Wer vor lauter Schulden nicht mehr weiß wohin, kann das vor zehn Jahren eingeführte Privatinsolvenzverfahren nutzen.

Fred Mantau (Name geändert) aus Thüringen hatte Pech. Das Häuschen, in dem er lebte, hatte das Finanzamt wegen Steuerschulden seines Bruders - der war Miteigentümer - zur Zwangsversteigerung freigegeben. Außerdem hatte Mantaus Ex-Freundin für gut 19.000 Euro heimlich auf seinen Namen bei Versandhäusern bestellt.

Bei ihr war nichts zu holen - die Ware hatte sie verhökert. Das Sparkonto mit 5000 Euro und die drei Renten, die der nach einem Unfall erwerbsunfähige Handwerker monatlich bekam, reichten nicht, um die Schulden zu begleichen. "Den Insolvenzantrag hat die staatlich bestellte Betreuerin gestellt", erinnert sich Insolvenzverwalter Josef Hingerl von der Rechtsanwalts- und Steuerberaterkanzlei Dr. Hingerl & Partner in München.

Das klingt nach einem drastischen Fall, doch am Ende hatte Mantau Glück: Nach vier Jahren waren sämtliche Gläubigerforderungen schließlich befriedigt. Außerdem hat Hingerl für den 53-Jährigen sogar die verloren geglaubte zweite Hälfte vom Häuschen für 2500 Euro ersteigert.

Auch wenn nicht jeder Fall so glimpflich abläuft - viele überschuldete Haushalte befreit das Privatinsolvenzverfahren von immensem Druck. Geht es doch in rund zweieinhalb bis drei Millionen Haushalten, etwa jedem zehnten hierzulande, ungefähr so zu: Der Dispositionskredit auf dem Girokonto ist bis zum Anschlag überzogen. Das Geld geht sofort für Miete oder Hauskreditraten sowie längst überfällige Rechnungen und Mahnungen ab - Telefon, Strom, Gas oder Ratenkäufe etwa beim Auto- oder Versandhändler. Oft auch: Gerichtsvollzieher, Gehaltspfändung, Kontopfändung.

Meist beginnt der Weg in die private Pleite mit unerwarteter Arbeitslosigkeit oder einer gescheiterten beruflichen Selbstständigkeit. Auch Trennung und Scheidung sowie Tod des Partners oder eine schwere Krankheit in der Familie führen oft dazu, dass Menschen ihre Verbindlichkeiten über den Kopf wachsen, beobachtet die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV).

Seit zehn Jahren gibt das Privatinsolvenzverfahren Menschen die Möglichkeit, ihre Schulden loszuwerden. 2007 und 2008 gab es jeweils etwa 100 000 Privatinsolvenzverfahren. Für 2009 befürchten Experten einen deutlichen Anstieg. "Normalerweise füllen die Leute ihre Dispokredite im Dezember mit dem Weihnachtsgeld auf - das ist diesmal nicht passiert", beobachtet Hingerl. Viele Familien fahren am absoluten Limit, schätzt er. "Da wird es noch eine große Welle von Überschuldungen geben."

Damit das Privatinsolvenzverfahren richtig anläuft, müssen private Schuldner sich zunächst um eine außergerichtliche Einigung bemühen - Stundung, Ratenzahlung oder Teilerlass. Selbst fragen reicht nicht. Ein umfassender Tilgungsplan muss her. Um die formalen Voraussetzungen zu erfüllen, brauchen Verbraucher in der Regel kundigen Rat - von einer hierfür anerkannten Schuldnerberatung oder einem Rechtsanwalt, Notar oder Steuerberater. Scheitert die Einigung oder besitzt der Schuldner - wie fast immer - kein pfändbares Einkommen oder Sachwerte, geht das Verfahren vor Gericht.

In den nächsten sechs Jahren - auch Wohlverhaltensphase genannt - wacht ein Insolvenzverwalter über alle Einnahmen und Ausgaben und verteilt jedes pfändbare Einkommen und Vermögen an die Gläubiger. Nach Ende des Verfahrens ist der Schuldenberg weg. Voraussetzung: Der Verbraucher macht keine neuen Schulden und erfüllt seine mit dem Verfahren verbundenen Verpflichtungen. Die Verfahrenskosten werden dann notfalls sogar gestundet oder erlassen. Und die ehemaligen Schuldner haben den Anspruch, dass negative Einträge etwa bei der Schufa getilgt werden. Redlichen Schuldnern soll das Privatinsolvenzverfahren so einen Neuanfang ermöglichen.

Doch der Weg dahin ist steinig. "Man muss mit wirklich sehr wenig Geld auskommen", sagt Anne Koark, bei der auf die Unternehmenspleite die private Pleite folgte. Dafür aber könne man mit dem Geld rechnen. "Vorher bedienen Sie als Schuldner ja immer den, der am lautesten schreit", sagt sie. Und das oft dann noch, wenn die Pfändungsfreigrenze längst unterschritten ist, beobachtet Hingerl. "Viele leben dann eben von nur noch 700 Euro." Daher verbessere sich für viele die Situation sogar durch die Privatinsolvenz. "Menschen, die vorher unter Dauerstress standen, können erstmals wieder ruhig schlafen."

Es gibt einen weiteren Grund, zeitig zur Schuldnerberatung zu gehen und das Verfahren gegebenenfalls rasch anzumelden: Schuldner müssen nicht nur die zivilrechtlichen Ansprüche Ihrer Gläubiger auf ihr Geld einlösen - sie können zudem auch gegen Strafrecht verstoßen. "Wer bei einem Versandhändler Waren bestellt, obwohl er weiß, dass er diese nicht bezahlen kann, der begeht Betrug", warnt Hingerl. Stellt ein Gläubiger Strafanzeige, bringt das zusätzliche Probleme, denn ein Betrugsverfahren wird mit dem Privatinsolvenzverfahren nicht hinfällig. "Und wegen sogenannten Eventualvorsatzes können Richter Verbraucher schon verurteilen, wenn diese bei normalem Ermessen damit rechnen mussten, das Geld nicht bezahlen zu können", stellt Hingerl fest.

Doch auch wenn der Druck groß ist und Verbraucher vielleicht auf einen Termin in der Schuldnerberatung warten müssen - sie sollten einen großen Bogen um vermeintliche Soforthilfeangebote machen. Auch wenn manche Anbieter Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern und Schuldnern mit überzogenem Girokonto rasche Hilfe versprechen, meist noch ausdrücklich "Ohne Schufa. Ohne Bürgen oder Sicherheiten". Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg warnt jedoch vor solchen verlockenden Angeboten: "Unter dem Deckmantel der Schuldenregulierung können Kriminelle ähnlich wie beim Kreditvermittlungsbetrug versuchen, von Ihnen Honorare, Gebühren oder ähnliches ohne Gegenleistung zu erlangen."

Informationen und Adressen von anerkannten Schuldnerberatungen sowie Beratung finden Verbraucher bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung: www.bag-sb.de

Quelle: Welt Online