Hamburg. Energieberater fehlen, es gibt zu wenige Handwerker, immense Renovierungskosten und neue Heiztechniken stoßen an ihre Grenzen.
Nichts geht mehr. Wer für sein Einfamilienhaus eine Energieberatung sucht, bei der es um Heizung, Gebäudehülle und erneuerbare Energien geht, steht bei der Verbraucherzentrale Hamburg vor verschlossenen Türen.
„Wir werden überrannt“, sagt Michael Knobloch, Geschäftsführer der Verbraucherzentrale Hamburg. Folglich gibt es jetzt einen Annahmestopp. Die Beratung wird von Honorarkräften übernommen und ist zudem für die Verbraucher noch kostenlos. „Wir müssen den Stau der Aufträge erst abarbeiten“, sagt Knobloch.
Ist Heizen ohne Öl und Gas in Hamburg überhaupt möglich?
Bei dem Annahmestopp wird es eher um Monate als um Wochen gehen. Fehlende Energieberater sind nur ein Indiz, wie schwer es Hauseigentümer in den nächsten Jahren haben werden, Modernisierungsauflagen zu erfüllen. Denn ob sie die Heizung erneuern oder das Dach neu decken wollen, stets müssen Hamburger Vorgaben beachtet werden, und in den nächsten Jahren dürften weitere des Bundes oder der EU hinzukommen.
Die Ziele auf dem Weg zur Klimaneutralität in Hamburg sind ehrgeizig. 2017 verursachten die privaten Haushalte der Stadt noch 3,6 Millionen Tonnen CO2. Bis zum Jahr 2030 sollen sie 1,6 Millionen Tonnen des Klimagases einsparen. Das kommt einer Revolution in den Heizungskellern gleich. Gerade einmal vier Prozent des Energiebedarfs für Heizung und Warmwasser wurden 2019 (neuere Zahlen liegen nicht vor) von erneuerbaren Energien gedeckt, aber über 60 Prozent gehen auf die fossilen Brennstoffe Erdgas und Erdöl zurück.
Ab 2030 keine Wärme mehr aus Kohle
Auch bei der Fernwärme (Anteil 28 Prozent) ist Hamburg alles andere als sauber. Das Kohlekraftwerk Wedel als eine wichtige Quelle der Wärmeversorgung soll durch ein Gas- und Dampfturbinenkraftwerks auf der Dradenau ab 2025 ersetzt werden. Ab dem Jahr 2030 soll zumindest in Hamburg möglichst keine Wärme mehr aus Stein- oder Braunkohle in die Hamburger Fernwärmenetze eingespeist werden. Das Heizkraftwerk Tiefstack soll als letztes Hamburger Kohlekraftwerk durch verschiedene klimaneutrale Wärmelösungen wie Abwärme oder Flusswärmepumpen ersetzt werden.
Schon jetzt mahnt der Direktor des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW), Andreas Breitner: „Eigentümer fernwärmeversorgter Gebäude müssen sich darauf verlassen können, dass die vollständig emissionsfreie Wärme bis zur ersten Hälfte der 2040er- Jahre tatsächlich bereitsteht.“ Zudem dürfe nicht vergessen werden, dass die Energie für Haushalte mit mittlerem und geringem Einkommen bezahlbar bleibe.
Gasetagenheizungen von Regelung ausgenommen
Doch selbst wenn die Fristen nicht eingehalten werden sollten, wird wohl die Fernwärme für Hamburgs Wohnungen kaum gestoppt werden. Auch Eigentümer und Mieter von Wohnungen mit Gasetagenheizungen können wohl noch für längere Zeit den fossilen Brennstoff nutzen. „Die jetzt schon geltende Pflicht, bei Heizungserneuerung mindestens 15 Prozent des jährlichen Wärmenergiebedarfs durch erneuerbare Energien zu decken, gilt nur für zentrale Heizungsanlagen – und Gasetagenheizungen sind davon ausgenommen“, sagt Renate Pinzke, Sprecherin der Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (Bukea).
