Hamburg. Der Abriss der beliebten Einkaufspassage in der Innenstadt steht bevor. Ein Geschäft wird nur noch im Internet zu finden sein.

Mit leicht melancholischem Blick schaut Lessing über den Gänsemarkt. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts steht das Denkmal des Dichters an dieser Stelle, mit kurzen Unterbrechungen, und nun wird der Künstler wieder Zeuge eines Umbruchs. Wo früher das Hamburger Nationaltheater, die Wirkungsstätte Lessings, und dann ein Jahrmarkt, Vorläufer des Doms, das Publikum anlockten, geht nun erneut eine Ära zu Ende. Die Gänsemarktpassage wird abgerissen. Ab Freitag sind die Türen zu dem Komplex geschlossen, die letzten Mieter mussten bis Ende März ausziehen.

„Es ist schade, dass wieder so eine Tradition stirbt“, sagt Sarikan Caglayan. Die Geschäftsführerin des Fresh Green an der Front des Gebäudes steht hinter der Theke ihres Bistros mit Salaten und Sandwiches und erinnert sich an alte Zeiten: „Hier war ich schon in meiner Kindheit, wir gingen damals mit Freunden in den UFA-Palast“, sagt die Gastronomin über das Kino, das hier früher Filmfreunde anlockte. Nun zieht sie mit ihrem Restaurant an den Stephansplatz, „aber so einen schönen Blick, mit vielen Außenplätzen, haben wir dort nicht“, sagt Sarikan Caglayan und schaut auf den sonnenbeschienenen Gänsemarkt.

Gänsemarktpassage schließt: Abriss schon länger beschlossen

Der Abriss der 1980 gebauten Passage mit ihrem tannengrünen Eingang war bereits vor längerer Zeit beschlossen worden. Eigentümer ist seit 2019 Signa. Die Gruppe, die zum Firmengeflecht des Immobilienmoguls René Benko gehört, plant einen Neubau in der 1-A-Lage. Büros, Geschäfte, Gastronomie und rund 30 Wohnungen sollen sich drei Baukörper teilen, die durch mehrere Innenhöfe mit Tageslicht versorgt werden. Die Fertigstellung des 250 Millionen Euro teuren Komplexes ist für April 2025 geplant.

Für viele Mieter bedeutet das Ende der Gänsemarktpassage einen Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ein Sterben auf Raten hat die Eigentümerfamilie des Traditionsgeschäfts Klockmann für Gepäck und Taschen im ersten Stock beobachtet. „Hier sind schon seit etlichen Monaten Shops rausgegangen, und sobald unten die Lichter ausgegangen sind, kamen immer weniger Leute zu uns“, sagt Geschäftsführer Henry Leins und räumt die letzten Möbel und Samsonite-Koffer aus dem Laden.

Umsatz hat in der Pandemie stark gelitten

Der Umsatz mit den Accessoires für Reisende habe während der Pandemie ohnehin stark gelitten. Dem Betrieb, der bereits 1902 in Hamburg gegründet wurde, bleibt nun neben der Werkstatt in Fuhlsbüttel noch ein Shop am Flughafen. Zugleich bringen Umbrüche immer Chancen auf einen Neuanfang mit sich – Klockmann will diese ergreifen, hat einen Laden für E-Mobilität im Kaufmannshaus eröffnet und sucht für dieses Zukunftsgeschäft auch einen weiteren Standort in der Innenstadt.

Im Block House Restaurant im ersten Stock hat Unternehmensgründer Eugen Block am Donnerstag noch einmal mit den Mitarbeitern und der Geschäftsführung ein letztes gemeinsames Essen organisiert. Immerhin wurde das Restaurant bereits 1979 eröffnet und war lange Zeit der umsatzstärkste Standort der Hamburger Steakhauskette.

Block House plant Nachfolger im nahen Deutschlandhaus

2008 wurde es an Platz Eins der erfolgreichsten Restaurants von dem neu eröffneten Block House am Jungfernstieg abgelöst. Als Nachfolger ist ein neuer Standort im nahen Deutschlandhaus vorgesehen. Die Eröffnung in der derzeit im Bau befindlichen Immobilie ist für das späte Frühjahr 2023 vorgesehen. Auf das Personal hat die zeitliche Lücke keine Auswirkungen: „Bis auf einen Kollegen, der nun in die Rente verabschiedet wird, konnten wir das gesamte Team vom Gänsemarkt für die Zwischenzeit auf umliegende Block House Restaurants verteilen“, sagte eine Sprecherin der Kette.

Andere Mieter haben ebenfalls eine neue Bleibe gefunden. Die Sofacompany ist nun in der Großen Elbstraße zu Hause, in der Nachbarschaft vieler anderer Möbelgeschäfte. Der Shop der Teebar Justea hat bereits neu in der Hudtwalckerstraße eröffnet. Die Parfümerie Pieper verweist auf ihr Geschäft in der Hamburger Hof Parfümerie am Neuen Wall, Butlers auf die Filiale am Alstertor 9.

Ein Geschäft der Passage wird nur noch im Internet zu finden sein: Anfangs habe er gut verdient, sagt Simon Nachtigall, Inhaber des Textildruckladens Umkleidekabine. Doch zuletzt seien immer weniger Kunden in seinen Shop für individuelle Shirts gekommen, auch wegen des Umzugs von Butlers aus dem hinteren Teil des Centers an den Eingang. „Und Corona hat das übrige getan“, sagt Nachtigall. Nun sei er froh, dass er keine Miete mehr zahlen muss und konzentriert sich auf das Onlinegeschäft.