ Hamburg ein paar Jahre später in einen regelrechten Kreuzfahrt-Rausch versetzen würde, der – flankiert vom Aufstieg der Reederei Aida Cruises und dem Start von TUI Cruises – das Thema Hochseereisen in Deutschlands Norden auf ein völlig neues Niveau heben würde.
„Queen Mary 2“ im Hafen: Hamburg hat Kreuzfahrtgeschichte geschrieben
Tatsächlich ist die Geschichte der Kreuzfahrt in Hamburg schon 120 Jahre alt. Am 25. Juni 1903 legte im Hamburger Hafen die „Prinzessin Victoria Louise“ der Hamburg Amerika Linie (Hapag) ab. Die Etappenziele dieser Fahrt auf der luxuriösen „Vergnügungsyacht“ lagen fast zum Greifen nahe: Kiel, Eckernförde, Glücksburg, Kopenhagen. Im Gepäck der solventen Passagiere befand sich die begründete Hoffnung, Seine Majestät den Kaiser höchstpersönlich aus der Ferne zu sehen – oder zumindest die Kaiseryacht.
Während die Reedereien von Expeditionsschiffen heutzutage mit der Sichtung von Walen, Walrossen und Eisbären werben, gehörte damals die PR für Kaiser Wilhelm II. zum Geschäftsmodell der Reederei. Der schiffsverliebte Monarch nahm regelmäßig an der „Kieler Woche“ teil. Und genau dahin steuerte der nach seiner Tochter benannte Dampfer im Frühsommer 1903 samt Dunkelkammer, um die Filme mit den Schnappschüssen vom Kaiser zeitnah zu entwickeln.
In Hamburg wurden viele Schiffe mit legendären Namen gebaut
Ließ der Erfinder der Kreuzfahrt, Albert Ballin, Generaldirektor der Hapag, die erste Lustreise 1891 in Cuxhaven und damit seinerzeit auf hamburgischem Staatsgebiet starten, so verlagerte sich der Schwerpunkt zunehmend auf den Hafen der Hansestadt Hamburg. In den späten 1930er-Jahren wurde die Elbmetropole sogar zum wahrscheinlich größten Kreuzfahrthafen der Welt.
Und das mit gutem Grund: Es gibt wohl kaum einen anderen Hafenplatz auf der Welt, in dem so viel Kreuzfahrtgeschichte geschrieben, neue Trends gesetzt und Schiffe mit bis heute legendären Namen gebaut wurden. Mit den Bahnverbindungen aus dem ganzen Deutschen Reich erwies sich der Verkehrsknotenpunkt Hamburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts als idealer Startpunkt für maritime Traumreisen. Zumal der 1895 fertiggestellte Kaiser-Wilhelm-Kanal (heute Nord-Ostsee-Kanal) den Weg in die Ostsee und damit nach Skandinavien deutlich verkürzte.
Die Vergnügungsfahrten zu Kaisers Zeiten, die in Hamburg nach Norwegen starteten, standen im Zeichen des Luxus. Die Passagierkabinen der „Prinzessin Victoria Louise“, des ersten Kreuzfahrtschiffneubaus der Welt, verfügten teilweise schon über Wohn- und Schlafzimmer sowie Bad und Toilette. Damit gehörten die übereinander liegenden Schiffskojen der Vergangenheit an.
Schiffe der Hapag und des Norddeutschen Lloyd galten als „schwimmende Kurorte“
Bedienstete der Kreuzfahrtpassagiere fanden in eigenen Kammern Unterkunft. Die Schiffe der Hapag und des Norddeutschen Lloyd galten als „schwimmende Kurorte“. Wellness und Sport waren schon damals Trumpf.
Da es den Passagieren an Bewegung auf Seereisen vielfach mangelte, müsste die Yacht „Prinzessin Victoria Louise“ einen Saal für Heilgymnastik erhalten, ordnete Albert Ballin an. Mehr noch: Panoramadecks revolutionierten das Flanieren und Fotografieren an Seetagen, opulent einladende Speisesäle das gemeinsame Dinieren.
