Berlin. Reihenweise streichen Airlines Flüge. Luftfahrtpräsident Bischof sagt, was sich in Deutschland ändern muss – auch bei Entschädigungen.

Wer von Deutschland aus fliegen will, hat ein deutlich schlechteres Angebot als noch vor ein paar Jahren. Im Interview erklärt Jens Bischof, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), wie es um die Branche steht und sagt, was passieren muss, um aus der Krise herauszukommen.

Herr Bischof, reihenweise streichen Airlines Flugverbindungen in Deutschland. Was ist da los?

Jens Bischof: Die Standortkosten für Luftverkehr in Deutschland haben sich aufgrund staatlicher Gebühren und Steuern seit 2019 verdoppelt. Profitabel zu fliegen wird dadurch sehr schwer. Der hiesige Luftverkehrsstandort koppelt sich damit von der Entwicklung in Europa komplett ab. Wir erreichen in Deutschland gemessen am Sitzplatzangebot aktuell nur 84 Prozent des Vor-Corona-Niveaus, auf dem restlichen Kontinent liegt man bei 108 Prozent. Das macht uns große Sorge.

Das heißt, der Branche geht es schlecht?

Bischof: Ja, ähnlich wie andere Industrien in Deutschland ist auch die Luftverkehrsbranche an einem Kipp-Punkt angelangt und droht an der staatlichen Abgabenlast zu ersticken.

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Droht in der Branche jetzt – so wie in der Autobranche auch – ein Stellenabbau oder Standortverlagerungen?

Bischof: Die Airports stehen durch die zu geringe Auslastung ihrer sehr kostenintensiven Infrastruktur unter Druck. Dass man da versucht, Kosten einzusparen und mittelfristig auch über Stellenabbau nachdenkt, halte ich für denkbar. Zudem führt auch bei den Airlines kein Weg an Streckenstreichungen vorbei, wenn wir die Steuern- und Gebührenlast nicht schnellstmöglich deutlich senken.

In welchem Umfang?

Bischof: Der Prozess hat mit den jüngst veröffentlichten Streckenstreichungen bereits begonnen. Wie weit das geht, hängt davon ab, wie schnell die Regierung erkennt, dass wir ein neues Grundverständnis für den Luftverkehr in Deutschland und Europa brauchen. Nur dann lässt es sich vermeiden, dass ein Verlust an Wertschöpfung und damit auch Jobs droht. 

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    Ist es keine Option, die Mehrkosten auf den Ticketpreis umzulegen? Denn die Nachfrage – auch nach innerdeutschen Verbindungen – ist ja da.

    Bischof: Diese Logik hat Grenzen. Sie können die Preise nicht immer weiter steigern. Schon jetzt legen die Airlines bei einem innerdeutschen Hin- und Rückflug 60 Euro an staatlichen Kosten auf den Gast um, obendrauf kommen noch 19 Prozent Mehrwertsteuer. Und um mal zu verdeutlichen, wo wir stehen: Für einen Oneway-Flug von Deutschland nach Spanien sind es auf der deutschen Seite 30 Euro an staatlichen Abgaben pro Ticket, auf der spanischen nur 4,40 Euro. Das heißt, das Kostenniveau in Deutschland ist siebenmal höher als in Spanien. Genau deshalb gibt es Fluggesellschaften, die ihre Flieger lieber an andere Standorte außerhalb Deutschlands verlegen.

    Wie steht es um die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Drehkreuze?

    Bischof: Immer mehr Passagierströme finden außerhalb der EU statt. Statt in Frankfurt am Main oder München steigen die Menschen auf dem Weg nach Asien oder Afrika in Istanbul, Doha oder Dubai um. Das ist ein klarer Trend. Passagiere meiden beim Umsteigen Drehkreuze in Europa, weil sie an anderer Stelle weniger mit Abgaben belastet werden und damit günstiger reisen. Vor 10 Jahren sind noch zwei Drittel aller Transfer-Reisenden in Europa umgestiegen, heute sind es nur noch ein Drittel. Das hat gravierende Folgen für unsere Wirtschaft sowie die Arbeitsplätze in Deutschland und Europa.

