Hamburg. Die Supermarktkette hat ein Pilotprojekt für den neuen Service beantragt. Bei der Premierenfahrt gab es dann einen Schreckmoment.
Es ist ein Hingucker. Die beiden Scheinwerfer an der Frontseite leuchten auf, die Räder ruckeln in die Spur, dann rollt der kleine Roboter vor dem Rewe-Markt los. Ganz von allein. Eine Passantin linst irritiert über ihren Rollator, eine Mutter mit Kinderwagen macht schnell ein Foto. Im Schritttempo geht es auf dem Gehweg die Hoheluftchaussee runter – im Schlepptau des kastigen Plastikgefährts Mitarbeiter der Supermarktkette Rewe, des Roboterbauers Cartken und zwei Sachverständige des TÜV Hanse.
Rewe Lieferbot steht auf den roten Aufklebern an beiden Seiten, unter einer Ladeklappe steckt eine Tüte mit Bananen, einem Glas Bio-Honig und einem Liter H-Milch. Als ein Mann mit schnellen Schritten links überholt und vor dem Lieferroboter wieder einschert, ist erst mal Stopp. „Er erkennt in ihm ein Hindernis. Und das soll er auch“, sagt Frank Schmitz zufrieden, als sich der Trupp kurz darauf wieder in Bewegung setzt.
Einzelhandel Hamburg: Roboter soll Lebensmittel liefern
Schmitz gehört zum Innovationsteam der Rewe Group in Köln und ist Leiter des Projekts Lieferbot. „Wir erproben laufend neue Technologien“, sagt er. Der Einsatz von autonomen Lieferfahrzeugen soll dem Lebensmittelhändler neue Erkenntnisse für das Einkaufen der Zukunft bringen. „Die Kunden bestellen ihre Waren über eine App bequem von zu Hause und bekommen sie innerhalb von zwei Stunden von unserem Lieferbot vor die Haustür gebracht“, erklärt der Manager. Die Probefahrt an diesem Oktobervormittag ist die Premiere – und erst mal nur ein Praxistest. Das Gefährt muss noch durch die TÜV-Prüfung, erst danach kann auch die notwendige behördliche Genehmigung erfolgen.
Seit mehr als einem Jahr laufen die Vorbereitungen für den Start des Lieferbots inzwischen. Partner ist das Start-up Cartken, das in den USA, Japan und Großbritannien bereits mehrere Hundert Roboter auf der Straße hat. Eingesetzt werden sie für die Auslieferung von Paketen und von Essenbestellungen. „In Deutschland ist Rewe unser erster Kunde“, sagt Lennart Haller, der vom deutschen Unternehmenssitz in München für die Probefahrt nach Hamburg gekommen ist.
Roboter kann sich autonom auf der Straße bewegen
Äußerlich ist der rollende Roboter mit einer Ladebox in der Größe des Mineralwasserkastens wenig spektakulär – ausgenommen vielleicht die beiden Vorderlampen, die fast wie Augen aussehen und beim Einschalten zu blinzeln scheinen. Die hochkomplexe Technologie steckt im Inneren. „Mithilfe von Kameras, einer Art Radarsystem und künstlicher Intelligenz kann der Roboter sich autonom auf der Straße bewegen und Hindernisse erkennen. Gespeichert ist eine Karte der Umgebung, mit der er seinen Zielort auf dem schnellsten Weg ansteuert“, sagt Haller.
Zur Sicherheit sitzt in der Zentrale ein Mitarbeiter, der auf einem Bildschirm alle Fahrten im Blick hat und im Notfall eingreifen kann. „Wir haben lange gesucht, bis wir den richtigen Hersteller für unseren Lieferbot gefunden haben“, sagt Rewe-Innovationsmanager Schmitz. Zur Abwicklung der Lieferungen setzt der Lebensmittelhändler die Smartphone-App Last Mile ein. Kunden in einem Radius von einem Kilometer können darüber aus dem Angebot des nächstliegenden Supermarkts ordern und einen Wunsch-Liefertermin angeben.
Sortiment zunächst auf 5000 Artikel beschränkt
Die Bezahlung läuft per Kreditkarte oder über digitale Zahlungsoptionen wie Apple Pay oder Google Pay. „Sobald die Bestellung eingeht, packt ein Mitarbeiter im Markt die Produkte zusammen und schickt den Lieferbot los“, sagt Schmitz. Lieferkosten werden nicht fällig, allerdings erhebt Rewe bei Bestellungen unter zehn Euro eine Gebühr von zwei Euro.
Das ist der Plan. Für den Modellversuch, für den als bundesweit einziger Standort der Rewe-Markt an der Hoheluftchaussee ausgewählt wurde, ist das Sortiment zunächst auf 5000 Artikel beschränkt. Nicht dabei sind Artikel aus dem Kühlregal wie Milch oder Joghurt sowie Tiefkühlprodukte. Wenn der Roboter an der Lieferadresse angekommen ist, wird eine Nachricht mit einem Pin-Code an den Kunden versandt, mit dem sich die Ladeklappe öffnen lässt. „Es ist auch möglich, einzelne Produkte zurückzuschicken und rückerstatten zu lassen, wenn sie doch nicht gekauft werden sollen“, sagt Frank Schmitz. Mit dem Testlauf will das Unternehmen Informationen über die Kundengruppe, die Zusammensetzung der Warenkörbe und die Prozesse sammeln.
