Hamburg. Was die finnische Firma anders macht als die Konkurrenz, was der Bringdienst kostet und wo man wohnen muss, um bestellen zu können.
Wer Lust auf Sushi auf dem Sofa hat oder noch ein paar Karotten zum Kochen braucht, hat in Hamburg in Sachen Lieferservices schon jetzt die Qual der Wahl: Lieferando, und neuerdings Gorillas oder Flink heißen die Anbieter, die hier um Kunden kämpfen. Jetzt kommt auch Wolt in die Hansestadt, ein Anbieter mit Sitz in Finnland. Wie Mitgründer Miki Kuusi kürzlich sagte, seien „Monopole nie gut für die Menschen“, und spielte damit auf die Konzentration im Markt an. Denn Lieferando, eine Tochter des niederländischen Branchenriesen Just Eat Takeaway, dominiert die Branche deutlich.
„Hamburg als große, wohlhabende Stadt, als Anziehungspunkt für Studenten, dazu mit großer Dynamik bei den Restaurants ist für uns praktisch unvermeidbar“, sagt Ferdinand Tile von Kalm, Geschäftsführer von Wolt in Deutschland. Der Manager sitzt in Berlin, hat selber aber einen Bezug zur Hansestadt, denn nach einer frühen Kindheit in Brasilien wurde er hier eingeschult.
Lieferservice: Wolt liefert ab jetzt in Hamburg "alles, was ihr wollt"
Nach Städten wie München und Düsseldorf stellt der Lieferservice nun ab dem heutigen Donnerstag in der Hansestadt seine Dienste zur Verfügung. Bei Wolt gilt in etwa das Motto „Alles was Ihr wollt“, denn die Idee hinter der 2015 gegründeten Firma lautet, eine digitale Version einer Einkaufsmeile zu erschaffen – eine App für alles. Also nicht nur Essbares, sondern auch Blumen oder Hundeleinen auszuliefern, indem alle möglichen Fachhändler an die Wolt-Welt angeschlossen werden.
Auf der Seite Wolt.com können Kunden zunächst ihre Adresse eingeben und schauen, ob sie im Lieferradius wohnen. Anfangs sind das Sortiment und das Gebiet bei Wolt an der Elbe stark eingeschränkt. Der Bringdienst startet in den Bezirken Neustadt, Karolinenviertel, St. Pauli, Sternschanze, Rotherbaum, Eimsbüttel, Hoheluft-West und Hoheluft-Ost.
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Eine Ausweitung in weitere Gebiete ist geplant und soll zeitnah erfolgen. Bei den Restaurants arbeitet Wolt mit einem Radius von maximal drei Kilometern. „Nur auf diese Weise können wir sicherstellen, dass das Essen auch innerhalb von 35 Minuten bei unseren Kundinnen und Kunden ankommt“, sagt von Kalm. Die Zielgruppe ist zwischen 25 und 40 Jahre alt und wohnt in der Regel allein.
Wolt nimmt eine Kommission von 30 Prozent von Restaurants und Co.
Zum Start in Hamburg sind Restaurants wie die Taverna Samos oder Diggi Smalls dabei, dazu kommen Ketten wie Nordsee und Dean & David. Wolt nimmt eine Kommission von 30 Prozent vom Warenwert. Heißt: Bei einer Pizza für 10 Euro behält Wolt 3 Euro ein und zahlt 7 Euro an den Partner aus. „Dafür lasten die Restaurants aber ihre Küche auch besser aus und können neue Kunden gewinnen“, sagt von Kalm. Er ist selbst auch Gastronom und gründete in Berlin eine Kette mexikanischer Bistros, hat aber als Ex-Spitzenmanager beim Start-up-Beteiligungsunternehmen Rocket Internet auch Erfahrungen in der digitalen Welt gesammelt.
Neben fertigen Gerichten können die Hamburger bei Wolt Brötchen von der Schanzenbäckerei, Biere von Brewdog oder Süßkram von Royal Donuts bestellen. Zu den angeschlossenen Supermärkten gehört bisher La Torre, der auf spanische und portugiesische Spezialitäten setzt, „bald aber auch weitere bekannte Händler“, verspricht von Kalm.
Wolt: Lieferdienst-Fahrer "fest angestellt und krankenversichert"
Die Kosten für die Kunden setzen sich aus zwei Teilen zusammen: Die bestellten Gerichte haben die gleichen Preise wie in den Restaurants, dazu kommt eine Liefergebühr von 1,90 Euro bei Entfernungen bis zu einem Kilometer und 2,90 Euro in einem Radius von bis zu drei Kilometern. Der geringe Radius, argumentiert von Kalm, sichere den Kurieren eine auskömmliche Bezahlung: „Denn so können wir eine bessere Auslastung der Flotte sicherstellen“, sagt der Manager auch mit Blick auf die zuletzt in der Branche angeprangerten Arbeitsbedingungen.
