Berlin. Die US-Notenbank Fed will ihren Leitzins erhöhen. An den Finanzmärkten herrscht Verunsicherung. Was Anleger jetzt beachten sollten.
Zwei Jahre lang herrschte an den Börsen Partystimmung: Nach dem Corona-Schock im März 2020, dem schnellsten Börsencrash aller Zeiten, legten die wichtigsten Börsenindizes der Welt eine beeindruckende Rally hin.
Der technologielastige Nasdaq hat sich seit dem Corona-Tief mehr als verdoppelt, der Dow Jones und auch der Deutsche Aktienindex notieren jeweils rund 83 Prozent höher – der Dax liegt selbst gemessen am Niveau vor dem Crash noch mit mehr als zwölf Prozent im Plus.
Börse: Hohe Inflation sorgt für Zinswende
Doch mit der guten Stimmung ist es vorerst vorbei. Der Russland-Ukraine-Konflikt sorgt für Unsicherheiten, Rohstoffe sind teuer und knapp, noch immer ruckeln die Lieferketten – das schlägt sich auf die Preise durch. In Deutschland stieg im vergangenen Jahr die Inflation um 3,1 Prozent an.
In den USA zog die Teuerung sogar um 4,7 Prozent an – der größte Preisanstieg seit 1990. Im Dezember legten die Verbraucherpreise in den Vereinigten Staaten gar um sieben Prozent zu.
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US-Notenbank Fed will den Leitzins erhöhen
Die amerikanische Notenbank Fed will dieser Entwicklung nicht mehr länger tatenlos zusehen – und leitet die Zinswende ein. Es könne „bald angemessen sein“, den Leitzins zu erhöhen, kündigte Notenbankchef Jerome Powell am Mittwochabend an. Möglicherweise könnte es schon bei der nächsten Fed-Sitzung im März so weit sein.
Derzeit liegt der Leitzins in der Spanne von 0,0 bis 0,25 Prozent Prozent. Viele Börsenexperten hatten zuletzt damit gerechnet, dass die Fed bis zu vier Anhebungen in diesem Jahr durchführen will. Doch auf eine Nachfrage schloss Powell auch nicht aus, dass die Fed bei jeder ihrer anstehenden Sitzungen an der Zinsschraube drehen könnte – das wären sieben Anhebungen. Erwartet werden Zinserhöhungen von jeweils 0,25 Prozentpunkten.
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US-Wirtschaft ist stark gewachsen
Außerdem will die Fed Anfang März aufhören, Wertpapiere zu kaufen. Mit dem milliardenschweren Kaufprogramm sollte die Konjunktur während der Corona-Krise gestützt werden. Nun steigt die Fed aus dem Krisenmodus aus – mit gutem Grund.
Der US-Wirtschaft wuchs im vergangenen Jahr um 5,7 Prozent und damit so stark wie seit 1984 nicht mehr, teilte das Handelsministerium in Washington am Donnerstag auf Basis einer ersten Schätzung mit.
Börse: Dax rutschte zum Wochenstart kurz unter 15.000-Punkte-Marke
Für Anlegerinnen und Anleger sind es allerdings ungemütliche Nachrichten, die Powell überbrachte. Denn steigen die Zinsen, steigt die Gefahr, dass Investoren ihr Geld aus dem Aktienmarkt abziehen. Schon zum Wochenstart war die Angst vor der Zinswende groß – der Dax hatte zwischenzeitlich die 15.000-Punkte-Marke gerissen.
Am Donnerstag startete der deutsche Leitindex ebenfalls deutlich im Minus, setzte aber im Tagesverlauf zu einer Erholung an, getrieben unter anderem von der Deutschen Bank, die den höchsten Gewinn seit 2011 vermeldete: 2,5 Milliarden Euro betrug der Überschuss nach Steuern im vergangenen Jahr.
Aktien: Commerzbank-Chefanlagestratege erwartet schwankungsintensives Jahr
Trotzdem machten die Kurskapriolen der vergangenen Tage deutlich: Es wird ungemütlicher am Aktienmarkt. „2022 wird es keinen durchgängigen Trend geben. Es wird ein Jahr der Minizyklen und deutlich schwankungsintensiver als noch das Jahr 2021“, sagte Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank, im Gespräch mit unserer Redaktion.
