Hamburg. Telekom und Telefonica stellen die neue Mobilfunk-Ausbaustufe nur Geschäftskunden zur Verfügung. Vodafone macht es anders.

Hochspannung im Volksparkstadion in Hamburg: Der Mittelstürmer der Gastmannschaft legt sich den Ball für den Elfmeter zurecht. Manche der Zuschauer richten nun die Kamera ihres Smartphones auf den Spieler und sehen auf dem Display eingeblendet, wie häufig er bisher bei Strafstößen gescheitert ist.

Dies ist eine der Funktionen, die für Privatkunden von Vodafone künftig durch das 5G-Mobilfunknetz der jüngsten Ausbaustufe möglich werden. Bei Vodafone heißt diese Technik 5G+, andere Anbieter wie die Deutsche Telekom und Telefonica/O2 nennen sie „5G Standalone“ oder einfach kurz „5G SA“.

Mobilfunk: Vodafone bietet Privatkunden jetzt 5G+ an

Erste Vodafone-Kunden in Hamburg können diese Technologie nun nutzen. „Wir haben bereits 90 5G+-Antennen an mehr als 30 Standorten aktiviert – verteilt in Hamburg“, sagt Alexander Saul, Geschäftsführer Firmenkunden, im Gespräch mit dem Abendblatt. Einige davon stünden im Hafengebiet, einige auch im Innenstadtbereich.

„Bis Ende des Geschäftsjahres werden wir rund 50 Prozent aller Haushalte in Hamburg mit 5G+ erreichen“, sagt Saul. „Unser Ziel: Bis 2025 wollen wir alle Haushalte in Hamburg mit 5G+ versorgen.“ Mehrkosten für Kunden mit einem Vertrag, der 5G vorsieht, entstehen dadurch nicht.

5G+ soll Mixed Reality noch schneller aufs Smartphone bringen

Mit der neuen Technik lassen sich unter anderem Apps, die – wie das schon genannte Fußballbeispiel – sogenannte „Mixed Reality“- oder „Augmented Reality“-Erlebnisse bieten, also Kamerabilder der realen Welt mit eingeblendeten virtuellen Elementen mischen, noch besser realisieren. Bereits auf dem Markt ist etwa eine App, mit der man sich per 3-D-Brille die Schlagersängerin Vanessa Mai als Fitnesstrainerin ins heimische Wohnzimmer holen kann. Eine andere App holt den Starkoch Steffen Henssler in die eigene Küche, in der er dann virtuell beim Kochen assistiert.

Im Unterschied zum bisherigen Vodafone-5G-Netz, das in Hamburg im November 2020 in Betrieb genommen wurde, muss 5G+ nicht mehr auf Übertragungstechnik der etablierten 4G-Generation aufbauen, sondern kann die Vorteile des jüngsten Mobilfunkstandards nun in vollem Umfang nutzen. „Wir haben gewissermaßen die LTE-Stützräder abmontiert“, erklärt Saul. Potenziell könne sich dadurch die Akkulaufzeit von Smartphones um 20 Prozent verlängern, weil sie sich nicht mehr parallel ins 5G- und ins 4G-Netz einwählen müssen, heißt es.

5G+: Bis zu zehn Gigabit pro Sekunde – und ein Ping von 10 Millisekunden

Nach Angaben von Saul bietet das Netz in der Ausbaustufe 5G+ die Möglichkeit, die Datenübertragungsrate von heute einem Gigabit pro Sekunde auf später bis zu zehn Gigabit zu steigern. Zum Vergleich: Der heutige 4G-Standard namens LTE kommt meist auf höchstens 300 Megabit pro Sekunde, Vodafone verspricht bis zu 500 Megabit.

Vor allem aber bietet die neue Technik 5G+ sehr viel schnellere Reaktionszeiten, bis herunter auf etwa zehn Millisekunden. „Das ist so schnell, wie das menschliche Nervensystem reagieren kann“, erklärt Baul. Bisher lagen diese sogenannten Latenzzeiten noch bei rund 25 bis 30 Millisekunden.