    Nachtflugverbote wie in Frankfurt – hemmen solche Vorgaben im internationalen Wettbewerb?

    Bischof: Viele ausländische Drehkreuze kennen so etwas gar nicht. Die organisieren ihre Umsteigeverkehre teilweise gezielt mitten in der Nacht und haben durch diesen durchgängigen Betrieb ganz andere Skaleneffekte. Wir respektieren, dass in Deutschland an vielen Flughäfen Einschränkungen bestehen. Allerdings würden wir uns in den Randzeiten in Ausnahmefällen mehr Flexibilität wünschen. Ein Beispiel: Schafft es ein Flieger um wenige Sekunden oder Minuten nicht mehr zu dem Zielairport und muss an einen anderen Flughafen ausweichen, werden Betreuungsleistungen und unter Umständen umfangreiche Entschädigungszahlungen an Passagiere fällig. Außerdem sind Reisende, Crew und Flugzeug auch am falschen Ort und müssen überführt werden. Das ist eine unnötige und enorme Belastung für Passagiere, Klima und letztlich auch Anwohner.

    Also sind Sie gegen ein Nachtflugverbot?

    Bischof: Auch wenn es operationell ganz klar von Vorteil wäre, wenn man einen durchgehenden Betrieb organisieren könnte, sind die Betriebszeiten der deutschen Flughäfen ein bewährter Kompromiss. Diesen Status quo sollten wir allerdings mindestens beibehalten.

    Müsste man an die EU-Entschädigungsrichtlinien in so einem wie von Ihnen geschilderten Fall ran?

    Bischof: Wir drängen selbstverständlich auf eine deutlich angemessenere und rationalere Kompensationsform – insbesondere in Brüssel, wo die geltenden Regelungen auf EU-Ebene getroffen wurden.

    Bei einer Verspätung von mindestens drei Stunden haben Passagiere derzeit einen Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 250 bis 600 Euro. Zusätzlich kann es sein, dass Airlines Verpflegung und Hotel zahlen müssen. Was wäre denn angemessenerer?

    Bischof: Das kommt auf die jeweiligen Gründe für die Verspätung an. Aber: Wenn ein Ticket 150 Euro kostet, und wir am Ende verpflichtet sind, dem Gast 250 Euro Kompensation plus gegebenenfalls Hotel, Transfer und Verpflegung zu zahlen, ist das nicht verhältnismäßig. Der Grund für eine Verspätung sollte viel stärker eine Rolle spielen als derzeit. Da ist die europäische Fluggastrechteverordnung an vielen Stellen unklar formuliert. Hier braucht es eine klare Definition der „außergewöhnlichen Umstände“. Wir reden hier jährlich von einer Milliardenbelastung für die europäischen Fluggesellschaften.

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    Wann sollten Airlines dann für Verspätungen aufkommen?

    Bischof: Ich plädiere dafür, diese Regelungen in ein Gleichgewicht zu bringen – zwischen Verbraucherschutz, aber auch Machbarkeit für die Airlines. Wenn die Verspätung nachweislich von der Airline zu verantworten ist, sind Kompensationen selbstverständlich in Ordnung. Derzeit ist es jedoch so, dass es viele Graubereiche gibt, bei denen die Fluggesellschaften am Ende zahlen. Selbst bei einem Streik unseres Personals werden wir zu Entschädigungen verpflichtet. Zusätzlich muss die Fluggesellschaft für Hotelunterbringung, Transfer und Verpflegung aufkommen.

    Die Deutsche Bahn zahlt einen gewissen Prozentsatz des ursprünglichen Ticketpreises als Entschädigung. Eine gute Lösung?

