Hamburg. In der Nestlé-Fabrik in Wandsbek läuft ein neuer Kitkat-Riegel über die Bänder. Werksleiter Galvan nennt die Herausforderungen.
Auf dem Gelände des Nestlé-Chocoladenwerks ragt ein Silo in den wolkenlosen Himmel. „Zucker“, für After Eight, Smarties und Kitkat, steht in weißen Buchstaben auf dem stählernen Turm. Ringsherum gruppieren sich Fabrikhallen auf dem 50.000 Quadratmeter großen Gelände in Wandsbek, Beschäftigte in Arbeitshosen, mit Sicherheitsschuhen und Bartschutz wünschen sich „Mahlzeit“, als es zur Mittagszeit in die Kantine geht. Eine kurze Pause, dann werden sie weiter Kitkat, Smarties, After Eight, Choco Crossies und Chocolate Chips produzieren, aufpassen, dass die Packungen korrekt verklebt sind, und über die Rezepturen wachen. Das meiste wird exportiert. Primär in europäische Länder, die Ware wird aber auch weltweit geliefert, etwa an Flughäfen, wo viele Smarties verkauft werden.
Und nun kommt auch noch eine weitere Spezialität aus dem Hamburger Werk: ein neuer Kitkat-Riegel für Veganer. Ab September kommt diese Variante von Kitkat aus der Hansestadt in die deutschen Supermärkte, mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 1,29 Euro, und wird auch in rund 20 weitere Länder geliefert.
Warum der vegane Kitkat-Riegel für Nestlé in Hamburg eine Herausforderung ist
Arturo Galvan, Werkleiter in Hamburg, ein junger Maschinenbauer, der hier alle im Vorbeigehen grüßt, beschreibt das neue Produkt als große Herausforderung. Schließlich gehört zu Schokolade normalerweise auch Milch, eine Zutat, die sich für ein veganes Produkt verbietet. „Es soll genauso gut schmecken“, sagt der 43-Jährige, „nicht genauso, aber genauso gut“.
Und natürlich sollten Konsistenz und Haltbarkeit ebenso einwandfrei sein wie beim klassischen Kitkat, einem Produkt, das seit 80 Jahren im Markt ist, weltweit verkauft wird und dessen Image nicht durch eine wenig ausgereifte Neuerung angekratzt werden darf.
Reisssirup und Maisstärke statt Milch
Die Problematik: Normalerweise bleibt die Mischung aus Kakao, Milch und Zucker stabil. Doch Fett und Zucker haben ohne die tierische Emulsion die Tendenz, sich zu trennen. Der Kakao verfärbt sich in diesem Fall weiß. Ein unschöner Nebeneffekt, der im neuen Riegel unbedingt verhindert werden musste.
Statt Milch verwendet Nestlé im veganen Riegel nun Reissirup und Maisstärke. Durch diese Mixtur und einen angepassten Temperierungsprozess bleibt auch das vegane Kitkat stabil und schön braun, es wurde bereits in England lanciert, für den Kontinent aber feiert das Werk Hamburg als wichtigster Hersteller nun Premiere.
Nestlé investiert in Hamburg-Wandsbek
Der Standort hatte sich schon zuvor durch so komplexe Innovationen wie dem pinkfarbenen Kitkat Ruby hervorgetan. Einer Spezialität, die den Roséton nicht durch künstliche Farbstoffe, sondern eine besondere Kakaobohne erhält. „Wir haben bereits gezeigt, dass wir eine sehr gute Schokoladenkompetenz haben“, freut sich Galvan, der sich als ehemaliger Werksleiter bei der Babypflege Bübchen zunächst in die Lebensmitteltechnik einarbeiten musste und voll auf die Fähigkeiten seiner Hamburger Mitarbeiter zählen konnte, die hier in der vor knapp einem Jahrhundert gegründeten Fabrik seit Ende der 1980er-Jahre zur Nestlé-Gruppe gehören. Die Leistung der Norddeutschen wurde honoriert, Nestlé investiert nun erneut eine mittlere sechsstellige Summe in die Produktion in Wandsbek, um diese auch für Kitkat vegan zu einem der wichtigsten Werke im Konzernverbund zu etablieren.
