Berlin. Wegen der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung ist der Stellenbedarf zuletzt zwar zurückgegangen. Doch vielen Branchen hilft das nicht.

Deutschland steckt mitten in der Wirtschaftskrise. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) prognostizierte in der vergangenen Woche ein Minus bei der Wirtschaftsleistung von gut 0,3 Prozent in diesem Jahr. Es wäre der zweite Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt in Folge – eine Entwicklung, die es zuletzt Anfang der 2000er-Jahre nach den Anschlägen vom 11. September in New York gegeben hatte.

Auch interessant

Unternehmen reagieren auf gesunkene Nachfrage und gestiegene Standortkosten auch mit Entlassungen: Stellen streichen zu wollen, haben unter anderem bereits Volkswagen und Continental, aber auch SAP angekündigt. Den Fachkräfteengpass – also, dass in bestimmten Branchen kaum Arbeitnehmer zu finden sind – hat das trotzdem kaum gelindert. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Analyse des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln), die dieser Redaktion exklusiv vorliegt.

Fachkräftemangel in Deutschland: Was die Lücke gerade kleiner macht

Demnach ist der Fachkräftebedarf der deutschen Wirtschaft im Angesicht der Krise zwar um 12,8 Prozent zurückgegangen. Den Berechnungen der Ökonomen zufolge fehlten zuletzt im bundesweiten Durchschnitt aber noch immer mehr als 530.000 qualifizierte Arbeitskräfte. Besonders angespannt ist die Situation nach wie vor in Gesundheits- und Sozialberufen wie zum Beispiel bei Erzieherinnen und Erziehern, in Elektroberufen sowie bei handwerklichen Berufen. Auf die zehn Berufe mit den größten Fachkräftelücken entfallen laut IW knapp 30 Prozent der gesamten Fachkräftelücke.

Scholz in Zentralasien: Migrationsabkommen mit Usbekistan

weitere Videos

    Während der Corona-Pandemie hatte sich der Fachkräftemangel zeitweise abgeschwächt, stieg kurz danach aber wieder an, so die Forscher. 2022 hatte der Fachkräftemangel in Deutschland mit 630.000 nicht besetzbaren offenen Stellen seinen bisherigen Höchststand erreicht. Die nun wegen der rückläufigen wirtschaftlichen Entwicklung rechnerisch zurück gegangenen Lücke an Arbeitskräften resultiere aus der sinkenden Zahl offener Stellen und einem gleichzeitigen Anstieg der Zahl an Arbeitslosen, sagte IW-Fachkräfteexperte Jurek Tiedemann dieser Redaktion.

    Auch interessant

    Fachkräftemangel: Besonders Erzieherinnen und Erzieher fehlen

    „Die Stellenbesetzung ist für viele Unternehmen weiterhin herausfordernd. So können rechnerisch etwa vier von zehn offenen Stellen (41,7 Prozent) für qualifizierte Arbeitskräfte nicht passend besetzt werden“, erklärte Tiedemann. Die meisten gelernten Mitarbeiter fehlen der Erhebung zufolge nach wie vor in der Kinderbetreuung und -erziehung. Im Jahr 2023/2024 konnten laut IW durchschnittlich mehr als 21.000 offene Stellen in diesem Beruf nicht besetzt werden.

    Auf Platz zwei der Berufe mit den größten Fachkräfteengpässen liegen Experten der Sozialarbeit und Sozialpädagogik mit einer Lücke von mehr als 18.000. Hier können mehr als sieben von zehn (73,8 Prozent) offenen Stellen rechnerisch nicht mit passend qualifizierten Arbeitslosen besetzt werden. Bei den Handwerkern ist besonders die Lage in der Bauelektrik angespannt. Im Jahresdurchschnitt fehlten mehr auch hier als 18.000 Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung, acht von zehn offenen Stellen konnten nicht besetzt werden. 17.000 Fachkräfte fehlten in der Gesundheits- und Krankenpflege, 16.000 in der Kraftfahrzeugtechnik.

    Auch interessant

    Experten sagen, wie man den Fachkräftemangel lindern könnte

    IW-Forscher sehen mehrere Stellschrauben, um den Fachkräftemangel zu lindern. Einerseits könnten Helfer ohne Qualifizierung zu Fachkräften ausgebildet werden. „Das Augenmerk sollte dabei auf junge Leute gelegt werden, die noch den Großteil ihrer beruflichen Karriere vor sich haben“, schreiben die Experten in ihrem Bericht. Auch die längere berufliche Bindung älterer Beschäftigter sei eine Lösung. Darüber hinaus könnten Mütter und Väter durch eine umfassendere Kinderbetreuung bei einer Ausweitung ihrer Arbeitszeit unterstützt werden. Und das Anwerben von Spezialisten aus dem Ausland sei nötig. Das novellierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz biete dafür „neue Wege“, die es zu nutzen gelten, so die Wissenschaftler.