Doch der Service für die reiselustigen Gäste vor dem Einstieg zum Schiff ist mit heutigen Maßstäben nicht vergleichbar. „Cruise Terminals“ standen nicht zur Verfügung, Toiletten, Bistros und Souvenirläden ebenfalls nicht. Die Hafenkante diente überwiegend dem Umschlag von Kaffee, Teppichen, Kohle, Holz, Zement oder Vieh, hatte aber keine Aufenthaltsqualität für potenzielle Frackträger.
Mitten in dieser rauen, hastigen Hafenlandschaft, den Stauervizen und Stückgutfrachtern, den rauchenden Schloten und Arbeiter-Kolonnen, stachen wie Exoten die Kreuzfahrtschiffe in See. Weil es noch keine eigene Pier für diese Passagiere gab, gingen sie mitten im Getümmel an der Überseebrücke, im Kaiser-Wilhelm-Hafen vor dem Schuppen 73 und im Kuhwerder-Hafen an Bord.
Hamburg Süd erfand 1925 mit günstigen Seereisen die Drei-Sterne-Kreuzfahrt
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte der Luxustourismus erst einmal Pause. Stattdessen wollten möglichst viele Menschen in den sogenannten goldenen 20er-Jahren eine Seereise zu erschwinglichen Preisen unternehmen. Es war die Reederei Hamburg Süd, die 1925 mit günstigen Seereisen die Drei-Sterne-Kreuzfahrt erfand. Nicht ganz freiwillig allerdings: Weil das Unternehmen, anders als geplant, seine neuen Monte-Schiffe im Auswandererverkehr nach Südamerika nicht mehr gewinnbringend einsetzen konnte, bot es nun Urlaubsreisen für knappe Budgets an – mit wachsendem Erfolg. Los ging’s damals noch zwischen Stückgutfrachtern und dampfenden Kränen im Hamburger Hafen.
Masse statt Klasse war dabei schon eines der Erfolgsrezepte. Statt knapp 130 Passagieren wie auf der „Prinzessin Victoria Louise“ boten die Schiffe der Monte-Klasse mehr als 1000 Menschen bei Kreuzfahrten Platz. Beliebt waren vor allem die Nordlandreisen. Von Hamburg bis in die norwegischen Fjorde und zum Nordkap und Spitzbergen zu fahren, kostete im Jahr 1930 rund 150 Reichsmark – also nicht mehr als ein guter Anzug für den Herrn. Aber auch das Mittelmeer war ein erschwingliches Sehnsuchtsziel: Ein Törn dorthin schlug mit 200 Reichsmark zu Buche.
Die Nationalsozialisten, die 1933 an die Macht kamen, perfektionierten den maritimen Massentourismus mit Reisen ab deutschen Häfen. Landgänge im Ausland fielen aber flach, weil es an Devisen mangelte. Dafür konnte sich nun nicht nur die Mittelklasse eine Seereise leisten, sondern selbst die einfachen Arbeiter.
Für die Abfertigung der „Queen Elizabeth II“ mussten zusätzlich Dalben befestigt werden
Die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ (KdF) ließ in den späten 30er-Jahren sogar zwei spezielle Kreuzfahrtschiffe bauen, die „Robert Ley“ und die „Wilhelm Gustloff“. Letztere erlangte traurige Bekanntheit, weil sie im Januar 1945 als Flüchtlingsschiff mit fast 10.000 Menschen an Bord von einem russischen U-Boot torpediert und versenkt wurde. Rund 9000 Passagiere kamen dabei ums Leben.
In der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Hansestadt in Trümmern, an Kreuzfahrten dachte niemand mehr im Kampf ums tägliche Überleben. Einen zaghaften Neustart wagte 1958 die Hapag. Die traditionsreiche Reederei hatte die „Ariadne“ für Mittelmeer- und Nordlandreisen gekauft.
Den Durchbruch erzielte schließlich der in Hamburg lebende dänische Reeder Axel Bitsch-Christensen, respektvoll „ABC“ genannt. Er erwarb die fast 30 Jahre alte britische „Empress of Scotland“ und ließ sie in Hamburg zu einem schnittigen Liner umbauen, der auf den stolzen Namen „Hanseatic“ getauft wurde. Unterdessen kehrten auch britische Reedereien wie Cunard mit Kreuzfahrten nach Hamburg zurück.