    Bischof: Viel wichtiger als eine solche Überlegung wäre die Revision der Verordnung, die Luftfahrtunternehmen und ihren Kunden umfassende Rechtssicherheit gibt.

    Stellen Ihre Airlines fest, dass die Reiselust der Deutschen nachgelassen hat?

    Bischof: Das ist unterschiedlich. Bei Geschäftsreisen ist auch wegen der Digitalisierung und vermehrter Video-Konferenzen der Bedarf nicht mehr ganz so groß wie vor der Corona-Pandemie. In dem Segment liegen wir eher bei 60 bis 70 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. Bei touristischen Reisen sind wir hingegen über dem Niveau von 2019. Die Menschen wollen reisen. Aber: Wenn wir Preisgrenzen überschreiten, reißt die Nachfrage abrupt ab. Fliegen muss bezahlbar bleiben und darf kein Luxusgut werden.

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    Wie viel teurer wird fliegen im kommenden Jahr?

    Bischof: Die seit Mai geltende, höhere Luftverkehrsteuer ist bereits eingepreist. Aber es kommen schon wieder neue Belastungen auf die Airlines und die Passagiere zu. Ab Januar steigt der Gebührendeckel für die Sicherheitskontrollen an den Flughäfen von 10 auf 15 Euro. Im Raum steht zusätzlich eine deutliche Erhöhung der Kosten für die Flugsicherung. An- und Abflüge in Deutschland werden signifikant teurer. Hinzu kommt, dass sich der Bund dazu entschieden hat, die Verluste der Flugsicherung aus den Corona-Jahren auf die Nutzer in den nun kommenden Jahren umzulegen. Die Airlines selbst können die Belastungen nur an die Kunden weitergeben. Schon jetzt sind die Margen gering. Im Durchschnitt verdient eine Airline nur noch fünf bis zehn Euro pro Fluggast. 

    Um wie viel Prozent werden Tickets im kommenden Jahr teurer?

    Bischof: Das lässt sich so pauschal nicht sagen. Wir sind mit der Politik über kostendämpfende Effekte im Gespräch. Zudem orientieren sich die Preise natürlich am Marktgeschehen.

    Ist es realistisch, dass noch vor der Neuwahl etwas passiert?

    Bischof: Wenn der politische Wille da ist, ist das machbar.

    Sie fordern unter anderem das komplette Aus für die Luftverkehrsteuer. Sollte es so kommen, ist gesichert, dass die Fluggesellschaften dann auch die Entlastung an die Passagiere weitergeben, also Ticketpreise sinken?

    Bischof: Natürlich würde es der Gast unmittelbar merken. Schweden ist jetzt das vierte Land in Europa, das die Luftverkehrsteuer wieder zurücknimmt. Wir sehen ganz klar die absolute enge Korrelation zwischen Rücknahme dieser Steuer und dem Anziehen des Angebots.

    Können Sie in Zahlen sagen, wie viele Verbindungen in Deutschland seit der Pandemie weggefallen sind?

    Bischof: 2019 gab es von, nach und innerhalb Deutschlands knapp 1800 Strecken, die bedient wurden. Das waren in Summe 1,7 Millionen Flüge. Jetzt sind es nur noch knapp 1600 Strecken. Das heißt, 200 Strecken sind komplett weg. Die Flüge liegen bei 1,4 Millionen. Das sind bereits enorme Einschnitte. Insbesondere Punt-zu-Punkt-Verbindungen sind betroffen, gerade aus und nach Berlin, Köln-Bonn, Düsseldorf oder Stuttgart. Dort fehlen neben deutlichen Frequenzreduzierungen zwischen zehn und 20 Non-stop-Strecken, die jeweils aus diesen Städten nicht mehr angeboten werden. Diese mangelnde Konnektivität trifft insbesondere. auch die deutsche Wirtschaft.

    Was muss der neue Bundeskanzler für die Luftfahrt anpacken?

