Berlin. Ob Pflege, Handwerk oder Industrie. Unternehmen finden kaum mehr Fachkräfte. Der Mittelstand schlägt Alarm.
Die Auftragsbücher sind gut gefüllt. Alle Maschinen des Kunststoffspezialisten PTFE Competence Center in Sachsen sind ausgelastet. Im Gegensatz zu vielen Unternehmen fehlt es in dem Betrieb auch nicht an Rohstoffen. „Doch unser Geschäft könnte noch deutlich schneller wachsen, wenn wir mehr Fachkräfte einstellen könnten“, sagt der Geschäftsführer Andreas Madaus. Diese sind aktuell aber nicht nur Mangelware, sondern schlichtweg nicht zu finden.
„Der Arbeitsmarkt für CNC-Einrichter von Drehmaschinen sind in einem Umkreis von rund 150 Kilometern um unseren Standort in Großenhain im Landkreis Meißen geradezu leer gefegt“, berichtet der Firmenchef. In dem Betrieb stellen 35 Mitarbeiter und drei Auszubildende Kunststoffteile nach Maß für die Industrie her. „Ungelernte Kräfte oder Quereinsteiger kann ich für unsere Aufgaben als Zerspanungsmechaniker nicht einsetzen.“ Lesen Sie auch: Personalmangel: Woran es im öffentlichen Dienst mangelt
Mittelstand warnt: Unternehmen finden kaum mehr Fachkräfte und Azubis
Madaus steht in Deutschland mit dieser Erfahrung nicht allein. „Immer mehr Unternehmen aller Branchen finden derzeit weder Fachkräfte noch Azubis“, berichtet der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), Markus Jerger, unserer Redaktion. Besonders betroffen sind die MINT-Branchen, die Bereiche Gesundheit, Pflege und das Handwerk. „Der Fachkräftemangel ist die Achillesferse des Mittelstands. Das gefährdet elementar die Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands und damit des Standorts Deutschland insgesamt.“ Auch interessant: Rente: Deutschland rutscht im internationalen Vergleich ab
Vor allem kleinere Unternehmen haben größere Probleme, Beschäftigte zu finden, als große Firmen. In Westdeutschland sind sogar vier Mal mehr Stellen unbesetzt als im Osten. Insbesondere Unternehmen abseits der Metropolregionen haben es schwer, vakante Stellen zu besetzen, berichtet Jerger. Der Mittelstand sei doppelt betroffen. „Viele Mittelständler, sogar Weltmarktführer, sind in ländlichen Gebieten angesiedelt, dazu kommt die anhaltende Landflucht.“ Dies trifft auch auf den PTFE-Chef zu.
Kofa-Studie: Nur ein Drittel betreibt strategiesche Personalarbeit
Umso wichtiger ist es, die Personalrekrutierung zu stärken. Doch hier hapert es noch. „Nur 32,4 Prozent aller Unternehmen betreiben eine ausgeprägt strategische Personalarbeit“, wie eine Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) unter 1433 Unternehmen ergeben hat. Fast 60 Prozent der Firmen fehle dafür das Personal.
Wichtig wäre es, gezielte Analysen der eigenen Stärken und Schwächen sowie neue Wege zur Rekrutierung und Qualifizierung von Mitarbeitern zu entwickeln. Doch nur 40 Prozent der kleineren Betriebe (bis 50 Mitarbeiter) analysieren regelmäßig die Altersstruktur ihrer Mitarbeiter. Bei mittleren (bis 250 Mitarbeitern) sind es 50 Prozent, während 70 Prozent der größeren Unternehmen dies regelmäßig machen. Die Gründe für unzureichende Personalarbeit, so die Untersuchung: Es fehlt an Know-how und finanziellen Mitteln.
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In kleinen Firmen gibt es oft keine eigene Personalabteilung
Die Brisanz der Lage unterscheidet sich nach Betriebsgröße: Je größer die Unternehmen, desto stärker kümmern sie sich um Nachwuchs. So übernimmt bei 91 Prozent der kleinen Unternehmen die Geschäftsführung zusätzlich zu anderen Aufgaben die Personalarbeit, bei mittleren sind es 61,9 Prozent. In größeren Unternehmen sind dafür eigene Abteilungen zuständig. Lesen Sie auch: Wie der extreme Handwerkermangel die Klimaziele gefährdet
„Vor allem kleine Unternehmen verpassen die Chance, sich über Stellenausschreibungen als attraktive Arbeitgeber zu positionieren“, analysiert die Kofa-Studienleiterin Sibylle Stippler. So informierten nur knapp 15 Prozent der befragten kleinen Unternehmen auf einer eigenen Webseite über sich als Arbeitgeber. Dabei könnten Betriebe von einer starken Arbeitgebermarke im Rekrutierungsprozess sehr profitieren.
Mittelstand fordert gezielte Einwanderung von Fachkräften
Der Mittelstandsverband sieht auch die neue Regierung in der Pflicht. „Das beginnt mit der Einführung eines Schulfachs Wirtschaft und der Stärkung der mittleren Bildungsabschlüsse“, fordert BVMW-Chef Jerger. Gebraucht werde zudem „die gezielte Einwanderung von Fachkräften, wobei die Betonung auf Fachkräfte liegt.“ Denn den Unternehmern fehlten ohne Fachkräfte auch potenzielle Nachfolger. „Damit droht dem Unternehmen im schlechtesten Fall die Schließung, dies betrifft besonders Familienunternehmen.“
Der PTFE-Firmenchef Madaus betreibt bereits eine eigene Homepage, wirbt auf Online-Portalen, in den sozialen Netzwerken und über die Arbeitsagentur um neue Auszubildende. Allerdings war die Ausbeute in diesem Jahr enttäuschend: „Wir haben für unsere Azubi-Plätze noch nicht mal eine Bewerbung erhalten.“ Es fehle schlicht an Nachwuchs, so Madaus. „Viele junge Menschen ziehen nach der Schule aus unserer ländlichen Region weg in die Städte – das können wir nur schwer ändern.“ Auch interessant: Urteil: Warum Minijobber im Corona-Lockdown leer ausgehen