„Für die Abfertigung des „Riesenliners“ ‚Queen Elizabeth II‘ mussten an der Überseebrücke im Jahr 1972 sogar zwei zusätzliche Dalben befestigt werden“, erinnert sich Stefan Behn, Kreuzfahrt-Experte und Vorsitzender von Hamburg Cruise Net, einem wichtigen Netzwerk und Impulsgeber für die Kreuzschifffahrt in Hamburg. Selbst wer noch in den 1980er-Jahren mit der damaligen „Europa“ eine Seereise unternehmen wollte, musste sich am schnöden Schuppen 73 einfinden – in Sichtweite zu den Containerschiffen. „Die Fahrt dorthin wurde mit dem Taxi unternommen, es waren ja auch nur 600 Passagiere“, sagt Behn.
„Queen Mary 2“: „Ein langer, dunkler Ton kündete von der nahen Ankunft“
Dann begann erneut eine Zeitenwende. Die Kreuzschifffahrt, lange im Vergleich zum landgestützten Urlaub nicht mehr als eine kleine elitäre Nische, wuchs und wuchs – und zog alsbald die Massen in ihren Bann.
Die größte Begeisterung löste die erste Ankunft der „Queen Mary 2“ am 19. Juli 2004 aus. Hunderttausende feierten das Spektakel mit. Das Abendblatt schrieb: „Ein langer, dunkler Ton aus dem Horn kündete zuerst von der nahen Ankunft der Königin der Meere. Langsam, als wollte sie sich in aller Ruhe bewundern lassen, schob sich die ,Queen Mary 2‘ am frühen Morgen die Elbe hinauf. Kurz vor dem Ankerplatz am Grasbrook-Terminal war es, als könne dieses größte und schönste Passagierschiff aller Zeiten sogar die Wolken vor sich herschieben. Wo der Himmel eben noch dunkelgrau war, schien für einen kurzen Moment sogar die Sonne auf die weißen Decks. Die Menschen an Bord und die Menschen an Land, sie begegneten sich wie alte Freunde: Schon mitten in der Nacht, weit vor der Hamburger Landesgrenze, war das Schiff immer wieder durch ufernahe Blitzlichtgewitter gefahren.“
- „Queen Mary 2“ – Hamburgs Lieblingsschiff hat wieder im Hafen angelegt
- Kreuzfahrt Guide Awards: Expertenjury kürt die Kreuzfahrtschiffe des Jahres
- Hamburg-News: Bessere Noten für Kreuzfahrtschiffe in Sachen Umwelt
Der Empfang, den die Hansestadt der Queen, ihrer Crew sowie den 2620 Passagieren bereitete, wird in die Geschichte des Schiffes und des Hamburger Hafens eingehen. „Ich bin seit der ersten Fahrt dabei, aber so etwas Schönes gab es noch in keiner Stadt“, sagte ein gerührtes Crewmitglied.
Mehrere Hunderttausend Hamburger schwenkten damals zwischen Schulau und Grasbrook Tücher, winkten den Reisenden auf ihrem Traumschiff zu. In Othmarschen gingen Leuchtraketen hoch, als der Luxusliner passierte. „Viele der Gäste an Bord waren ähnlich früh aufgestanden wie die Sehleute am Ufer, um die Einfahrt in einen der schönsten Häfen der Welt zu bestaunen.
Manche traten noch etwas verschlafen auf ihre Balkone – in weißen Cunard-Bademänteln. Andere hatten eine Deutschlandfahne an ihr Balkongeländer gehängt und winkten überschwänglich. Ein offenbar mit Hamburger Sitten vertrauter Kreuzfahrer rief der jubelnden Menge in der HafenCity immer wieder ein lautes ,Hummel Hummel‘ entgegen. Die Hamburger antworteten vielstimmig und prompt: ,Mors Mors!‘“, hieß es in dem Bericht weiter.
Mehr als 400.000 Menschen staunten an den Ufern der Elbe
Es waren letztlich wohl mehr als 400.000 Menschen, so schätzte es zumindest die Hamburg Tourismus GmbH, die gekommen waren, um sich das Spektakel anzusehen. Und nicht nur die Zeitungen mit ihren Reportern und Fotografen waren vor Ort, sondern natürlich auch das Radio und das Fernsehen.