    Bischof: Wir fordern ein sehr schnelles und umfassendes Programm. Es muss ein neues Grundverständnis her: Luftverkehr ist kein notwendiges Übel, sondern trägt als zentrale Infrastruktur zur globalen Vernetzung, zur Völkerverständigung und zu einer prosperierenden Wirtschaft bei. Wir verbinden Europa mit der Welt und das funktioniert nur, wenn wir die aktuelle Kostenbelastung deutlich senken.

    Konkret?

    Bischof: Erstens: Die Luftverkehrsteuer muss ersatzlos abgeschafft werden. Die Belastung daraus beträgt momentan mehr als zwei Milliarden Euro im Jahr, die voll an die Gäste weitergegeben wird. Zweitens: Der nationale Alleingang bei der E-Kerosin-Quote muss beendet werden. Und drittens müssen die höheren Gebühren bei den Sicherheitskontrollen zurückgenommen werden. Kommen diese drei Punkte, bin ich sicher, dass wir eine vollkommen andere Richtung einschlagen können. Zudem brauchen wir eine starke politische Stimme Deutschlands auf EU-Ebene, um wieder faire Wettbewerbsbedingungen gegenüber Nicht-EU-Airlines herzustellen.

    Welchem Kandidaten trauen Sie das am meisten zu?

    Bischof: Das hängt nicht vorrangig an Personen. Ich hoffe, dass die kommende Regierungskoalition den Ernst der Lage erkennt und wirtschaftspolitisch vehement gegensteuert. Im übrigen ist eine funktionierende Luftverkehrsinfrastruktur für die Gesundung der deutschen Wirtschaft unabdingbar.

    Es wird gerade darüber diskutiert, dass noch vor der Neuwahl eine Reform zur Schuldenbremse im Bundestag eingebracht wird. Halten Sie das für notwendig?

    Bischof: Vollkommen klar ist, dass Deutschland kein Niedrigkostenland ist. Aber, wenn wir schon teurer sind, müssen wir es besser machen. Das gilt für die Infrastruktur genauso wie für die Airlines. Dass das Preis-Leistungs-Verhältnis vernünftig ist, müssen wir jeden Tag unter Beweis stellen. Und das müssen wir auf das ganze Land übertragen. Natürlich brauchen wir wieder eine solide Investitionsfähigkeit im Land. Gleichzeitig gilt es aber auch Bürokratie abzubauen, effizienter zu werden und die Digitalisierung zu nutzen.

    Kostenpflichtige Sitzplatzauswahl, höhere Gepäckgebühren oder eine Gebühr für das Ausdrucken der Bordkarte am Schalter: In Spanien wurden dafür nun Billig-Airlines mit einer Strafe belegt. Haben Sie Angst, das sowas auch in Deutschland droht?

    Bischof: Wir müssen zunächst mal das Urteil verstehen und analysieren. Bislang ist insbesondere bekannt, dass die Kommunikation der jeweiligen Regeln nicht ausreichend verbraucherfreundlich war, wie sich das die spanische Verbraucherbehörde gewünscht hat. Ob das weiterführende Auswirkungen hat für weitere Airlines oder andere Regionen, kann ich noch nicht beurteilen.

    Eine neue Rückkehr zur Einfachheit, also einfach einen Preis für Ticket, Gepäck, Sitzplatz oder Essen, würden Sie begrüßen?

    Bischof: Bei den deutschen Airlines kann man in Economy und Business Class mit einem Klick einen Komfort-Tarif buchen, der alle Bestandteile einer Reise beinhaltet. Aber um wettbewerbsfähig zu sein, müssen wir uns im Markt behaupten. Alle Preisvergleichsmaschinen beziehen sich mittlerweile auf den reinen Basis-Flugpreis. Das ist der wesentliche Grund, warum auch wir einen solchen Basis-Preis anbieten. Der Vorteil für den Gast ist allerdings, dass er nur das bezahlt, was er auch in Anspruch nimmt.