Profitieren könnten von steigenden Zinsen Substanzwerte mit vergleichsweise günstigen Bewertungen. Viele Technologie-Werte wurden zuletzt dagegen abgestraft. Die Nasdaq ist seit Jahresbeginn um fast 13 Prozent eingebrochen, der TecDax sogar um mehr als 13 Prozent.
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Finanzexperten sehen Kaufchancen
Insbesondere junge Unternehmen arbeiten oft nicht profitabel, sie sind auf günstige Kredite angewiesen, um schnell wachsen zu können – entsprechend sind sie von der Zinswende am härtesten getroffen. „Aber auch bei Wachstumswerten wird es nach der heftigen Korrektur der vergangenen Wochen einige positive Überraschungen geben“, ist Schickentanz überzeugt.
Das sieht auch Christian Kahler, Chefanlagestratege der DZ-Bank, dem Zentralinstitut der deutschen Kreditgenossenschaften und Zentralbank der Volksbanken und Raiffeisenbanken, so: „Viele Aktien sind meiner Meinung nach zu Unrecht stark gefallen“, sagte Kahler im Gespräch mit unserer Redaktion.
Er hat auch konkrete Beispiele parat: „Biotechnologie-Unternehmen wie Biontech oder Moderna wurden abgestraft, obwohl sie gut positioniert sind, genug Geld für die Forschung zur Verfügung und positive Geschäftsaussichten haben.“ Mutige Anleger könnten von einer Erholung gefallener Tech-Titel mit stabilen Umsätzen und Gewinnen profitieren.
Aktien: Nicht jeder Rücksetzer eignet sich zum Kauf
Wer in den vergangenen eineinhalb Jahren diese Taktik verfolgte und in der Schwächephase einkaufte, konnte sich meist kurze Zeit später über steigende Kurse freuen. Commerzbank-Chefanlagestratege Schickentanz dämpft nun aber die Euphorie: „Nicht mehr jeder Rückschlag ist eine Kaufchance – erst recht nicht in allen Bereichen.“ Trotzdem geht er von steigenden Kursen, spätestens ab dem Frühjahr aus.
Auch DZ-Bank-Chefanlagestratege Kahler mahnt zur Weitsicht: „Anleger sollten nicht auf die nächste Stromschnelle schauen, sondern den gesamten Fluss im Auge behalten.“ Man befinde sich in einer frühen konjunkturellen Aufschwungphase. Langfristig solle der Aufwärtstrend anhalten.
Schnelle Zinsanhebung der EZB bleibt unwahrscheinlich
Dass nach der Fed-Entscheidung nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) zeitnah an der Zinsschraube drehen wird, glauben allerdings beide Finanzexperten nicht. Frühestens im Herbst werde die EZB die Bereitschaft signalisieren, über eine Zinsanhebung nachzudenken, schätzt Schickentanz.
In einem ersten Schritt könnte dann der Einlagezins im nächsten Jahr erhöht werden, der Leitzins werde frühestens zum Jahreswechsel 2023/24 angefasst – und dann aus einem negativen Bereich kommend. „Entsprechend sollte man die Zinswende nicht überdramatisieren“, sagt Schickentanz.
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Finanz-Experten: Bauzinsen könnten steigen
Auch Kahler ist überzeugt: „In Europa sind wir noch meilenweit von einer Anhebung des Leitzinses entfernt.“ Auswirkungen allerdings könnte die Fed-Politik dennoch auch für deutsche Sparer haben. Weil Investoren aus Sorge vor Zinserhöhungen jüngst Staatsanleihen aus ihren Depots warfen, stieg jüngst die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe erstmals wieder in den positiven Bereich.
„Ein Anstieg der Rendite der Bundesanleihen wirkt sich beispielsweise auf die Bauzinsen aus – das wäre angesichts der derzeitigen Mondpreise, die in den Metropolen für Wohnimmobilien gezahlt werden, Gift für den Immobilienmarkt“, warnt Kahler.