Hamburg. Fand bei der Pella Sietas Werft eine Insolvenzverschleppung statt? Das Unternehmen und die Staatsanwaltschaft schweigen.

Das wirtschaftliche Drama um die Pella Sietas Werft nimmt kein Ende. Schon vor Monaten hat der älteste deutsche Schiffbaubetrieb seine Arbeiten wegen Zahlungsunfähigkeit eingestellt. Jetzt droht ein rechtliches Nachspiel. Im Raum steht der Vorwurf der Insolvenzverschleppung. Seit Mai hatten viele der rund 300 Werftarbeiter kein Kurzarbeitergeld mehr bekommen. Aber erst am 31. Juli meldete die Unternehmensführung beim Amtsgericht Hamburg Insolvenz an.

„Für uns steht außer Frage, dass es zu einer Insolvenzverschleppung gekommen ist. Wir prüfen derzeit, wie viel eher die Anmeldung hätte erfolgen müssen“, sagte der Insolvenzverwalter Achim Ahrendt dem Abendblatt.

Pella Sietas: Wurde die Insolvenz der Werft verschleppt?

Wird eine Insolvenzverschleppung nachgewiesen, hat das strafrechtliche Konsequenzen. Das sei aber Sache der Staatsanwaltschaft, so Ahrendt. Die Behörde will nicht bestätigen, dass es zu Ermittlungen kommt, dementiert das aber auch nicht: „Es wird diesbezüglich keine Auskunft erteilt“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hamburg. Eine festgestellte Insolvenzverschleppung kann mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren und hohen Geldstrafen geahndet werden. Ahrendt will auf zivilrechtlichem Wege Geld sehen: „Wir werden Haftungsansprüche geltend machen. Unklar ist noch, in welcher Höhe.“

Fraglich ist aber, wer für die Schäden aufkommen wird. Denn der Geschäftsführer der Werft, Garegin Tsaturov, sitzt beim Mutterkonzern Pella Shipyard in Russland außerhalb des Arms der deutschen Justiz. Er hatte das operative Geschäft in Hamburg seiner Direktorin Natallia Dean überlassen. Diese war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Eine Anfrage des Abendblatts bei Pella Shipyard in St. Petersburg blieb unbeantwortet. Ahrendt verfolgt den Fall ungeachtet dessen weiter.

Auftragslage war nicht der Grund für die Insolvenz

Spätestens Ende Mai hätte die Geschäftsführung realisieren müssen, dass kein Geld mehr für die Löhne der Mitarbeiter da ist, sagt er. Dabei ist Pella Sietas nicht wegen mangelnder Aufträge in die Pleite gerutscht. Es war viel mehr so, dass diese Aufträge immer teurer wurden und kein Geld floss. In der Schiffbauhalle der Werft in Neuenfelde liegen noch einzelne Sektionen einer Wattenmeerfähre nach Norderney. Gearbeitet wird daran nicht mehr.

Der Besteller, die Reederei Norden Frisia, hat den Auftrag im Zuge der Insolvenz storniert. Für die Stadtwerke Konstanz baute Pella Sietas eine Bodenseefähre. Ein modernes Schiff mit einem umweltfreundlichen Gas­antrieb. Doch die aufwendige Logistik zwischen Hamburg und dem Bodensee, dazu Verzögerungen bei Lieferketten wegen Corona, brachten das Projekt ins Trudeln. Pella Sietas fehlte das Geld und reduzierte die Arbeiten. Unter diesen Umständen war klar, dass der Auftrag­geber nichts nachschießen würde.

Forderungen mehrerer Unternehmen in Millionenhöhe

In Hamburg steht seit Monaten der Bau eines Baggerschiffs für den Bund vor dem Abschluss. Eigentlich sollte der Laderaumsaugbagger im Dezember 2018 fertig werden, doch auch hier kam es immer wieder zu Verzögerungen. Schließlich scheiterte das Aufschwimmen des Schiffes lange Zeit an dem verschlickten Werftbecken. Inzwischen konnte der Kasko in tieferes Wasser verholt werden und liegt bei Hamburgs anderer Traditionswerft Blohm+Voss, ohne dass inzwischen daran weitergebaut wurde.

