Hamburg. Gürol Gür will sein Unternehmen breiter aufstellen und die Geschäftsführung an seine Kinder übergeben. Wo der Markt entstehen soll.

Cenkay Dehmen nimmt eine Platte mit Teiglingen und stürzt sie in eine Wanne gefüllt mit Kürbiskernen. Der 18-Jährige drückt die Kerne kurz fest und packt die vorbereiteten Brötchen auf ein Blech. Später werden sie gebacken. Sein Chef Gürol Gür beobachtet den Auszubildenden kurz. Vor knapp drei Jahren hat der 57-Jährige die Backstube in Wandsbek neu gebaut und eröffnet. Auch um seine vor 30 Jahren gegründete Schanzenbäckerei fit zu machen für die nächste Generation – doch künftig wird sich das Unternehmen nicht mehr ausschließlich mit Brot, Brötchen, Kuchen und Snacks beschäftigen. Es wird an einem Touristen-Hotspot einen Supermarkt eröffnen.

„An den Landungsbrücken machen wir ein neues Geschäft auf. Vorne kommt eine Schanzenbäckerei rein, hinten ein Edeka-Markt. Den betreiben wir auch selbst“, sagt Gür. Zusammen mit einem Partner habe er dafür eine neue Gesellschaft gegründet. Der Supermarkt soll in einem Gebäude entstehen, das Privatleute neben dem S-Bahnhof gebaut haben. Mitte Dezember habe man den Rohbau übernommen. Nun käme die Lüftung rein, die Fliesenleger und Trockenbauer sind aktiv. „Ich hoffe, dass wir am 7. April eröffnen können“, sagt Gür.

Schanzenbäckerei-Chef eröffnet Edeka: Mitvertrag unterschrieben

Den Mietvertrag für die Fläche hat er schon 2017 unterschrieben. Eigentlich sollte dort ein Schlemmermarkt entstehen. Dann kam die Pandemie. Während viele Geschäfte in den Lockdown mussten, lief der Verkauf von Gütern des täglichen Bedarfs wie Lebensmitteln und Taschentüchern gut – und ohne Einschränkungen weiter. Die Idee für einen Supermarkt entstand. Gür kontaktierte Edeka und fragte, ob sie ihn beliefern würden. Nach längeren Verhandlungen sei man sich einig geworden.

Zwischen 400 und 500 Quadratmeter wird der Supermarkt dort groß. Gür nennt ihn mit einem Schmunzeln den „kleinsten, aber schönsten Edeka-Markt“ und sagt: „Wir investieren 1,5 bis zwei Millionen Euro.“ Eine neue Filiale der Schanzenbäckerei kommt dort ebenfalls unter und wird zwischen 250 und 300 Quadratmeter einnehmen. Anwohner, Mitarbeiter aus umliegenden Büros und Touristen möchte er als Zielgruppe ansprechen. „Ich hoffe, dass wir mit dem weiteren Standbein Lebensmittel noch stärker werden“, sagt Gür und ergänzt: „Vielleicht schaffen wir auch noch einen zweiten oder dritten Edeka-Markt – ich habe ja fünf Kinder.“ Und sein Nachwuchs soll nun immer stärker operativ Verantwortung übernehmen.

Sohn Mehmet setzt künftig auf Donuts

Im vergangenen Mai kam sein Sohn Mehmet auf ihn zu und stellte ihm sein Geschäftskonzept Donutman vor. Der heute 29 Jahre alte gelernte Bäcker wollte sich mit Süßem wie Donuts und Cheesecake sowie belegten Bagels selbstständig machen. Sein Vater schickte ihn zunächst in die Backstube zum Üben, dann stellte er ihm die relativ kleine Filiale am Vorsetzen zur Verfügung, die sich als Schanzenbäckerei nicht so richtig gelohnt habe, und gab ihm Geld für den Umbau. „Bei der Eröffnung habe ich mich gewundert, was man damit für einen Umsatz machen kann“, sagt Gür senior. Für Donuts mit Kinderriegel oder Raffaello sind die Kunden bereit, 3,90 Euro zu bezahlen. Eine zweite Filiale am Mühlenkamp ist bereits eröffnet, eine dritte ist im Billstedt Center geplant.

„Der Kleine macht den Donutman, der Große macht die Schanzenbäckerei“, sagt Gür. Sein Sohn Mustafa ist 34 Jahre alt, gelernter Bäckermeister und Betriebswirt. Noch im Laufe dieses Jahres soll er die Geschäftsführung übernehmen. Seine Tochter Ayse (31) soll als studierte Betriebswirtin ebenfalls in die Leitung der Schanzenbäckerei einsteigen. Zudem zeigen auch die beiden jüngeren Kinder Interesse am Familienunternehmen, sagt Gür: „Ich glaube, dass die Kinder die Geschäfte gut machen werden – und ich mache Beratung an zwei bis drei Tagen in der Woche.“

Corona: Schanzenbäckerei musste Öffnungszeiten verkürzen

Er habe eine tolle Familie, man habe während der Pandemie gut zusammengehalten. Auch wenn die Zeiten alles andere als leicht gewesen seien. „Wir haben seit zwei Jahren kein Geld verdient und von einem kleinen Lohn gelebt, auch meine Kinder“, sagt Gür. Aber das sei eine Erfahrung, aus der man viel lerne. Beispielsweise habe man die Öffnungszeiten von Läden zurückgefahren, wenn in Randzeiten am frühen Morgen oder Abend nicht genug abgesetzt wurde. Einige Geschäfte würden daher jetzt nicht mehr um 5 Uhr, sondern später öffnen. Andere schon um 14 Uhr schließen.