Rewe bietet auch einen Abholservice
Rewe testet schon seit einigen Jahren neue digitale Services. Der Lebensmittelhändler bietet neben dem klassischen Lieferdienst aktuell mehrere Optionen, um Kunden und Kundinnen den Weg in den Supermarkt zu ersparen. Es gibt einen Abholservice, bei dem Bestellungen online erledigt und zu einem Wunschzeitpunkt nur noch im Markt abgeholt werden müssen. 270 Standorte in der Metropolregion Hamburg bieten die Möglichkeit inzwischen, bundesweit sind es 1600. Seit vergangenem Jahr betreibt Rewe zudem mit den sogenannten Abholpunkten weitere – marktunabhängige – Ausgabestellen.
In Hamburg gibt es drei Standorte: in Rotherbaum, auf der Uhlenhorst und in der HafenCity. Um Wartezeiten in den Supermärkten zu reduzieren, werden Selbstbedienungskassen installiert, und mit der Option Scan&Go kann direkt und bargeldlos über eine Smartphone-App bezahlt werden. Auch erste Versuche mit Verkaufsstellen ohne Personal macht der Konzern. Unter dem Namen Pick & Go eröffnet demnächst in Berlin der zweite hybride Supermarkt. Mit den Rewe-Lieferbots will sich der Händler von Express-Lieferdiensten wie Gorillas, Getir oder Flink absetzen, bei denen die Kunden nur aus einem kleinen Basissortiment auswählen können und die Waren von Fahrradkurieren gebracht werden.
Auch Hermes startete einen Modellversuch
Dabei ist die Idee, Lieferroboter einzusetzen, nicht neu. Unter anderem hatte der Paketdienst Hermes, der zur Otto Group gehört, 2017 in Hamburg einen Modellversuch in Kooperation mit dem estnischen Hersteller Starship gestartet. Das Projekt mit den ferngesteuerten Lieferrobotern war nach einigen Monaten stillschweigend ausgelaufen. Ein Problem: Anders als in anderen Ländern wurde der Einsatz der Roboter aus Sicherheitsgründen nur mit einer menschlichen Begleitung genehmigt.
Auch Pizzabäcker Domino’s setzte damals für einige Zeit in den Hamburger Stadtteilen Ottensen und Eimsbüttel Starship-Roboter ein. Inzwischen hat der Marktführer einen weiteren Modellversuch gestartet. In Berlin fuhren in diesem Frühjahr die Lieferroboter des Start-ups Teraki auf der sogenannten letzten Meile Pizza aus – erlaubt hatten die Behörden der Bundeshauptstadt das, ähnlich wie vor fünf Jahren in Hamburg, nur mit einem Menschen als Begleitung.
Verkehrsbehörde für Genehmigungen zuständig
„Die Resonanz war gut“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Trotzdem geht der fünfwöchige Testlauf nicht in die Verlängerung. „Das hängt von den Genehmigungen ab“, so die Sprecherin. Weiterzumachen lohne sich nur, wenn es auch eine Weiterentwicklung gebe. Konkret: eine Fahrerlaubnis ohne „Robotersitter“.
Technisch ist das möglich. Das sagt auch Roboter-Hersteller Cartken. In Hamburg ist die Verkehrsbehörde für die Erlaubnis zuständig. „Aktuell befinden wir uns noch in der rechtlichen Prüfung und in der Abstimmung mit zu beteiligenden Behörden“, sagt Sprecher Dennis Heinert auf Abendblatt-Anfrage. Dabei betreffe die Prüfung insbesondere die vom Lieferroboter zu erfüllenden Anforderungen der Straßenverkehrsordnung und der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Konkrete Angaben zum Stand des Verfahrens machte die Behörde nicht.
Einzelhandel Hamburg: Premierenfahrt sorgte für Schreckmoment
Ein wichtiger Schritt ist das Sachverständigengutachten. Während der Roboter bei seiner Hamburger Premierenfahrt mit Testbestellung durch Hoheluft-West rollt, beobachten Axel Haupt und Markus Tappert von der TÜV Hanse GmbH alles ganz genau. „Nach der sicherheitstechnischen Bewertung durch unsere Kollegen von TÜV Süd folgt nun der Praxistest. Funktionieren die Bremsen und Lenkung korrekt, ist die Beleuchtung ausreichend?“, sagt der Sachverständige Tappert und notiert die Ergebnisse. Einen kurzen Schreckmoment gibt es dann auch noch. Ordnungsgemäß hatte der Rewe-Lieferbot an einer großen Kreuzung vor einer roten Ampel gewartet.
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Als sie auf Grün sprang, fuhr er los, stoppte aber wegen eines Passanten mitten auf der sechsspurigen Straße – und schaffte es dann gerade noch auf die Mittelinsel, bevor die Autos losfuhren. Als Nächstes erfolgen am TÜV Hanse Service-Center die Prüfungen zur Erstellung des amtlichen Gutachtens. „Wenn alles klappt wie geplant, könnte die Pilotphase in den nächsten Wochen starten“, hofft Rewe-Manager Schmitz. Anwohner und Kunden werden die sechsrädrigen Lieferanten dann häufiger auf dem Gehweg begegnen. Drei Roboter sollen um den Rewe-Markt an der Hoheluftchaussee unterwegs sein.