Der Insolvenzverwalter Jan Wilhelm saniert die Lindenau-Werft. Er glaubt an die Zukunft der Branche. Eine Reportage.
Schiffe kann Jan H. Wilhelm nicht zeigen. Es sind keine Schiffe da. Die Werft hat keine Aufträge, jedenfalls nicht für Neubauten. Und Anfragen für Reparaturen kommen eher kurzfristig herein. Schiffe stehen bei der Lindenau-Werft an diesem Tag nur in den Vitrinen des Verwaltungsgebäudes, Modelle von Tankern sind es vor allem. Tanker sind die Spezialität des Kieler Unternehmens mit seinen 280 Mitarbeitern.
Die Bauplätze der Werft sind leer. Aber das "Gerede" von der Krise mag der Hamburger Insolvenzverwalter trotzdem nicht mehr hören. Das regt ihn so auf, dass er gleich aus seinem gut geschnittenen Anzug fahren möchte. Wilhelm sitzt im Konferenzraum vor einer Tasse Kaffee, rührt sie aber nicht an, weil er erst mal eine kleine Werbekampagne für die deutsche Werftindustrie loswerden muss. "Dieser Pessimismus, dass es für den deutschen Schiffbau keine Zukunft gebe, ist heute genauso unrichtig, wie er es vor zehn, 20 oder 30 Jahren war", sagt er und fügt fast trotzig hinzu: "Es wird immer Bedarf für gute deutsche Werften geben."
Er jedenfalls will seinen Beitrag dazu leisten, dass angeschlagene Unternehmen wie die Lindenau-Werft überleben. Neben dem Verwaltungsgebäude steht sein metallicfarbener BMW, eine Luxuslimousine, die mit Straßendreck überzogen ist. Zehntausende Kilometer fährt Wilhelm im Jahr. Er ist ein rastloser Sanierer, er schätzt zielstrebiges Vorgehen und präzise Analysen. Die Grabreden, die auf den deutschen Schiffbau gehalten werden, ärgern ihn. "Die deutschen Werften bauen technologisch hoch qualitative Schiffe. Damit hat der Standort Deutschland auch künftig seine Berechtigung", sagt er und nippt dann doch mal am Kaffee.
Wilhelm kennt die innere Befindlichkeit der deutschen Wirtschaft wie vielleicht nur wenige andere im Land. Seit Ende der 70er-Jahre arbeitet der Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter. Die Kanzlei HWW Wienberg Wilhelm, deren Partner er ist, betreut derzeit mit 260 Anwälten und Mitarbeitern 2300 insolvente Unternehmen in ganz Deutschland, ein Panoptikum unternehmerischen Scheiterns und Versagens. Doch Wilhelm sieht auch hier das Positive, die "Insolvenz als Chance". Das deutsche Insolvenzrecht sei "das beste der Welt", ein "Traumrecht", das helfe, Unternehmen zu erhalten.
Die kritische Lage, in die der deutsche Schiffbau durch die Weltwirtschaftskrise gedrängt wurde, kommt Wilhelm vertraut vor. Es ist nicht die erste Werftenkrise, die er erlebt, Lindenau nicht das erste Schiffbauunternehmen, das er zu sanieren versucht. Die Flensburger Schiffbau Gesellschaft steht im Logbuch seiner Laufbahn ebenso wie Cassens oder SSW in Bremerhaven. Diese Erfahrungen nützen ihm auch in Kiel. Stolz ist er darauf, dass die Mannschaft 15 Monate nach Beginn des Insolvenzverfahrens noch immer an Bord ist, dass niemand entlassen wurde: "Das ist ja nicht unbedingt bei jedem Insolvenzverfahren so."
Wenige Millionen Euro fehlten im Sommer 2008 und brachten die Lindenau-Werft in die Zahlungsunfähigkeit. Die Familie Lindenau und ihre Miteigner hatten die Gefahr zu spät erkannt, hatten zu oft auf Baupläne und in die Docks geschaut und zu selten in die Bilanzen. So verloren sie ihr Unternehmen. "Die Werft kam nicht aus Mangel an Qualität in die Insolvenz, sondern weil der Markt für Schiffsfinanzierungen 2008 zusammengebrochen ist und die Geschäfte hier nicht solide genug finanziert waren."
"Bei Bedarf" schaut Wilhelm in Kiel vorbei, bespricht die Entwicklung mit Geschäftsführer Dieter Kühne. "Vor allem die Betriebsabläufe hier müssen modernisiert werden", sagt der Insolvenzverwalter. Noch wichtiger aber ist seine Rolle bei der Suche nach einem Investor, der die Werft übernimmt und die Arbeitsplätze an der Kieler Förde sichert. "Im Hintergrund führe ich immer Gespräche mit möglichen Investoren", sagt Wilhelm. "Es gibt Interessenten aus dem In- und aus dem Ausland, denn deutsche Werften bleiben für Investoren hoch attraktiv."
Die deutschen Werften gerieten durch die Wirtschaftskrise in eine Art Zangenangriff. Die Aufträge für neue Schiffe blieben aus, weil sich die Perspektiven für den Bedarf an Tonnage drastisch verschlechtert hatten. Zugleich wurden viele vorliegende Bestellungen auch deshalb storniert, weil Banken den Reedereien und den Werften die nötigen Kredite für den Bau verweigerten.
