Berlin/Wolfsburg. Volkswagen, der Betriebsrat und die IG Metall haben sich im Tarifstreit geeinigt. Was das für die deutschen Werke und Beschäftigten heißt.
Mehr als 70 Stunden wurde durchverhandelt, nun steht eine Einigung: Volkswagen hat sich mit der IG Metall und dem Betriebsrat im Tarifstreit auf die Zukunft des Konzerns in Deutschland verständigt. Von einem „Weihnachtswunder“ sprach am Freitagabend der IG-Metall-Bezirk Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, der die Verhandlungen mit VW geführt hatte. Das „Weihnachtswunder“ ist aus Sicht der Beschäftigten allerdings kein „Weihnachtsmärchen“, müssen sie doch einige Kröten schlucken.
Worauf haben sich Betriebsrat, IG Metall und Volkswagen geeinigt?
35.000 Arbeitsplätze sollen bis 2030 wegfallen, das entspricht einem Viertel der Beschäftigten der VW AG. 1,5 Milliarden Euro an Arbeitskosten sollen pro Jahr gespart werden, mittelfristig soll der Betrag auf vier Milliarden Euro jährlich steigen. Das soll zwar sozialverträglich geschehen, ist aber dennoch ein massiver Einschnitt. Zugleich werden die Produktionskapazitäten in Deutschland um 734.000 Autos reduziert. Soll heißen: Deutschland verliert als Produktionsstandort stark an Bedeutung.
Aber: Betriebsbedingte Kündigungen wird es bis Ende 2030 nicht geben. Sollte es danach keine anschließende Beschäftigungsgarantie geben, müsste VW seinen Beschäftigten eine Milliarde Euro ausschütten, teilten IG Metall und Betriebsrat mit.
Auf Eis gelegt ist die Lohnerhöhung im Rahmen des Tarifabschlusses der Metall- und Elektroindustrie von fünf Prozent. Stattdessen heißt es: Nullrunde. Und nicht nur das. Auch die Arbeitszeit wird je nach Bereich um eine bis zwei Stunden verlängert, und das Stammwerk Wolfsburg verliert ab 2027 die Produktion des Golfs und des Golfs Variant, der künftig im mexikanischen Puebla gefertigt werden wird. Die Zahl der Auszubildenden, die jährlich eingestellt werden, wird von 1400 auf 600 reduziert.
Zwar erhalten die Beschäftigten keine Entgelterhöhung, dafür sollen Gelder bis 2030 für Arbeitszeitabsenkungen ohne betriebsbedingte Kündigungen eingesetzt werden. Dies hatte die IG Metall bereits während der Verhandlungen angeregt. VW hatte zunächst abgelehnt. Die eingesetzten Mittel sollen der Tariferhöhung von 5,1 Prozent entsprechen, die in der Metall- und Elektroindustrie vereinbart worden war.
Ab 2027 soll das Entgeltsystem angepasst werden. Das soll vermeiden, dass es große Unterschiede zum Gehaltsgefüge in der Branche gibt. Ein weiteres Zugeständnis: Bis 2030 verzichten die Tarifbeschäftigten komplett oder teilweise auf ihren im Mai fälligen Bonus aus der Gewinnbeteiligung. Gekürzt werden auch Boni in der Entgeltgruppe Tarif Plus. Das bisher gezahlte, erhöhte Urlaubsentgelt von rund 1290 Euro soll entfallen. Stattdessen soll 2027 ein Bonus für Mitglieder der IG Metall eingeführt werden.
Auch interessant
Müssen Werke schließen?
Betriebsratschefin Daniela Cavallo hat ihr Versprechen eingehalten: Kein Werk wird geschlossen. Als besonders gefährdet galten die Standorte Emden, Osnabrück und Dresden. Doch auch hier gibt es ein „aber“: In der Gläsernen Manufaktur in Dresden sollen ab Ende des kommenden Jahres keine Fahrzeuge mehr gefertigt werden. Für die Produktion ist Dresden mit zuletzt rund 340 Beschäftigten ohnehin kaum relevant: Im vergangenen Jahr wurden gerade einmal 6000 der rund 140.800 ID.3 in Dresden gefertigt. Stattdessen gilt die Manufaktur als Erlebniswelt, wo von Probefahrten bis zur Besichtigung der Produktion bisher vieles möglich ist. Künftig soll sie umgewidmet werden. Wie genau, ist noch unklar.
Dem Standort Osnabrück, wo rund 2300 Beschäftigte bisher den T-Roc Cabriolet, den Porsche Cayman und den Porsche Boxster gefertigt haben, droht dagegen der Verkauf. Zwar wird bis Mitte 2027 der T-Roc weiterhin in Niedersachsens viertgrößter Stadt gebaut – danach werden aber „Optionen für eine andere Verwendung des Standorts geprüft“, heißt es von VW. Optimistischer formuliert es die IG Metall: Man wolle eine „wirtschaftliche Zukunftsperspektive“ entwickeln. Dresden und Osnabrück standen auf der internen Streichliste von VW, vom Betriebsrat und der IG Metall „Giftliste“ genannt.
