Hamburg. Der Markt für die japanischen Comics wächst bundesweit um 70 Prozent. Verlage wie Tokyopop und Carlsen profitieren davon.
„STOPP!“ — in Großbuchstaben und in fetter Schrift. Das ist das erste Wort, wenn man einen Comic des Hamburger Verlags Tokyopop aufschlägt. Zumindest wenn man der in Deutschland üblichen Leserichtung von links nach rechts folgt. Der Warnhinweis hat seinen Grund. Was normalerweise die erste Seite eines Buchs ist, ist bei Mangas die letzte. Also, wenn man sich den Spaß nicht verderben will: Buch einmal drehen und die Bildergeschichten andersherum lesen.
Es ist nicht das Einzige, was für Neulinge beim Lesen der Comics aus Japan zunächst fremd ist – und sie vor allem bei Jugendlichen immer beliebter werden lässt. „Die Vielfältigkeit der Themen macht die Faszination aus und die schnelle, dynamische Art, wie die Geschichten erzählt werden“, sagt Susanne Hellweg. Und dann sind da natürlich die Helden und Heldinnen, die mit großen Augen die Importartikel aus dem Land der aufgehenden Sonne bevölkern.
Manga-Mania: Carlsen-Verlag hat das größte Angebot
Susanne Hellweg ist Chefin bei Tokyopop, einem der wichtigsten deutschen Manga-Verlage. Nun ist es nicht so, dass es in Deutschland und den westlichen Ländern nicht eine große Vielfalt an Comics gäbe, von Mickymaus über Snoopy, Superman, Asterix bis zu aktuellen Charakteren von neuen Graphic Novels. Aber seit einigen Jahren wächst die Manga-Mania hierzulande rasant – mit Hamburg als Zentrum. Der Carlsen Verlag aus Ottensen hat aktuell mit der Sparte Carlsen Manga! das größte Angebot.
Auch der Manga-Verlag Altraverse, hinter dem mit Joachim Kaps einer der deutschen Branchen-Pioniere steht, sitzt in Hamburg. „In der Corona-Zeit hat sich das Wachstum noch mal deutlich beschleunigt“, so Tokyopop-Leiterin Hellweg. Nach aktuellen Zahlen von Media Control sind die Umsätze im deutschsprachigen Markt im ersten Halbjahr 2021 um etwa 70 Prozent gestiegen.
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Zuwächse auch in älteren Lesergruppen
Das hat damit zu tun, dass der Manga-Kosmos mit seinen magischen Welten nicht nur aus den Comic-Reihen mit Dutzenden Bänden besteht, sondern die jungen Leser die Protagonisten auch in Animationsfilmen, sogenannten Animes, auf Streamingdiensten wie Netflix und Amazon und in Computerspielen wiederfinden. Das Angebot aus Japan ist riesig und dort lange Teil der Alltagskultur. „Auch bei uns leben immer mehr Fans damit und warten jeden Monat auf Lesenachschub“, sagt Susanne Hellweg.
Spezielle Sammelkarten, die meist der Erstauflage beiliegen, sind heiß begehrte Sammelobjekte. Es gibt Aufstellbilder und Autogrammkarten von Zeichnern und Autoren. Gerade während des Corona-Lockdowns sei der Austausch mit anderen Manga-Fans in den sozialen Medien extrem wichtig gewesen. Künftig will Tokyopop das Angebot deshalb über die Comics hinaus ausbauen. „Das ist wie eine Welle“, sagt die Verlagsleiterin und registriert Zuwächse auch in älteren Lesergruppen.
Corona hat zum Manga-Boom beigetragen
Auch wirtschaftlich profitiert Tokyopop von dem Trend. So haben sich die Verkaufszahlen von „Death Note“, der beliebtesten Manga-Reihe bei Tokyopop, im Vergleich zum Vorjahr vervierfacht. Der erste Band liegt inzwischen bei knapp 200.000 verkauften Exemplaren à 7,50 Euro. Die Geschichte handelt vom Schüler Light Yagami, der mit einem gefundenen Heft – dem Death Note – andere Menschen töten kann. Diese Fähigkeit setzt er ein, um sein Gerechtigkeitsideal umzusetzen. Insgesamt kann der Verlag von Januar bis Juni auf ein Plus von 40 Prozent verweisen.