15 Prozent erneuerbare Energien lassen sich mit einer Solarthermieanlage auf dem Dach realisieren. Doch nach den Plänen der Bundesregierung sollen es ab dem Jahr 2024 oder 2025 bereits 65 Prozent erneuerbare Energien sein. Dann hat die Gas- und Ölheizung nach dem politischen Willen ausgedient. Als Alternative bleiben nur noch Wärmepumpe oder Pelletheizung. Viele Vorgaben der Bundesregierung hält Harald Vogelsang, Vorstandssprecher der Hamburger Sparkasse, für zu pauschal: „Ich hoffe, dass man darüber noch einmal nachdenkt.“ Denn wenn die neuen Bestimmungen dazu führen sollten, dass ein energetisch immer noch wertvolles Haus von 1910 mit guter Bausubstanz abgerissen und ein neues gebaut werden müsste, nur weil es nicht den allerhöchsten Standard erreicht, sei das eine „energetische Katastrophe“.
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Schon jetzt ist das Interesse an einem Neuanschluss einer Gasheizung in Hamburg gesunken. „Die aktuell stark steigenden Energiepreise und das Auslaufen des Klima-Bonus-Programms haben zu einem erheblichen Rückgang der Anfragen geführt. Pro Quartal haben wir in den vergangen Jahren oft weit mehr als 500 Angebotsanfragen zu einem Hausgasanschluss beantwortet. Im ersten Quartal 2022 liegt die Zahl nur bei knapp 250“, sagt Bernd Eilitz, Sprecher von Gasnetz Hamburg. Mit dem Bonus-Programm wurde in Hamburg bis Ende 2021 noch der Umstieg von einer Ölheizung auf eine Gasheizung gefördert. Denn der CO2-Ausstoß sinkt so allein um fast ein Viertel.
Doch jetzt zeichnet sich das brachiale Ende beider Heizsysteme ab. Aber Experten zweifeln, ob sich das mit Stichtagsregeln umsetzen lässt und die Kapazitäten des Handwerks überhaupt dafür ausreichen. „Als Hamburg die Fristen im Hamburger Klimaschutzgesetz beschlossen hat, wurde der Fachkräftemangel nicht bedacht“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Stichtagsregelungen führen nach seiner Einschätzung zu unerwünschten Entwicklungen. „Denn kurz bevor der Anteil von 15 Prozent erneuerbarer Energie beim Austausch von Öl- oder Gasheizungen vor rund einem Jahr in Kraft trat, haben sich viele noch eine konventionelle Gasheizung ohne Solarthermie installieren lassen.“
Wer als Hauseigentümer nicht schon an der Bezahlbarkeit der Sanierung scheitert, der verzweifelt an fehlenden Planern und Handwerkern. „Die fehlenden Energieberater sind zwar ärgerlich, aber sie bringen den Hausbesitzer nicht weiter, wenn er seine Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzen will“, sagt der Hamburger Energieberater Jan-Peter Peters, der ein Ingenieurbüro betreibt – und auch keine Aufträge mehr annimmt. „Unsere Berater können nur eine Ersteinschätzung vornehmen, aber keine detaillierte Anlagenplanung“, sagt Verbraucherschützer Knobloch.
Nach dem ersten Fachmann ist also ein weiterer erforderlich, der noch schwieriger zu bekommen ist. Peters ist auch Planer für Wärmepumpen, einer von 33, die in Hamburg verfügbar sind. „Mindestens die zehnfache Anzahl wäre notwendig, um den Bedarf in Hamburg zu decken“, sagt Peters. Denn die Installation einer Wärmepumpe erfordert umfangreiche Berechnungen zur Heizlast, das ist wesentlich mehr Aufwand, als eine alte gegen eine neue Gasheizung auszutauschen. Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes Sanitär Heizung Klima, Helmut Bramann, geht davon aus, dass lediglich 15 bis 20 Prozent der Handwerksbetriebe bereits Erfahrungen mit dem Einbau von Wärmepumpen haben. Bundesweit sollen aber sechs Millionen solcher Anlagen bis 2030 installiert werden. 2021 waren es 154.000 dieser Heizungen, die mithilfe von Strom Umweltenergie aus dem Boden oder der Umgebungsluft mittels Verdichtung in Wärmeenergie umwandeln.