Das logistische Plus der Süßwarenfabrik, die mehr als 60.000 Tonnen im Jahr produziert: Die Kakaobohnen kommen im Hamburger Hafen an, werden hier von Verunreinigungen wie Steinen gesäubert und bei Nestlé verarbeitet. Dann wird die Ware wieder über den Hafen verschifft, in Kühlcontainern vor dem Schmelzen bewahrt. Dieser Wettbewerbsvorteil hat Wandsbek zur drittgrößten Schokoladenfabrik von Nestle wachsen lassen, und dem größten europäischen Werk, die übrigen stehen in England und in Russland, wobei Letzteres nur für den einheimischen Markt fertigt.
Auflegen der Waffeln ist heikler Moment
Die Investitionen für das neue Kitkat flossen in neue Rohrleitungen, zudem musste eine Waffellinie umgerüstet werden. Die Zahl der Mitarbeiter – rund 800 Frauen und Männer arbeiten hier als Kaufleute in der Verwaltung, als Lebensmittelingenieure in der Entwicklung oder als Anlagenführer in der Herstellung – blieb dadurch aber unberührt.
Arturo Galvan zeigt das Entstehen eines Kitkat an den Fertigungsstraßen der Fabrik. Es duftet nach Kakao, damit hört die Romantik aber auch schon auf, das Rattern der Maschinen ist so laut, dass alle einen Gehörschutz tragen müssen. Zunächst wird die untere Hälfte des Riegels, eine kleine „Wanne“ aus Schokolade gegossen. Tausende dieser Formen laufen über das Band. Dann werden die zuvor in der eigenen Bäckerei gebackenen Waffeln aufgelegt, durch einen Automaten.
Ein heikler Moment, denn die Finger dürfen nicht brechen oder übereinanderliegen. Sonst passt der „Deckel“ aus Schokolade nicht über das Backwerk. In die Zwischenräume kommt eine knusprige Füllung, und diese birgt eine Überraschung: Sie besteht zum Teil aus den Kitkat-Waffel-Halberzeugnissen, die als Bruchstücke, wegen kleiner optischer Mängel, als Ausschuss in einem großen Behälter neben der Produktionsstraße landen.
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Der gesamte Prozess muss beim veganen Kitkat separat ablaufen. Andere Rohre werden genutzt, und natürlich darf nicht die Recycle-Masse der konventionellen Kitkats als Füllung genutzt werden, denn diese wäre ja nicht frei von tierischen Erzeugnissen.
Neben der wachsenden Zahl von Menschen, die sich vegan ernähren, stellt sich Nestlé mit dem neuen Schokoriegel auch einem weiteren Trend, der Nachhaltigkeit. Der Schweizer Konzern, der in den vergangenen Jahren von Aktivisten als Ausbeuter von Wasserressourcen und aggressiver Vermarkter von Säuglingsnahrung in Entwicklungsländern kritisiert wurde, möchte sich ein grünes Image geben: „Wir haben beim veganen Kitkat einen kleineren CO2-Fußabdruck durch weniger Milch“, sagt Galvan, der mit seiner Familie in der HafenCity wohnt. Unter dem Strich ergebe sich 18 Prozent weniger CO2-Ausstoß im Vergleich zum klassischen Kitkat, bilanziert Galvan zu den Vorteilen, die das vegane Produkt für die Umwelt bietet. Das Palmöl, ein Produkt, wegen dessen Verwendung in Kitkatriegeln Nestlé vor Jahren zudem von Greenpeace als Zerstörer von Regenwald gebrandmarkt wurde, ist nach wie vor enthalten. Allerdings hat sich Nestlé nach Shitstorms in den sozialen Medien schon länger verpflichtet, die Zutat nur noch nachhaltig anbauen zu lassen.
Galvan lebt nicht fleischlos, achtet für sich, seine Frau Gabriela und seine Kinder Marcela und Samuel aber auf eine gesunde Ernährung. Ihre Lieblings-Schoki, Smarties, bekämen die beiden Kleinen „immer erst als Belohnung, wenn sie die Brokkolisuppe aufgegessen haben“, sagt Galvan lachend. Auch der gebürtige Mexikaner selbst kann sich bei so mancher Süßigkeit nicht zurückhalten - und gönnt sich, selbst wenn er tagsüber schon Dutzende Produkte probiert hat - nach Feierabend gern ein paar Choco Crossies Salted Caramel. „Das ist der reine Genuss“, den Galvan aber auch regelmäßig wieder abarbeitet, beim Fußball spielen.