Dem Abendblatt-Protokoll sind noch weitere Details dieser Fahrt zu entnehmen: „Um 7.17 Uhr war das Anlegemanöver reibungslos geglückt. Kapitän Paul Wright steuerte sein Eiffelturm-langes Schiff ohne Schlepperhilfe an den Anleger des Hamburg Cruise Centers. Dort warteten schon zahlreiche Taxen und Reisebusse auf die Bord-Ausflügler. Knapp 1000 der Schiffsgäste – überwiegend Amerikaner und Engländer – verließen Hamburg auf direktem Weg Richtung Berlin, teilweise auch nach Lübeck oder Bremen. Viele Hamburger standen da noch immer mit offenem Mund, teilweise gar mit Tränen in den Augen am Kai und blickten begeistert auf das Traumschiff.“
Abgefertigt werden konnte das imposante Schiff damals noch am Großen Grasbrook in der HafenCity. Dort war 2001 ein erster Kreuzfahrtterminal auf dem Gelände eines ehemaligen Forstprodukteterminals entstanden. Das Terminalgebäude bestand aus 200 Standardcontainern, ein Symbol für die enge Verzahnung des Hamburger Hafens mit dem Containerumschlag. Inzwischen gibt es in der Hansestadt drei Terminals: Baakenhafen, Altona und Steinwerder.
2024 soll ein neues Terminal, integriert in das Überseequartier, in Betrieb gehen, also dort, wo 20 Jahre zuvor die „Queen Mary 2“ anlegte. Zum Jubiläum wird sie allerdings dorthin kaum zurückkehren, denn mittlerweile ist die Elbe an dieser Stelle nicht mehr tief genug für solche Riesenschiffe – und müsste erst mal ausgebaggert werden.
Gerade erst wurde Hamburg zur „Destination des Jahres“ gewählt
Der Rummel rund um die „Queen Mary 2“, zahlreiche spektakuläre Schiffstaufen, die neuen Terminals, der Hafengeburtstag und schließlich die Einführung der Cruise Days haben aus Hamburg eine weltweit beachtete Kreuzfahrtadresse gemacht. Kein Wunder also, dass die Stadt gerade erst im Rahmen der Messe Seatrade zur „Destination des Jahres“ gewählt wurde.
Allein das heutige Unternehmen Hapag-Lloyd Cruises, das aus der alten Hapag und dem Norddeutschen Lloyd entstanden war, ließ seit 1890 nach eigenen Angaben mehr als 30 Kreuzfahrtschiffe in der Hansestadt taufen. Die Jungfernfahrt der „MS Europa“ (dem sechsten Schiff mit diesem Namen) führte ab 15. September 1999 von Hamburg nach Malaga. Und nach der Taufe des Expeditionsschiffes „Hanseatic Nature“ ging es am 4. Mai 2019 von Hamburg aus über die Hebriden zu den Orkney- und Shetlandinseln.
Auch TUI Cruises, MSC Kreuzfahrten, Aida Cruises und Plantours Kreuzfahrten („MS Hamburg“) setzten mit ihren Hamburger Schiffstaufen spektakuläre Zeichen. Zur Taufe der „Mein Schiff 3“ am 12. Juni 2014 gab es vor dem Feuerwerk eine Show mit Taufpatin Helene Fischer. Bei der Taufe der „Aidadiva“ im Jahr 2007 verzückte eine 600 Meter hohe Feuerwerks- und Lasershow die Gäste. Und für die Taufen der „MSC Magnifica“ und „MSC Grandiosa“ kam sogar Sophia Loren nach Hamburg. Und das sind nur einige Beispiele.
Cunard-Reederei schickt 2024 die „Queen Anne“ nach Hamburg
Noch immer ist das Interesse an Kreuzfahrtschiffen ungebrochen, wie zuletzt die Cruise Days Anfang September mit ihren mindestens 250.000 Besuchern zeigten. Doch mischen sich längst auch kritische Stimmen mit ins Konzert, denn wie sonst höchstens noch die Luftfahrt und der Straßenverkehr steht die vergnügliche Seereise längst im Fokus der Klimaschützer. Immerhin: Landstrom für Schiffe soll bald überall in Hamburg beziehbar sein, und die Reedereien haben längst selbst erkannt, dass mehr Nachhaltigkeit für die Zukunft ihrer Branche unerlässlich ist.
2024 steht für Hamburg übrigens erneut der Anlauf einer neuen Queen auf dem Programm. Es ist die „Queen Anne“, die derzeit noch in Italien im Bau ist.