Pelletheizung als Alternative
Die Wärmepumpe kann auch nicht die Lösung für alle Gebäude sein. Am effektivsten arbeitet sie in gut gedämmt Häusern mit Fußbodenheizung. Dann können aus einer Kilowattstunde (kWh) Strom drei bis vier kWh Wärmeenergie erzeugt werden. „Sind die baulichen Voraussetzungen aber schlecht, wird in der sehr kalten Jahreszeit direkt mit Strom geheizt, also eins zu eins“, sagt Peters. Dann sind erst größere Sanierungsmaßnahmen am Gebäude notwendig.
Eine Alternative kann die Pelletheizung sein, aber bei diesen Anlagen stört in Hamburg die Feinstaubbelastung. Irgendwas ist immer. Wenn künftig jeder Reihenhausbesitzer seine Gasheizung mit einer Wärmepumpe ersetzen will, ist das nach Peters Einschätzung kein wirklich praktikabler Weg. „Das wäre ein Konjunkturprogramm für Anwälte“, sagt er mit Blick auf Lärmbelastung und Infraschall der Anlagen und den damit vorprogrammierten Streit mit den Nachbarn. „Bei größeren Reihenhaussiedlungen müssten zentrale Heizanlagen geschaffen werden.“
Sanierungsauflagen werden zu Herausforderung
Die Sanierungsauflagen werden auch für Wohnungseigentümergemeinschaften (WEG) eine Herausforderung. Die Eigentümer, die sich häufig darüber streiten, ob die Fenster erneuert oder das Dach neu gedeckt werden muss, haben keinen Spielraum mehr, wenn die Heizung kaputt geht. „In diesem Fall ist die Eigentümergemeinschaft verpflichtet, mindestens 15 Prozent erneuerbare Energien in die Wärmeversorgung zu integrieren“, sagt Bukea-Sprecherin Pinzke. Ab dem Jahr 2024 oder 2025 müssen sich Eigentümergemeinschaften dann zwischen Wärmepumpe oder Pelletheizung entscheiden.
Reihenhausbesitzer Olaf H. hat sich gerade sein Dach neu eindecken und begrünen lassen. Kostenpunkt: 25.000 Euro. So hofft er, sich die Photovoltaikanlage auf dem Dach ersparen zu können. Denn auch das wird für Hamburgs Hausbesitzer Pflicht. Wird bei Bestandsobjekten ab 1. Januar 2025 das Dach neu gedeckt, muss auch eine Photovoltaikanlage installiert werden. „Das trifft dann gleich mehrere Gewerke, die jetzt schon mehr als gut zu tun haben: Photovoltaikinstallateure und Elektriker, die die Anlage fachgerecht anschließen müssen“, sagt Handwerkskammerpräsident Stemmann. „Und Dachdecker, weil viele Immobilieneigentümer vorher noch ihr Dach erneuert haben wollen, um der Pflicht auszuweichen. In jedem Fall wird es eine enorme Herausforderung, die mit dem vorhandenen Personal kaum bewältigt werden kann.“
Verzicht auf Photovoltaik?
