Hamburg. Neue Konstruktion der Retheklappbrücke ist häufig defekt. Fundament der Vorgängerin steht immer noch. Firma zieht Konsequenzen.
Die Retheklappbrücke ist ein Unikat. Mit ihrer Spannweite von 104 Metern ist die kombinierte Straßen- und Eisenbahnkonstruktion Europas größte Klappbrücke – eigentlich ein Meisterwerk der Technik. Doch für einige Unternehmen im Hafen ist sie eher ein Hindernis.
Vornehmlich für Betriebe, deren Kaianlagen hinter der Brücke liegen. Sie haben nämlich jetzt erheblich mehr Probleme, ihre großen Schiffe an die Kaimauern zu bekommen. Ein Beispiel ist der Futtermittelspezialist Habema.
Klappbrücke: Firmen-Chef platzt der Kragen
Seit den 1960er-Jahren ist das Unternehmen in Hamburg aktiv. Anfangs arbeitete es als Importeur für Futtermittel-Rohstoffe, heute mit rund 130 Angestellten auch als Exporteur von Getreide in alle Welt.
Nach einem Vorfall Anfang August platzte dem Kaufmännischen Leiter des Agrarhändlers mit Sitz am Reiherstieg, Jes-Christian Hansen, der Kragen, und er griff zum Telefon, um sich bei der Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) und beim Unternehmensverband Hafen Hamburg zu beschweren.
Dabei ging es um die „Vibeke Iris“. Das ist ein 230 Meter langer Frachter, der mit 30.000 Tonnen Sojaschrot aus Brasilien beladen am 5. August morgens um 6 Uhr bei Habema am Kai festmachen sollte. Alles war vorbereitet. Die Löschmannschaft war bestellt, die Mühlen in Norddeutschland und Tschechien warteten auf die Ladung, sogar nach Ungarn sollte ein Teil der Ware gehen.
Retheklappbrücke: Nadelöhr für große Schiffe
Doch nur wenige Stunden vor der Ankunft musste das Schiff in der Deutschen Bucht stoppen. Die nautische Zentrale, die zuvor eine Freigabe erteilt hatte, untersagte die Weiterfahrt. Denn für die Passage der neuen Retheklappbrücke forderte sie wegen der aktuellen Hochwassersituation aus Sicherheitsgründen den Einsatz von drei Schleppern – und diese standen im Hafen nicht zur Verfügung.
Die „Vibeke Iris“ kam erst mit dem Stauhochwasser – zwölf Stunden später – den Reiherstieg hinauf. Das führte zu erheblichen Mehrkosten. Und es war nicht der erste Vorfall dieser Art. Hansen hat jetzt als Konsequenz Investitionen in den Standort gestoppt. Jahrzehntelang haben die Frachter Habema mit nur zwei Schleppern angefahren. Den dritten Schlepper benötigen sie erst, seit es die neue Retheklappbrücke gibt. Diese müssen die Frachter passieren, um Habema am Ende des Reiherstiegs zu erreichen.
Mehr zum Thema Hafen:
- Hamburg verzichtet auf HHLA-Millionen und stockt Anteile auf
- Hafen-Krise: Opposition kritisiert Politik des Senats scharf
- Linke: Senator soll in den Aufsichtsrat der HHLA gehen
Das Problem ist nicht die neue Brücke an sich. Dass deren Bauzeit vier Jahre länger dauerte als geplant, hat die Wirtschaft bereits verdaut, und auch dass sich die Baukosten von ursprünglich 95 auf 173 Millionen Euro erhöht haben; das bezahlen letztlich alle Steuerzahler, nicht nur die Firmen.
Was aber die Betriebe trifft, ist der Umstand, dass die HPA die neue Retheklappbrücke in Betrieb nahm, aber die alte Hubbrücke, die zuvor das Wasser überspannte, noch nicht vollständig abgebaut hat. Die Fundamente gibt es weiterhin und sie ragen ins Fahrwasser. Dadurch wird das Nadelöhr für die Schiffe, die den Bereich passieren müssen, enger. Und so kommt es immer wieder vor, dass die Schiffsabfertigung bei Habema ins Stocken gerät.
Habema stoppt Investitionen in Hamburger Hafen
Und dieses Problem wird so schnell auch nicht gelöst werden: Frühestens Ende 2022 sollen die Fundamente der alten Rethebrücke vollständig beseitigt sein. „Unsere Kunden bauen auf unsere Terminverlässlichkeit. Wenn wir die nicht mehr gewähren können, ist das standortschädigend“, sagt Hansen. Hinzu komme, dass die neue Brücke noch unzuverlässig arbeite. Sie sei allein zwischen Januar und Mai wegen technischer Störungen 18-mal ausgefallen.
Hamburg ganz verlassen kann Habema nicht. „Viele unserer Kunden sitzen im Norden.“ Weiter investieren will Hansen aber unter diesen Umständen definitiv nicht mehr. So hatte Habema zwar die Genehmigung zum Bau eines Lagerkomplexes für 30.000 Tonnen Futtermittel. Das Vorhaben mit einem Investitionsvolumen von drei Millionen Euro hat das Unternehmen aber nun auf Eis gelegt.
Stattdessen wurde in ein neues Futtermittel-Terminal im sächsischen Heidenau investiert. „Die Wettbewerbshäfen Rostock, Mukran und Brake werden seit Jahren kontinuierlich für Massengutfrachter ausgebaut. In Rostock haben die Kaibetriebe mehr als 40 Millionen Euro in ihre Getreideanlagen investiert. Wir verlieren hier wegen der Einschränkungen den Anschluss“, sagt Hansen. „HPA-Chef Jens Meier hat versprochen, dass die Hafenwirtschaft mit der neuen Brücke keine Probleme mehr haben wird. Das Gegenteil ist der Fall.“
Brücken-Ärger noch bis Ende 2022?
Warum es nach dem Bau der neuen Rethebrücke so lange dauert, die Reste der alten Brücke zu entfernen, darüber kann Hansen nur spekulieren. „Die neue Brücke ist wahrscheinlich zu teuer geworden, sodass der HPA das Geld für den Rückbau der alten ausgegangen ist.“
Die für die HPA zuständige Wirtschaftsbehörde räumt ein, dass es zu erheblichen Verzögerungen beim Rückbau der Fundamente der alten Rethebrücke gekommen ist. „Erst 2022 kann mit dem Rückbau begonnen werden, und die Fertigstellung der endgültigen Fahrrinnenbreite von 64 Metern wird Ende 2022 realisiert sein“, sagte eine Behördensprecherin.
Eine Brücken-Panne jagt die nächste
Grund hierfür sei aber nicht fehlendes Geld. Die Verzögerung resultierte vielmehr zum einen aus der späteren Verkehrsfreigabe der neuen Brücke und zum anderen aus einem „Marktversagen“ bei der Ausschreibung zum Abriss der alten Brücke.
„Die Ausschreibung der Rückbauleistungen erbrachte kein wirtschaftliches Ergebnis“, sagte die Sprecherin. Daraufhin sei sie aufgehoben worden. Den Vorwurf, die HPA kümmere sich nicht, wies sie allerdings zurück: Gerade für Habema habe die Hafenbehörde in der Vergangenheit „pragmatische Lösungen“ gefunden.
Am Donnerstag gegen 16 Uhr meldete die HPA übrigens, dass die neue Brücke mal wieder nicht funktioniere.