Carlsen Manga! verzeichnet für den Zeitraum sogar Zuwächse von 65 Prozent. Der Kinder- und Jugendbuch-Verlag, in dem mit „Akira“ die erste deutschsprachige Manga-Serie in Deutschland erschienen ist, hat in den vergangenen drei Jahrzehnten geschätzt 60 Millionen Manga gedruckt. 1997 veröffentlichte der Verlag die Kult-Reihe „Dragon Ball“ in Deutschland – und damit erstmals einen Manga in japanischer Leserichtung. Aktuell hat Carlsen Manga! 1400 lieferbare Bände im Sortiment. Auch aus Sicht von Kai-Steffen Schwarz, Programmleitung der Sparte Carlsen Manga!, hat Corona und der damit einhergehende Ausfall von Angeboten und Veranstaltungen zum Manga-Boom beigetragen. Schon in der ersten Welle 2020 waren die Verkaufszahlen gestiegen. Offenbar bleiben viele Leser dem Genre treu, zeigen die Umsätze seit Juli. Ein weiterer Grund: „95 Prozent der Manga sind Fortsetzungsserien“, sagt Schwarz. Da will man natürlich wissen, wie es weitergeht.
Angebot von Liebesgeschichten bis zu Actionstorys
Magisch, romantisch, lüstern und manchmal auch brutal – Manga hat viele Spielarten. In den Verlagsräumen von Tokyopop in einem Kontorhaus am Zippelhaus direkt gegenüber der Speicherstadt entstehen mehr als 250 neue Titel im Jahr. „In der Regel kaufen wir Lizenzausgaben von japanischen Originalen“, sagt Verlagsleiterin Hellweg. Das Angebot reicht von Liebesgeschichten (sogenannten Shojo) eher für Mädchen bis zu Actionstorys (Shonen) für Jungen jeweils bis zu einem Alter bis 16 Jahren. Es gibt auch Stoffe für ältere Zielgruppen, durchaus Gewalt und Sex, die entsprechend mit Altersempfehlungen gekennzeichnet und eingeschweißt verkauft werden.
„Wir versuchen, alle Facetten abzubilden“, sagt Susanne Hellweg. Die 48-Jährige ist gelernte Verlagsbuchhändlerin und hat sich nach Stationen unter anderem bei „Geo“ mit einer Agentur für Kinderbuch- und Comic-Illustratoren selbstständig gemacht. 2018 kam sie zu Tokyopop, seit zwei Jahren leitet sie mit einem Team von 20 Mitarbeitern die Deutschland-Geschäfte des 1997 von Stu Levy in den Los Angeles gegründeten Verlags. Dazu kommt ein großes Netzwerk an freien Übersetzern, Illustratoren, Redakteuren und Herstellern.
Auch Bibi Blocksberg gibt es schon als Manga-Version
Denn das Geschäft ist rasant. Allein Tokyopop veröffentlicht jeden Monat zwischen 20 und 23 Bände in Auflagen zwischen 5000 und 10.000. Zu den wichtigsten Reihen im Verlagsprogramm gehört „The Legends of Zelda“ mit insgesamt mehr als 800.000 verkauften Exemplaren, die auf einem der absoluten Top-Hits aus dem Computerspiele-Bereich basiert und die Abenteuer des Helden Link erzählt. Auch die Geschichten von Prinzessin Yona verkaufen sich gut. Dass Mangas inzwischen in den deutschen Kinderzimmern angekommen sind, zeigt ein weiterer Umsatzbringer des Verlags.
Die bekannte Kinderbuch-Figur Bibi Blocksberg gibt es inzwischen in einer Manga-Adaption von Tokyopop. Statt mit ihrer Freundin Tina durch die Geschichten zu reiten, taucht die Junghexe darin mit der Geisterjägerin Miyu in die japanische Kultur ein. Zwei Bände, angesichts des jungen Zielpublikums von links nach rechts zu lesen, sind erschienen, der dritte folgt im Frühjahr. „Die Bände sind sehr beliebt“, sagt Verlagsleiterin Susanne Hellweg. Nicht nur beim jungen Zielpublikum, sondern auch bei deren Müttern. „Die sind oft auch schon mit Bibi Blocksberg aufgewachsen.“
Manga-Mania: Kostüme wichtiger Bestandteil der Fantasiewelt
Tokyopop will den aktuellen Schub nutzen und setzt weiter auf Expansion. Als neue Gattung gibt es im Verlagsprogramm sogenannte Light Novels, leicht lesbare Jugendromane mit ihren Manga-Helden. Zudem setzt Verlagsleiterin Hellweg in Zukunft auf neue digitale Formate wie E- und Audio-Books. Geplant ist zudem, einzelne Bände von laufenden Reihen für Sammler nachdrucken zu lassen (Print-on-Demand). „Wir wollen die Fans mit allem versorgen, was es zu ihrer Lieblingsserie gibt“, sagt sie. Auch Kostüme, in den Fantasiewelten der Manga-Fans ein wichtiger Bestandteil, könnte es bald bei Tokyopop geben.