Selbst in Krisen müsse man als Geschäftsmann neue Ideen entwickeln. So habe man beispielsweise ein Restaurant von Tim Mälzer am Frankfurter Flughafen mit eigens kreierten Baguettestangen beliefert. Und seit Mitte 2020 kooperiert die Schanzenbäckerei mit Gorillas. Der Lieferdienst nehme zwar relativ viel Ware ab und sei ein guter Kunde geworden, für den Gesamtumsatz spiele das allerdings nur eine untergeordnete Rolle.

Gastroflächen mussten im Lockdown schließen

Die Schanzenbäckerei litt wie andere Ketten mit vielen Gastronomieplätzen stark unter der Pandemie. Der Cafébereich wurde in der Vergangenheit in größer werdenden Filialen immer wichtiger. Etwa jeder zweite Euro wurde vor Corona mit dem Verkauf von Snacks und Kaffee umgesetzt. In den Lockdowns durften die Bäckereien dann zwar weiterhin Brot und Brötchen verkaufen, die auch verstärkt nachgefragt wurden. Allerdings mussten auch sie die Gastroflächen schließen. Die Folge: Der Umsatz in dem Bereich rauschte auf nahezu null runter. Mit einem Bankkredit im niedrigen Millionenbereich und dem Rückgriff auf eigene Mittel sei der Betrieb stabilisiert worden, sagt Gür. Doch der Jahresumsatz von mehr als 20 Millionen Euro im Jahr 2019 sei 2021 um sieben Millionen unterschritten worden. „2021 war sehr hart“, sagt Gür. Vor allem in der Innenstadt sei die Lage teilweise katastrophal gewesen, als viele Geschäfte wegen des Lockdowns geschlossen hatten.

Verbitterung über die temporären Zwangsschließungen hört man bei Gür, der im Jahr 1982 zusammen mit seinen Eltern aus der Türkei in die Bundesrepublik kam, nicht. Im Gegenteil: „Ich bin sehr dankbar, dass der Staat uns geholfen hat.“ Natürlich habe auch die Politik Fehler gemacht, aber insbesondere die Überbrückungshilfe III Anfang 2021 habe stark geholfen. Und dank der Kurzarbeiter-Regelung, die man im Juli 2021 im Unternehmen beendet hat, blieben immerhin fast alle seiner rund 280 festen Mitarbeiter an Bord. „Wir haben aber unheimlich viele Aushilfen im Verkauf verloren, weil wir sie während des Lockdowns nicht mehr beschäftigen konnten“, sagt Gür.

Umsätze liegen seit November bei 65 Prozent der normalen Werte

Seit im November die 2G-Regelung in der Gastronomie eingeführt wurde – also Zutritt nur für Geimpfte und Genesene – lägen die Umsätze bei etwa 65 Prozent der Vor-Pandemie-Zeit. Gür hofft, dass Covid-19 nach Ostern endlich abgehakt ist und spätestens ab Sommer die einst erzielten Erlöse wieder erreicht werden. Als neues Produkt für den Snackbereich hat er sich ein mit Fisch gefülltes Fladenbrot ausgedacht.

Allerdings ist mit der Inflation das nächste große Thema durch die Eingangstür getreten. Seit Sommer 2021 gebe es enorme Preissteigerungen bei Rohstoffen. Mehl und Verpackungen seien um jeweils 50 Prozent teurer geworden, Butter, Käse und Milch um mehr als 70 Prozent. Auch die Schanzenbäckerei reagierte darauf. „Im November haben wir die Preise um durchschnittlich fünf Prozent erhöht. Aber eigentlich reicht das nicht“, sagt Gür. Zwar möchte er nicht noch weiter erhöhen, aber wenn man wirtschaftlich gesund bleiben wolle, dann müsse man dies vielleicht nochmals tun. In den Filialen stiegen zudem die Energiepreise rasant an. In der neuen Backstube in Wandsbek konnte er diese Entwicklung immerhin stoppen. Weil er beim Bau viel Wert auf Energieeffizienz und Wärmegewinnung aus den eingesetzten Geräten legte, seien die Energiekosten dort so hoch wie vor drei Jahren.

Anzahl der Filialen bleibt weiterhin stabil

Auch die Filialzahl bleibt unterm Strich stabil. 35 Geschäfte gehören zum Netz, rund zwei Dutzend davon werden in Eigenregie betrieben. An der Warburgstraße sei ein Laden geschlossen worden, weil der Versicherungskonzern Signal Iduna sich vergrößern wollte. Und an der Feldstraße gab es das Aus für eine Bäckerei, weil der Mietvertrag ausgelaufen sei und das Gebäude abgerissen werden solle. Dafür kam in der Neuen Mitte Altona eine neue hinzu. Und bald das neue Geschäft an den Landungsbrücken.

„Nach dem Umzug aus dem Schlachthof nach Wandsbek gab es Überlegungen, in der Ecke zu expandieren. Bei kurzen Lieferwegen böte sich das an. Prinzipiell seien neue Filialen zwar weiterhin möglich“, sagt Gür. Nach der Pandemie überlege man sich das aber doppelt. Grund zum Feiern könnte es am Firmensitz am Wilma-Witte-Stieg bald trotzdem geben. Für den Sommer wünscht sich Gür ein Mitarbeiterfest zum 30. Jubiläum: „Aber ich weiß nicht, ob die Pandemie es uns erlaubt.“