Echtzeitanwendungen für Privatnutzer und Unternehmen

Interessant ist diese Verbesserung für Privatnutzer, die Videospiele über das Smartphone laufen lassen, hauptsächlich jedoch für Unternehmenskunden. „Wenn Maschinen und Roboter Daten in Echtzeit austauschen, dann können sie hochpräzise im Takt arbeiten, ohne dass die Maschinen dazu, wie bisher in vielen Fällen, über Kabel verbunden sind, die bei jeder Änderung in der Werkshalle wieder neu verlegt werden müssen“, sagt Saul. Kliniken hingegen können die 5G-Technik nutzen, um den Zustand von Intensivpatienten annähernd in Echtzeit zu überwachen.

Ein weiteres wichtiges Anwendungs­gebiet des reaktionsschnellen Mobilfunknetzes ist das autonome Fahren, bei dem die Autos untereinander vernetzt sind und ständig miteinander sowie mit Ampeln im Datenaustausch stehen. In Hamburg wird die Technologie von Vodafone schon für die vollautomatisch fahrende S-Bahn der Linie S 2 zwischen Berliner Tor und Bergedorf eingesetzt.

"Technologie kann helfen, die knappen Ressourcen zu schonen"

Saul geht davon aus, dass 5G+ auch beim hochaktuellen Thema des Energiesparens eine wichtige Rolle spielen kann: „Ich bin überzeugt: Technologie kann in der Krise helfen, die knappen Ressourcen zu schonen.“ Großkonzerne und mittelständische Unternehmen könnten durch den Einsatz von Sensoren, die in Echtzeit Daten austauschen, den Energiebedarf deutlich senken – ob in der Logistikzen­trale oder Backstube.

„Vernetzte Sensoren können das Licht und die Heizkörper in Gebäuden so steuern, dass nur dann und dort beleuchtet und geheizt wird, wo sich tatsächlich Mitarbeiter aufhalten.“ In der Düsseldorfer Vodafone-Deutschland-Zentrale, wo rund 5000 Menschen arbeiten, habe man den Energiebedarf so um rund 20 Prozent senken können.

Doch auch die Netztechnik selbst ist nach Angaben von Vodafone deutlich energieeffizienter als die Vorgänger-Technologien. „Das ist wichtig, denn die Datenströme nehmen ständig weiter zu“, so Saul. „In Hamburg wurden 2021 rund 30 Prozent mehr Daten über Mobilfunk übertragen als im Vorjahr. Unser Ziel ist es, den Energieaufwand trotz steigender Datenmassen zu reduzieren.“

5G+: Bei Telekom und Telefonica nur für Industrienutzer

Im Hinblick auf den Mobilfunkstandard der jüngsten Generation geht Vodafone einen anderen Weg als die Wettbewerber Telekom und Telefonica. Beide stellen diese Technik bisher nur professionellen Nutzern zur Verfügung. „Wir haben erste Anwendungen im industriellen Bereich realisiert, generell ist 5G Standalone für Kunden aber noch nicht freigeschaltet“, sagt ein Telekom-Sprecher. Das erfolge voraussichtlich im nächsten Jahr.

Ähnlich ist die Situation bei O2 Telefonica. „Kommerziell werden wir 5G Standalone für Privatkundinnen und Privatkunden einführen, sobald die Technologie im Alltag einen echten Mehrwert bietet und mehr Endgeräte die 5G-SA-Funktionalitäten unterstützen“, sagt Florian Streicher, Sprecher von Telefonica Germany.

Mobilfunk: Viele neue Geräte sind schon jetzt "tauglich für 5G+"

Vodafone-Manager Saul dagegen lässt das Argument der Smartphone-Verfügbarkeit nicht gelten: „Zahlreiche neue Geräte, die auf den Markt kommen, sind tauglich für 5G+“. Manche der bisherigen, speziell auf Privatkunden zugeschnittenen Apps für diese Mobilfunkstandard „mag man vielleicht belächeln“, sagt er. „Aber wir können uns heute noch gar nicht vorstellen, welche Bedeutung die Augmented Reality einmal haben wird und wie stark sie unseren Alltag verändern wird.“

Dass jedoch heute selbst schon Offshore-Windturbinen in der Nordsee mit 5G-Mobilfunktechnik ausgerüstet werden, damit man ihren technischen Zustand von Land aus überwachen und Fehlfunktionen sofort erkennen kann, bringt für den passionierten Segler eine neue Erfahrung mit sich: „Der Traum, auf dem Boot absolut allein und für niemanden erreichbar zu sein, ist bald ausgeträumt.“