Berlin. Versorgungsanspruch, Hinterbliebenenrente, Erbe: Warum sich Paare entscheiden, auch im Alter noch den Bund fürs Leben einzugehen.

Eigentlich wollten Kerstin und Jörg gar nicht heiraten. Seit bald 40 Jahren leben sie zusammen, auf einem Polterabend hatten sie sich kennengelernt. Viele Kollegen hielten sie in der Zwischenzeit ohnehin für ein Ehepaar. Für sie selbst war das Heiraten dennoch eigentlich nie ein Thema. Dann kam eine beunruhigende Diagnose und der Wunsch, einander bestmöglich unterstützen zu können. Im weißen Hosenanzug heiratete Kerstin schließlich mit 61 Jahren ihren zwei Jahre älteren Lebenspartner.

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Mit ihrer Entscheidung für eine späte Ehe lägen die beiden voll im Trend, sagt Dorothee Schulte. Sie ist Standesbeamtin im Städtchen Oelde im Münsterland. In ihrer täglichen Arbeit kommt es immer häufiger vor, dass sie Menschen traut, die 60 Jahre alt sind oder sogar deutlich älter. „Geheiratet wird auch mit 70 oder 80 Jahren.“

Diese Entwicklung bestätigt auch das Statistische Bundesamt. Laut Statistik-Behörde hat sogar der Anteil derjenigen, die im höheren Alter zum ersten Mal heiraten, deutlich zugenommen. Im Jahr 2022 waren demnach gut zehn Prozent der heiratswilligen Paare bei der ersten Eheschließung 40 bis 49 Jahre alt. 20 Jahre zuvor hatte deren Anteil bei knapp sechs Prozent gelegen. Annähernd sieben Prozent der Hochzeitspaare waren 2022 bei ihrer ersten Eheschließung älter als 50 Jahre, ein Anstieg von sechs Prozentpunkten gegenüber 2002.

Grund sei zum einen der veränderte Altersaufbau der Bevölkerung, erklären die Statistiker. Die Babyboomer kommen langsam ins Rentenalter. Allgemein hat der Anteil der Altersgruppe 50 Plus an der Gesamtbevölkerung zugenommen.

Hochzeit mit 60 oder später: Deshalb entscheiden sich viele Paare dafür

Nicht selten gebe die Erfahrung einer Erkrankung den Ausschlag, weiß Standesbeamtin Schulte. Menschen, die nicht verheiratet sind, haben in der Regel rechtlich gesehen schlechteren Zugang zu ihren Lebenspartnern in Krankenhäusern und weniger Mitspracherechte bei wichtigen Entscheidungen. Wird einer der Partner krank oder pflegebedürftig, haben es Verheiratete leichter, dessen Angelegenheit zu regeln: „Der Trauschein vereinfacht es, füreinander da zu sein“, sagt Schulte.

Darüber hinaus ist es leichter geworden, sich scheiden zu lassen. Vor allem für Frauen war die Angst vor sozialem Abstieg lange ein Grund, an unglücklichen Ehen festzuhalten. Heute stehen mehr verheiratete Frauen wirtschaftlich auf eigenen Füßen. „Paare lassen sich auch noch nach 40 Jahren Ehe mit 60 oder 70 Jahren scheiden“, sagt Schulte. Die Menschen sind anspruchsvoller geworden, wollen sich nicht mehr mit unglücklichen Kompromissen begnügen. Partnerbörsen erleichtern wiederum die Suche nach einem neuen Lebensgefährten. Denn trotz Trennung wollen viele gerade im Alter nicht alleine sein.

Für diese Branchen werden späte Ehen immer wichtiger

Caterer und Hochzeitsplaner befassten sich zunehmend mit den Wünschen älterer Paare jenseits der 60, beobachtet Wolfgang Finken, Vorsitzender des Catererverbands Party-Service-Bund. Das spüre seine Branche auch wirtschaftlich. Späte Eheschließungen würden weniger üppig gefeiert, eher im kleinen Kreis: Der heimische Wintergarten ersetzt die repräsentative Kulisse.

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Senioren, die heiraten, sind für Caterer und Hochzeitsplaner eine lukrative Zielgruppe. © iStock | Rawpixel

Neben der Hoffnung auf Zweisamkeit, Romantik und ein spätes Glück sprechen auch ganz profane Gründe für eine späte Ehe. Die Lebenspartner möchten einander wirtschaftlich absichern, auch über den eigenen Tod hinaus. Aus einer Ehe mit einem gesetzlich rentenversicherten Partner entsteht nach dessen Tod in der Regel ein Anspruch auf eine Hinterbliebenenrente.

Wann Versorgungsansprüche für Hinterbliebene verloren gehen

Allerdings können die eigenen Versorgungsansprüche aus einer früheren Ehe durch eine erneute Eheschließung auch verloren gehen. Laut Sozialgesetzbuch haben nur Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, einen Versorgungsanspruch. Der Verlust der Bezüge wird durch eine Abfindung kompensiert. „Bei der erstmaligen Wiederheirat erhalten Sie das 24-Fache Ihrer monatlichen Rente als Abfindung. Gezahlt wird der Durchschnittsbetrag der Brutto-Witwen- beziehungsweise -Witwerrente der letzten zwölf Kalendermonate“, rechnet das Finanzportal Biallo vor.

Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung entsteht überdies nur, wenn die Ehe mindestens ein Jahr gedauert hat. Die sogenannte Einjahresregel soll Ehen verhindern, die nur wegen des Rentenanspruchs geschlossen wurden. „Die Rentenversicherung zahlt keine Hinterbliebenenrente, wenn man kurz vor dem Tod noch schnell heiratet, um dem anderen die Hinterbliebenenrente zu sichern“, so Biallo.

So vererben Senioren richtig

Eine wichtige Rolle spielen bei späten Ehen auch Erbansprüche. Nicht eheliche Partnerschaften sind erbrechtlich nicht geschützt. Gibt es kein Testament, geht der Lebenspartner auch nach jahrzehntelangem Zusammenleben leer aus und muss womöglich sogar aus der gemeinsam genutzten Immobilie ausziehen, etwa wenn erbberechtigte Kinder Anspruch erheben. Außerdem fällt für Erben ohne Trauschein bei der Erbschaftssteuer ein geringerer Freibetrag an.

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Gleichzeitig gehen die Rechte des neuen Ehepartners nicht selten zulasten der eigenen Kinder. Die sind deshalb von der neuen Verbindung ihrer Eltern nicht immer begeistert. Wenn erwachsene Kinder die neue Ehe nicht billigen, werde es problematisch, sagt Standesbeamtin Schulte. Manchmal brächen verärgerte Nachkommen den Kontakt ab. In den Traureden werde das Thema dann meist taktvoll umgangen.

Immerhin: Beim Standesamt bleiben die notwendigen Formalitäten gleich. Die Behörde prüfe die Ehefähigkeit, egal ob die Eheleute 25 oder 75 sind, sagt Schulte.