In Reihenhaussiedlungen gibt es auch ein Abstandsproblem zwischen den einzelnen Photovoltaikflächen. Auf den ohnehin schmalen Dachflächen bleibt nicht viel Platz für die Sonnenmodule, wenn nach der Hamburgischen Bauordnung (HBauO) ein Abstand von jeweils 1,25 Meter zur Brandmauer des Nachbarn eingehalten werden muss. Bis diese Regel durch eine Novellierung der HBauO überarbeitet werden soll, „hat das zuständige Amt für Bauordnung und Hochbau sich mittlerweile mit der Feuerwehr auf einen verringerten Abstand von Photovoltaikanlagen zu Brandwänden geeinigt“, wie Pinzke sagt. Ausreichend ist ein halber Meter. Dazu müsse allerdings ein Abweichungsantrag gestellt werden, der problemlos genehmigt werde.
Nur 37 Prozent der Hauseigentümer sehen eine Photovoltaikanlage als eine wirtschaftlich sinnvolle Investition an, ergab eine Umfrage des Grundeigentümerverbandes, des Immobilienverbandes Nord und des Verbandes norddeutscher Wohnungsunternehmer. Wenn die Amortisationszeit der Kosten einer Photovoltaikanlage mehr als 20 Jahre beträgt, gilt sie auch aus Sicht der Stadt als nicht wirtschaftlich vertretbar, und es kann darauf verzichtet werden.
Überall unterschiedliche Bedingungen
„Es ist falsch, dass die Verordnung der Stadt über eine Photovoltaikpflicht alle Wohnungsunternehmen über einen Kamm schert“, sagt VNW-Verbandschef Andreas Breitner. „In jedem Quartier herrschen unterschiedliche Bedingungen, die auch darüber bestimmen, welche Gebäude und welche Dächer für Photovoltaik geeignet sind. Wer auf Zwang setzt und dabei jeden ökonomischen Sachverstand außen vor lässt, kann nicht erwarten, mit offenen Armen empfangen zu werden.“
Mit Solaranlage und Wärmepumpe oder Pelletheizung kommen auf Einfamilienhausbesitzer Kosten von bis zu 50.000 Euro zu. Das Geld fehlt dann für andere Sanierungsmaßnahmen am Haus. Die Berechnungen des Beratungsunternehmens Caala (siehe Grafik) zeigen, dass Dämmung und neue Fenster den Wärmebedarf eines großen Einfamilienhauses schon um knapp 50 Prozent reduzieren. Der Austausch der Heizung hat dann gar keinen zusätzlichen Effekt mehr.
Verdopplung der energetischen Gebäudesanierungen bis 2030
Die Komplettsanierung einschließlich einer Photovoltaikanlage verursacht Kosten von rund 210.000 Euro. Abzüglich der staatlichen Förderung verbleiben rund 152.000 Euro oder 520 Euro je Quadratmeter Nutzfläche. Dennoch verbessert sich die Energieeffizienzklasse des Hauses gerade von G auf D. Deutlich mehr bringen die Maßnahmen bei der Reduzierung des CO2-Ausstosses, der um 95 Prozent sinkt. Allerdings fehlt hier die Gegenrechnung: Wie viel CO2 wird durch die Sanierungsmaßnahmen, also durch die Produktion von Fenstern, Dämmmaterial, Heizung und Solarmodulen, erzeugt. Diese Daten kann Caala nicht liefern.
Bis 2030 möchte die EU-Kommission die jährliche Quote der energetischen Gebäudesanierungen verdoppeln. Bis 2050 soll der gesamte Gebäudesektor möglichst ohne fossile Energieträger auskommen. Bis 2030 sollen Wohngebäude auf Basis der Energieausweise die Effizienzklasse F (maximal 200 kWh je Quadratmeter Wohnfläche) erreicht haben, schon drei Jahre später gilt die Klasse E (maximal 160 kWh) als unterster Maßstab. Für jedes Gebäude soll den Plänen zufolge ein verpflichtender Renovierungspass eingeführt werden. Darin soll dann dargelegt sein, durch welche Sanierungsschritte das Gebäude spätestens 2050 emissionsfrei wird. Man darf gespannt sein.