Die Krise offenbarte gefährliche Schwächen des deutschen Schiffbaus. Die Branche besteht überwiegend aus kleinen und mittelgroßen Familienunternehmen - Firmen mit oft nur geringen Finanzreserven und mit veralteten Managementmethoden. Selbst in guten Zeiten wie jenen zur Mitte des Jahrzehnts klagten die Werften über geringe Gewinnspannen und zu wenig Eigenkapital. "Viele deutsche Werften können in den kommenden Jahren kaputtgehen, denn die Branche hierzulande ist mittelständisch strukturiert", sagt Bernard Meyer, Chef und Eigentümer der Meyer Werft in Papenburg. "Asiatische Großunternehmen wie Hyundai, Samsung oder Daewoo hingegen gehen nicht pleite, da ist im Zweifel der Staat davor. Ich fürchte, dass mittelfristig nur die Hälfte der deutschen Werften überleben wird."
Die Hamburger Sietas-Werft, Deutschlands ältestes Schiffbauunternehmen, entging Anfang des Jahres nach der Bestellung eines neuen Managements nur knapp der Insolvenz. Erstmals seit Gründung der Werft im 17. Jahrhundert musste die Familie Sietas die Führung aus der Hand geben.
Die Bremer Hegemann-Gruppe mit drei Werften und bislang 2000 Arbeitsplätzen in Stralsund, Wolgast und in Berne kommt seit Monaten nicht aus den Schlagzeilen heraus. Nur mit staatlichen Krediten und Bürgschaften kann Hegemann den Betrieb fortführen. In Wolgast und Stralsund sollen 600 Arbeitsplätze wegfallen. Wie schlimm die Lage bei dem Familienunternehmen tatsächlich ist, lässt sich von außen kaum beurteilen. Hegemann schottet sich ab. Die Gewerkschaft IG Metall protestierte am Freitag gegen einen drohenden "Kahlschlag" auf den Werften in Wolgast und Stralsund.
Auch Schiffbauunternehmen mit Konzernhintergrund straucheln in der Krise. Deutschlands bislang größter Werftbetreiber ThyssenKrupp gibt die Fertigung von Handelsschiffen auf und verkauft zwei seiner drei Schiffbaubetriebe. Und die Werften in Wismar und in Rostock, die besten in Ostdeutschland, gingen unter Regie des russischen Investors Andrej Burlakow und dessen Unternehmen Wadan Yards in die Insolvenz. Burlakow brachte keinen der versprochenen Aufträge aus Russland. In Moskau sitzt er nun wegen Betrugsverdachts im Gefängnis. Der neue Eigentümer der beiden ostdeutschen Werften, der Russe Witali Jussufow, will es unter dem Firmennamen Nordic Yards besser machen. Wenn er das nicht schafft, droht vor allem Wismar ein wirtschaftlicher Schock. Eine nennenswerte Industrie neben dem Schiffbau besitzt die Hansestadt nicht.
Aus dem Dock 2 der Lindenau-Werft tuckert ein Stelzenponton, ein schwimmender Untersatz für einen Bagger, der auf der Werft repariert wurde. Es ist das einzige Wasserfahrzeug, das an diesem sonnigen, kalten Tag bei Lindenau zu sehen ist. Geschäftsführer Dieter Kühne freut sich, dass auf dem Areal überhaupt etwas schwimmt. Man ist bescheiden geworden. Vielleicht bringe die Reparatur ja einen Auftrag für die Produktion eines Bauversorgungsschiffes, sagt er.
Mit Reparaturen hält sich die Lindenau-Werft derzeit im wahrsten Sinne des Wortes über Wasser. "Unsere Lage direkt am Kieler Zugang zum Nord-Ostsee-Kanal ist ideal, um das Reparaturgeschäft voranzubringen", sagt Kühne. "Etliche Schiffe müssen die Schleusen jedes Jahr passieren. Viele davon brauchen kurzfristig eine Ausbesserungswerft. Dieses Geschäft kam bei uns erst nach Beginn des Insolvenzverfahrens richtig in Gang."
Der gebürtige Nordhesse hat den Weg des norddeutschen Unternehmens in die Insolvenz als Geschäftsführer überstanden. Er ist kein Schiffbauer, sondern Kaufmann, er will gemeinsam mit Jan H. Wilhelm neue Aufträge für Lindenau an Land ziehen. Aufträge für technologisch hochwertige Tanker, solche mit "Doppelhülle", die den modernen Anforderungen an den Umweltschutz entsprechen. 50 Doppelhüllentanker hat die Werft seit Ende der 80er-Jahre gebaut. "Der größte war 210 Meter lang", erzählt Kühne stolz. Der vorerst letzte verließ das Baudock Ende Oktober, es war ein Küstentanker für die Seychellen.
So viele Tankschiffe wie nie zuvor fahren auf den Meeren und Flüssen. Zur Sicherung des wachsenden Öl-, Gas- und Benzinbedarfs, für die Versorgung mit flüssigen Chemikalien werden enorme Transportkapazitäten benötigt. Zugleich steigen die Anforderungen an den Umweltschutz. Tankerkatastrophen wie jene der "Exxon Valdez" vor Alaska oder der "Amoco Cadiz" vor der Bretagne will heutzutage kein Land, kein Unternehmen mehr riskieren. Überall auf der Welt bedrohen Öl- oder Chemikalientransporte sensible Ökosysteme, etwa auf der viel befahrenen Kadettrinne in der Ostsee.
Das ist der Markt für die Lindenau-Werft. Bei Tankern mit doppelter Hülle steigt die Chance erheblich, dass der Laderaum nach einer Havarie unversehrt bleibt. Schrittweise werden die alten Einhüllentanker nach den Regeln der internationalen Schifffahrtsorganisation IMO ausrangiert und durch moderne Typen ersetzt. Seit vielen Jahren genießt das Kieler Unternehmen in diesem Geschäft einen sehr guten Ruf. "Eins ist sicher", sagt Geschäftsführer Kühne, "der Markt läuft auf uns zu." Wenn der Markt nur endlich wieder liefe.