Hamburg. Ein Jahr nach dem Brexit zeigen sich wirtschaftliche Auswirkungen. Probleme haben vor allem kleine und mittelgroße Firmen.

Die ersten Arbeitstage im neuen Jahr sind für einige Mitarbeiter der Spedition Sterac wieder besonders arbeitsreich. Für das Braaker Unternehmen ist Großbritannien ein wichtiger Markt. Vor einem Jahr vollzog der Inselstaat den wirtschaftlichen Brexit dank eines Handelsabkommens mit der Europäischen Union. Auf die neuen Zollbestimmungen und die Formalitäten musste sich das Team damals kurzfristig einstellen. „Das hatte sich alles eingespielt“, sagt Philipp Sanftleben über den weiteren Verlauf des ersten Brexit-Jahres. „Jetzt starten wir aber wieder bei null“, so der Sterac-Bereichsleiter für Großbritannien und Irland.

Seit dem 1. Januar dieses Jahres müssen Importeure ihre Lieferungen aus der EU vollständig beim britischen Zoll anmelden. Wegen Handelsschwierigkeiten hatte die Londoner Regierung diese Regelung zunächst ausgesetzt. Als Übergangsregelung gab es die Möglichkeit, ein vereinfachtes Verfahren zu nutzen und die Einfuhranmeldung bis zu 175 Tage nach dem Import zu vervollständigen.

Brexit: Hamburgs Export mit Großbritannien bricht ein

Bestimmte Lebensmittel wie Erzeugnisse tierischen Ursprungs und gewisse tierische Nebenprodukte sowie Pflanzen müssen vorab angemeldet werden. Die Handelskammer Hamburg rechnet daher nach eher ruhigen Monaten wieder mit vermehrten Anfragen zum Thema Brexit, weil Unternehmen Probleme bekommen werden. „Alles muss an der Grenze verzollt werden“, sagt Sanft­leben. Oder man müsse es vorher aufwendig verzollen. Auf diese neuen Spielregeln versucht sich die Braaker Spedition derzeit einzustellen.

Es ist ein weiterer Schlag, der die Handelsbeziehungen zusätzlich schwächen könnte, obwohl die Folgen des Brexits sich in den Außenhandelsdaten des Statistischen Landesamtes für Hamburg und Schleswig-Holstein bereits niederschlagen. In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 steigerte die Hansestadt ihre Ausfuhren insgesamt um 6,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum auf 29,3 Milliarden Euro.

Im Handel mit dem Vereinigten Königreich gab es aber einen deutlichen Rückgang. Statt für 2,234 Milliarden Euro gingen nur noch Waren im Wert von 1,154 Milliarden Euro auf die Insel – ein Einbruch von 48,3 Prozent. Von Rang zwei der wichtigsten Handelspartner rutschte das Königreich auf Rang sieben. Die Einfuhren aus Großbritannien schwächten sich um 3,5 Prozent auf 1,59 Milliarden Euro ab.

Aufwendige Zollkontrollen für deutsche Außenhändler

„Zu schaffen machen den deutschen Außenhändlern die aufwendigen Zollkontrollen, der hohe bürokratische Mehraufwand und stark gestiegene Transportkosten“, sagt Hans Fabian Kruse dem Abendblatt, der Präsident des AGA Unternehmensverbands, der mehr als 3500 Groß- und Außenhändler sowie Dienstleister in den fünf norddeutschen Bundesländern vertritt.

Etwa 1000 Hamburger Unternehmen unterhielten Geschäftsbeziehungen zu Großbritannien, davon rund 200 vor Ort. Sie betreiben dort also entweder eine Niederlassung, eine Produktionsstätte, eine Vertretung oder ein Joint Venture. Das wahre Ausmaß des Brexits sei aufgrund der alles überlagernden Corona-Pandemie schwer zu bestimmen, sagt Kruse. Aber fest steht für ihn: „Vor allem kleine und mittlere Firmen scheuen den Papierkrieg und die damit verbundenen Kosten – vereinzelt verlassen sie den britischen Markt.“

AGA-Präsident Hans Fabian Kruse steht an den Landungsbrücken.
AGA-Präsident Hans Fabian Kruse steht an den Landungsbrücken. © Roland Magunia / Funke Foto Services

Konkrete Beispiele nennt der AGA nicht. Generell seien alle Branchen betroffen, die speziellen Zertifizierungen unterliegen wie zum Beispiel die Fischwirtschaft, Autobranche, Maschinenbau und Ernährungsindustrie sowie die Logistikbranche. Die Probleme der Hamburger Unternehmen im Geschäft mit dem Vereinigten Königreich dürften ähnlich wie im Bund sein, heißt es.

