Hamburg. Limonaden-Hersteller will neue Sponsoring-Regel für Sozialunternehmen und startet Bundestagspetition. Senator verspricht Prüfung.
Erst die Zucker-Posse, jetzt Streit um eine Steuernachzahlung in Millionenhöhe. Lemonaid legt sich mal wieder mit deutschen Behörden an. Dieses Mal geht es um das finanzielle Engagement für den guten Zweck des Hamburger Getränkeherstellers. Mit jeder verkauften Flasche unterstützt Lemonaid seit Jahren Sozialprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika. Motto: Trinken hilft. Sieben Millionen Euro sind so seit der Gründung zusammengekommen. Doch inzwischen hat sich das Finanzamt eingeschaltet und verlangt von Lemonaid hohe Steuernachzahlungen. „Wir werden abgestraft, weil wir zu viel Gutes tun“, sagt Gründer und Geschäftsführer Paul Bethke und schlägt Alarm. „Die Forderungen sind für uns existenzbedrohend.“
Lemonaid droht Steuernachzahlung in Millionenhöhe
Der Hintergrund: Lemonaid versteht sich als sogenanntes Sozialunternehmen. Die Finanzierung der sozialen Projekte wird über den gemeinnützigen Verein Lemonaid & ChariTea abgewickelt. Vertraglich geregelt ist das durch eine Art Sponsoringvertrag zwischen Getränkefirma und Verein. Auf diese Weise verpflichtet sich Lemonaid, auch tatsächlich den festgelegten Betrag zu überweisen – abgekoppelt von Geschäftserfolg und Gewinnen. Laut Internetseite wurden bislang 62 lokale Initiativen gesponsort, darunter Frauenkooperativen in Ruanda und Bildungsprogramme in Südafrika.
Bis vor zwei Jahren lief das Modell, das zum Vorbild für andere Sozialunternehmen wurde, reibungslos. Doch dann kam die Steuerbehörde nach einer Prüfung zu dem Schluss, dass für die Ausgaben – sprich: die Zahlungen an den Verein – eine Gegenleistung fehle. Dabei geht es nicht darum, dass das Geld nicht geflossen ist. Vielmehr ist diese Art von Sponsoring für die gute Sache im deutschen Steuerrecht offenbar nicht vorgesehen. Um als Sponsoring anerkannt zu werden, fehlten die „Gegenleistungen des Vereins“, heißt es in einem Bericht im Rahmen einer Steuerprüfung, der dem Hamburger Abendblatt vorliegt. „In der Folge stellen diese Zahlungen Betriebsausgaben in Form von Spenden dar.“ Und weiter: Aufgrund des einseitigen Spendenverhaltens der GmbH seien diese als verdeckte Gewinnausschüttungen an diejenigen Gesellschafter anzusehen, die auch Mitglied des Vereins sind.
Die Sache ist kompliziert. Inzwischen zeichnet sich ab, dass das Finanzamt von seiner Auffassung nicht abrückt. Gespräche und Widersprüche hätten nichts gebracht, so der Geschäftsführer Bethke. Auch direkte Spenden an den Verein in der vereinbarten Höhe als Alternative wären nach seinen Angaben keine Lösung. Nach deutschem Steuerrecht seien diese nur bis zu einer Höhe von 0,4 Prozent des Umsatzes steuerlich absetzbar. Das Engagement von Lemonaid beläuft sich nach eigenen Angaben aber auf mehr als das Fünfzehnfache dieses Werts. Allein für den Prüfungszeitraum 2015 bis 2017 fordert die Steuerbehörde jetzt eine Nachzahlung von 650.000 Euro. Bethke befürchtet, dass die Forderungen im Anschluss auf alle Jahre seit Beginn des Sponsorings ausgeweitet werden könnte. Dann müssten die Brausebrauer sogar mehr als drei Millionen Euro ans Finanzamt abführen. „Das Geld haben wir nicht“, sagt der Lemonaid-Chef, denn es sei vertragsgemäß über den Verein an die Projekte überwiesen worden.
Ihn ärgert besonders, dass das Unternehmenssponsoring eines Formel-1-Rennstalls oder eines Fußballvereins nahezu uneingeschränkt möglich sei. „Bei der Unterstützung eines gemeinnützigen Vereins aber angeblich ein Gegenwert fehlt. Das ist nicht nachvollziehbar.“ Aus seiner Sicht hat das soziale Engagement – abgesehen davon, dass es sinnvoll ist – auch einen hohen Wert für das Unternehmen. „Menschen bringen die Unterstützung ja beim Kauf unserer Produkte mit der Marke in Verbindung“, so Bethke.