Aufatmen können dagegen rund 8000 Beschäftigte in Emden. Der für die ganze Region Ostfriesland wichtige Beschäftigungsstandort ist vorerst gesichert, neben dem ID.7 und dem ID.7 Tourer soll ab 2026 auch der ID.4-ReSkin in dem Werk gefertigt werden.
Auch interessant
Wie bewertet Volkswagen den Kompromiss?
Ein weißes VW-Logo auf blauer Wand, dann ein gut 50-sekündiges Statement. Es war nur ein kurzer Auftritt von VW-Markenchef Thomas Schäfer am späteren Freitagabend in Berlin. Seine Worte waren mit Bedacht gewählt. Schäfer faltete die Hände, dann formulierte er, eine gute Einigung mit der IG Metall erzielt zu haben. Entwicklungs- und Arbeitskosten in Deutschland könnten somit auf ein „wettbewerbsfähiges Niveau“ gesenkt werden. Es seien harte Entscheidungen, aber gleichzeitig wichtige Weichenstellungen für die Zukunft. „Wir schaffen damit die Grundlage, Volkswagen bis 2030 zum technologisch führenden Volumenhersteller aufzustellen“, so Schäfer weiter. Gleichzeitig bekenne sich der Autobauer zum Standort Deutschland.
VW-Chef Oliver Blume meldete sich schriftlich zu Wort: Die Einigung sei ein „wichtiges Signal für die Zukunftsfähigkeit“, teilte er mit. Entscheidende Weichen für die Zukunft seien gestellt worden, der Vorstand und das Management würden sich „überproportional“ beteiligen.
Warum steckt Volkswagen überhaupt in der Krise?
Volkswagen leidet unter hausgemachten Schwierigkeiten und strukturellen Problemen, die auch mit dem Standort Deutschland zu tun haben. Hierzulande plagt man sich unter anderem mit den vergleichsweisen hohen Lohnkosten und im Vergleich zu anderen Ländern teurerer Energie. Das führt im Konzern zu unterschiedlich hohen Margen. Vor allem die Kernmarke VW verdient zu wenig, bei Skoda läuft es hingegen ganz gut.
Mit Blick auf den Absatz leidet Volkswagen auch am Rückstand bei der Elektromobilität. In Europa bleiben die Verkäufe wegen zu hoher Preise für die Elektromodelle hinter den Erwartungen zurück. Im wichtigen chinesischen Markt fährt der deutsche Autobauer hinterher, weil dort vor allem staatlich subventionierte einheimische Hersteller das Geschäft machen. In China geht zudem der Absatz von Verbrennern, wo zuvor auch VW-Modelle gut nachgefragt waren, zurück. Die Hälfte aller Neuzulassungen fällt dort inzwischen auf E-Fahrzeuge. Bei den Stromern aber haben die Wolfsburger auch bei der Software den Anschluss verloren.
Wie fallen die Reaktionen aus?
Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, begrüßte die Einigung. „Der Umbruch muss kommen, und er kommt viel zu spät. Die Elektroautos sind zu teuer, die Qualität der Software nicht gut genug. VW hätte schon früher betriebsbedingte Kündigungen zulassen müssen. Das rächt sich jetzt“, sagte die Vorsitzende des Sachverständigenrates unserer Redaktion.
Auch interessant
Es sei VW nicht gelungen, Elektroautos auf dem chinesischen Markt zu verkaufen. Nun müssten Arbeitsplätze abgebaut werden, um die Kosten in den Griff zu bekommen. „Das ist aber keine Katastrophe, weil die Leute dringend an anderer Stelle gebraucht werden – etwa bei der Batterieherstellung oder im Handwerk. Wir haben keine Arbeitslosigkeit wie zu Beginn des Jahrtausends“, sagte Schnitzer mit Blick auf die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Entscheidung.
- Altersvorsorge: Ruhestand mit 30, 40 oder 50? So viel Geld brauchen Sie dafür
- Arbeit & Ausbildung: 5000 Euro für Azubis – Deutschlands bestbezahlte Berufe
- Arbeitsplatz: Abfindung im Job kassieren? Diese Tipps sind bares Geld wert
- Ruhestand: Drei Banker verraten, was sie für ihre Altersvorsorge tun
- Wohnen und Mieten: Reich werden mit Airbnb – Zwei Brüder verraten, wie es geht
- Geldanlage: Goldpreis auf Rekordhoch: Lohnt sich der Einstieg noch?