Bei Wolt seien die Fahrer „alle fest angestellt, krankenversichert und werden pro Stunde erkennbar über Mindestlohn bezahlt“, so der studierte Wirtschaftswissenschaftler. Der Grundlohn betrage 10,50 Euro in der Stunde, dazu kämen pro Bestellung zwischen 3,60 und 4 Euro. „Der Grundlohn kommt immer dann zum Tragen, wenn die Kolleginnen und Kollegen nicht über den Wert von 10,50 Euro in der Stunde kommen, beispielsweise, weil gerade wenig los ist oder man krank ist“, ergänzt der Chef. In Hamburg hat Wolt rund 50 Kuriere angeworben, die ihr eigenes Fahrrad und Smartphone mitbringen müssen. Dazu kommen zehn Beschäftigte am Verwaltungssitz in der Hamburger Altstadt.
"In Deutschland verdient niemand Geld mit Online-Lebensmittelhandel"
Neben den Aktivitäten in Hamburg wächst die finnische Firma, die gerade gut 700 Millionen Euro von Investoren einsammelte, in rasantem Tempo: So steht Wolt in Deutschland weiter unter Strom und visiert den Ausbau der Dienste an. „Wir wollen in 20 bis 30 großen Städten vertreten sein“, sagt von Kalm. Weltweit sei die Firma mittlerweile in 23 Ländern am Start. Und sie arbeite in einigen Märkten, wie Israel, Kasachstan oder Georgien, bereits profitabel.
Dabei scheinen schwarze Zahlen in der Branche selten zu sein, zumindest im Markt der Bringdienste für Butter, Brot oder Brokkoli: „In Deutschland verdient niemand Geld mit dem Online-Lebensmittelhandel“, weiß Michael Gerling, Geschäftsführer des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI. Der Online-Lebensmittelhandel verlange sehr große Investitionen, um das Geschäft zum Laufen zu bringen, und erfordert gigantische Ausgaben, um nur in die Nähe der Profitabilität zu kommen. Auch andere Experten glauben, dass bislang allenfalls in Nischen wie dem Weinhandel lukrative Geschäfte zu machen sind. Denn die letzte Meile zum Kunden sei teuer. Erst bei Einkäufen von 80 Euro oder mehr rechne sich die aufwendige Zustellung wirklich, heißt es in der Branche.
Der Online-Lebensmittelhandel ist ein Corona-Gewinner
Dennoch drängen immer mehr Anbieter auf den Markt. Denn der Online-Lebensmittelhandel gehört zu den größten Gewinnern der Corona-Krise: Ende vergangenen Jahres kauften die Bundesbürger nach den Zahlen des E-Commerce-Bundesverbandes bevh fast doppelt so viel an Nudeln, Fleisch, Obst und Gemüse im Internet wie ein Jahr zuvor. Ein Milliardenmarkt entsteht – und viele wollen ein Stück davon abhaben.
Neben Lieferando, die bisher vornehmlich im Restaurantbereich liefern, gehören in Hamburg immer mehr Lebensmittel-Lieferservices wie Gorillas, Flink und Bringoo zu den Konkurrenten von Wolt. Der derzeit stark auf Citylightpostern werbende Anbieter Gorillas verspricht, bestellte Ware innerhalb von zehn Minuten an die Haustür zu liefern und unterhält eigene Lager in der Stadt. Ebenfalls seit einigen Monaten in Hamburg vertreten ist Flink, die wie Gorillas eine Liefergebühr von 1,80 Euro berechnen. Bringoo wiederum kooperiert unter anderem mit der Metro und liefert deren breites Sortiment nach Hause.
Wolt-Chef: Partner, Kuriere und Kunden müssen zufrieden sein
Supermarktketten wie Rewe oder der Onlineanbieter Amazon Fresh haben ein deutlich weiter ausgebautes Logistiknetz. Wer herausfinden will, ob Rewe oder Amazon Fresh an die eigene Haustür liefert, muss im entsprechenden Onlineshop seine Postleitzahl angeben. Markenhersteller Oetker übernahm den schnell wachsenden Getränke-Lieferdienst Flaschenpost, um direkt an den Kunden zu kommen.
In dem wachsenden Markt steht für Wolt-Chef von Kalm fest, dass seine Firma nur erfolgreich sein kann, wenn alle drei Gruppen zufrieden sind: die Partner aus Handel und Gastronomie, die Kuriere und die Kunden. Um zu erleben, wie sich die Mitarbeiter fühlen, schwingt sich der 41 Jahre alte Familienvater auch selber oft aufs Fahrrad: „Ich übernehme regelmäßig Schichten.“