Wie 2019, als das Bezirksamt Hamburg-Mitte Lemonaid verbieten wollte, seine bekannte Bio-Limo weiterhin als Limonade zu bezeichnen, weil sie qua Verordnung zu wenig Zucker enthalte, wehrt sich der Brausehersteller jetzt auch öffentlich. „Das ist unsere einzige Hoffnung.“, sagt Paul Bethke.
Lemonaid erhält prominente Unterstützung
Lemonaid sei ein Präzedenzfall. „Es ist ein Irrsinn, der Sozialunternehmen generell betrifft. Diese absurde Rechtslage muss endlich geändert werden“, so Bethke, der das Unternehmen mit Felix Langguth leitet. Lemonaid hat deshalb jetzt die Kampagne „Amtlich was kippen“ gestartet. In einer Bundestagspetition fordert das Hamburger Unternehmen, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass die finanzielle Unterstützung gemeinnütziger Zwecke durch Sozialunternehmen als steuerlich abzugsfähige Aufwendung anerkannt wird. Dabei bekommen die Hamburger Hilfe von prominenten Unterstützern wie dem TV-Moderator Joko Winterscheidt, Schauspieler Matthias Schweighöfer und Musiker Bosse.
Das Thema ist schon seit Jahren auch in der Politik angekommen. Die Große Koalition hatte 2018 die hohe Relevanz von „Social Entrepreneurship“ (soziales Unternehmertum) in den Koalitionsvertrag geschrieben. Die aktuelle Ampelkoalition in Berlin kündigte im vergangenen Jahr sogar eine „nationale Strategie für Sozialunternehmen“ an. Dabei sollen neue rechtliche Rahmenbedingungen für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften geschaffen werden sowie Finanzierungs- und Förderhemmnisse abgebaut werden. „Höchste Zeit, den Ankündigungen jetzt Taten folgen zu lassen“, sagt Lemonaid-Geschäftsführer Paul Bethke.
So reagiert die Finanzbehörde
Die Finanzbehörde wollte sich auf Anfrage des Hamburger Abendblatts mit Bezug auf das Steuergeheimnis nicht zu dem konkreten Fall äußern. Allgemein lasse sich sagen: Als Voraussetzung dafür, dass ein sogenanntes Sponsoring in Form von Geld, Sachmitteln oder Dienstleistungen als Betriebsausgabe gilt, muss der Gesponserte eine Gegenleistung erbringen. Das sei höchstrichterlich entschieden. Noch mehr Bedingungen müssen erfüllt werden, wenn es um Spenden von Körperschaften geht. Diese stehen demnach zusätzlich unter dem Vorbehalt der verdeckten Gewinnausschüttung. „Losgelöst vom Einzelfall, der Sache der Steuerverwaltung ist, kann ich das Anliegen und das Störgefühl von Sozialunternehmen im Hinblick auf die steuerrechtlichen Regelungen verstehen“, sagt Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) dem Abendblatt.
Er werde deshalb im Kontext der Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitsrechts prüfen lassen, ob die steuerrechtlichen Regelungen für Sozialunternehmen wirklich sachgerecht und interessengerecht sind. „Hamburg kann hier alleine nichts ausrichten – aber Finanzministerkonferenz und Ampel-Koalition sollten ein Auge drauf haben. Sozialunternehmen sind für die Weiterentwicklung einer sozialen und ökologischen Marktwirtschaft wichtig – da müssen wir prüfen, ob die Gesetze überall auf der Höhe der Zeit sind.“
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Für Lemonaid, das 2016 mit dem Deutschen Gründerpreis und 2012 mit dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet wurde, könnte es jetzt richtig eng werden. In den vergangenen Jahren haben Corona und die starken Umsatzrückgänge im Gastro-Geschäft dem Unternehmen mit 114 Beschäftigten zugesetzt. „Wir sind froh, dass wir das überlebt haben.“ Jetzt machen Kostensteigerungen und Kaufzurückhaltung dem Szene-Brausehersteller zu schaffen. „Erstmals sind Rückgänge im Lebensmitteleinzelhandel zu spüren.“ Wie angespannt die Situation ist, zeigt: Erstmals seit der Gründung ist eine Preiserhöhung nicht ausgeschlossen.