Probleme für deutsche Betriebe wegen des Brexits

In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) monierten Ende Dezember 55 Prozent der Betriebe, dass sie es schwer haben, vor Ort Fachkräfte zu finden. Weltweit waren es nur 37 Prozent. 43 Prozent kritisierten die Handelsbarrieren und die Bevorzugung einheimischer Unternehmen (weltweit: 22 Prozent). Drei von zehn Unternehmen klagten über das Risiko der Rechtssicherheit (global: 18 Prozent). Fehlende Waren und Dienstleistungen befürchtet mehr als jede dritte Firma. Zum großen Knackpunkt dürfte aber die Logistik werden. 85 Prozent erwarten Probleme in der Lieferkette – und damit rechnen auch Hamburger Unternehmen, wie eine Umfrage bei großen Firmen ergab.

„Zu den größten Herausforderungen zählen die anhaltenden Engpässe in den Lieferketten, überlastete Häfen und der Mangel an verfügbaren Fahrerinnen und Fahrern“, sagt ein Hapag-Lloyd-Sprecher. Im gesamten Sektor würden rund 100.000 Lastwagenlenker fehlen, es komme zu Verzögerungen bei Lieferungen. Dennoch sei das Geschäft mit Großbritannien im vergangenen Jahr „solide“ verlaufen. Allerdings spiele es für die global agierende Containerreederei auch keine übermäßig starke Rolle.

Beiersdorf habe rechtzeitig vor dem Brexit vorübergehende zusätzliche Lagerbestände vor Ort aufgebaut, sagt eine Sprecherin des Nivea-Herstellers. Auch durch Anpassungen in Prozessen, Ressourcen und der Informationstechnologie seien Auswirkungen auf die Warenverfügbarkeit und Logistikflüsse „nahezu“ vermieden worden. Die größten Hemmnisse im Geschäft mit Großbritannien seien derzeit „vor allem der Mangel an logistischen Fachkräften und Transportkapazitäten sowie generell gestiegene Preise“, so die Sprecherin. Diverse Formalitäten wie die notwendige Zollabfertigung führten zwar zu längeren Vorlaufzeiten, liefen aber gut.

England-Geschäft läuft für Otto Group in etwa stabil

Auch bei der Otto Group nennt man dies als größte Schwierigkeit des Brexits. Allerdings seien „Prozesse und Schnittstellen, etwa in der EDV, die im Zuge des Brexits für den Datentransfer zwischen Deutschland und Großbritannien nötig waren, bereits überwiegend optimiert“, so ein Sprecher. Das Geschäft auf der Insel habe sich 2021 „weitestgehend stabil“ entwickelt. Derzeit gebe es allenfalls marginale Lieferverzögerungen.

Bei Airbus stellt man kaum Auswirkungen des Brexits fest. „Unsere umfangreichen Vorbereitungen wie die Bevorratung von Teilen und weitreichende Vorbereitung unserer Zoll- und Regulierungssysteme haben maßgeblich dazu beigetragen“, so ein Sprecher. Der Flugzeugbauer bezieht beispielsweise seine Flügel aus britischen Werken, die in Hamburg zu Fliegern der A320-Reihe endmontiert werden. Man gehe davon aus, dass die vereinbarten gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich die wesentlichsten nachteiligen Auswirkungen begrenzen werden, heißt es.

Großbritannien bleibe trotz Brexit "bedeutender Handelspartner"

Beim AGA ist man für die Zukunft positiv gestimmt. „Trotz aller Probleme und Differenzen bleibt das Vereinigte Königreich langfristig ein bedeutender Handelspartner für Deutschland und Hamburg. Auch geopolitisch brauchen wir die Briten“, sagt Präsident Kruse.

Bei der Spedition Sterac hofft man, schnell die verschärften Zollregeln in die Abläufe integriert zu haben. Während vor einem Jahr einige Fuhrbetriebe aus dem England-Verkehr ausstiegen, stand das für das Braaker Unternehmen nicht zur Diskussion. Seine Fahrer bringen die Anhänger mit Gütern wie Schrauben, Stoffen, Lebensmittelzusatzstoffen und Maschinenersatzteilen in die Häfen von Cuxhaven oder Rotterdam. Dort werden sie auf Schiffe verladen und auf der anderen Seite der Nordsee von einem Partnerunternehmen weitertransportiert. Vor einem Jahr wurden rund 600 Lkw-Ladungen pro Monat mit dem Inselreich ausgetauscht. Nun seien es in der Spitze bis an die 700, so Sanftleben.