Hinzukamen Außenstände bei Zulieferern – titulierte Forderungen mehrerer Unternehmen in Millionenhöhe. Die Ansprüche der Gläubiger beliefen sich zuletzt laut Insolvenzverwalter auf 30 Millionen Euro. Hinzukommt ein ebenso hoher Betrag an Avaleforderungen von Banken. Als Ahrendt Anfang August die Geschäfte der Werft übernahm, waren in der Kasse noch 8000 Euro. „Mancher Kleintierzüchterverein hat mehr Geld als diese Werft“, sagte er damals.

Eigentümer übernahm Pella Sietas aus erster Insolvenz

Die finanzielle Schieflage hätte allein der Eigentümer der Werft retten können. Das war die russische Schiffbaugruppe Pella Shipyard. Sie hatte 2014 die damalige Sietas Werft aus ihrer ersten Insolvenz übernommen. Sie versprach damals, den Hamburger Schiffbaubetrieb mindestens acht Jahre fortzuführen, und pumpte immer wieder Millionensummen nach Hamburg. Doch zuletzt kämpfte sie gegen eine eigene finanzielle Schieflage.

Die russische Sber-Bank hatte den Geldhahn zugedreht. Von dem Versprechen war nichts mehr übrig. Die Hamburger Werftleitung unter Direktorin Dean versuchte daraufhin unter den Corona-Rettungsschirm des Bundes zu schlüpfen und Hilfen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds des Bundeswirtschaftsministeriums zu ergattern. Ohne Erfolg. Ahrendt hielt schon das für nicht in Ordnung: „Da wurde darauf gezockt, dass die 68 Millionen Euro vom Bund fließen, damit man etwas Zeit gewinnt, anstatt dass man gleich die Zahlungsunfähigkeit bekannt gibt“, urteilt er.

Wichtigstes Ziel: Baggerschiff für den Bund retten

Von den einst 300 Mitarbeitern sind heute noch rund 30 bei der Werft hinter dem Este-Sperrwerk beschäftigt. Sie seien auch noch nicht gekündigt, sagte Ahrendt. „Das liegt vor allem an dem Laderaumsaugbagger, der derzeit bei Blohm+Voss liegt. Dieser wird rund um die Uhr bewacht, sodass etwa 15 bis 20 Leute dafür benötigt werden.“

Ahrendt sieht jetzt als wichtigstes Ziel, das Baggerschiff für den Bund zu retten. Es soll nämlich auch dafür eingesetzt werden, die Fahrrinne der Elbe von Schlick frei zu halten. „Die Fertigstellung des Schiffes hat für uns oberste Priorität“, so der Insolvenzverwalter. Der Bund sei weiter daran interessiert, wolle die restlichen Arbeiten aber nicht in Eigenregie fortführen.

Das Vermächtnis der alten Pella Sietas Werft

„Deshalb finden nun Verhandlungen mit den Subunternehmen statt, deren Aufträge noch nicht abgearbeitet wurden.“ Es ginge nicht um Stahlarbeiten, die originär Pella Sietas oder Blohm+Voss machen, sondern um Ausrüstungsarbeiten der Zulieferindus­trie. „Das Schiff muss fertiggestellt werden. Alles andere wäre keine Option, denn sonst hätten wir eine 100 Millionen Euro teure Stahlruine, was erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen würde.“

Auch über das Werftgelände in Neuenfelde verhandelt der Insolvenzverwalter mit mehreren Investoren. Hamburg wünscht eine industrielle Nutzung der Flächen. Das wäre das letzte Vermächtnis der großen alten Sietas Werft.