Hamburg. Gigantische Rohrpost, selbstfahrende Schiffe und Drohnen zur Containerüberwachung: So könnte die Zukunft der Häfen weltweit aussehen.

Alltag im Hamburger Hafen in 30 Jahren: Ein länglicher Stahlzylinder rauscht wie auf unsichtbaren Schienen heran und klappt die Luken seines Dachs auf. Ein automatisch arbeitender Kran surrt heran und setzt einen Container in die Ladebucht des Fahrzeugs. Die Klappen schließen sich wieder, und der Zylinder fährt in eine Röhre.

Dort beschleunigt er auf Tempo 600 und wird wie eine Rohrpost in Minutenschnelle an sein Ziel, ein großes Lager oder ein Umschlagplatz weit außerhalb der Stadt, gebracht. Dort wird der Container wieder entladen und dann weitertransportiert. Lkw, die ihre Ladung im Hafen abholen, sind nur noch selten zu Gast. Endlose Staus auf der Hafenhauptroute oder vor dem Elbtunnel sind dann passé.

Hamburger Hafen: Container verladen in Hyperloop-Geschwindigkeit

Es gibt viele Visionen, wie der Hafen in Zukunft aussehen wird, aber diese ist greifbar. An einem solchen Röhrentransportsystem für Seegüter wird nämlich konkret geforscht. 2018 hatte Hamburgs größter Hafenkonzern, die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA), bekannt gegeben, dass sie in die vom SpaceX-Gründer Elon Musk erfundene Hyperloop-Technologie einsteigen will.

Dabei schnellen Magnetschwebebahnen in einer engen Röhre ans Ziel. In der Röhre herrscht annähernd ein Vakuum, sodass sich die Züge ohne Luftwiderstand und Reibung vorwärts bewegen. Das Unternehmen Hyperloop Transportation Technologies (HTT) entwickelt die Kapseln. Die HHLA will eine Containerver­ladestation dazu entwickeln. Ob das System gleich am Anfang im Hamburger Hafen ausprobiert wird oder in anderen Häfen, steht noch in den Sternen.

Die HHLA sucht weltweit nach Zielmärkten für das neue System, teilte das Unternehmen kürzlich mit. Dennoch wird es in Hamburg beim am nächsten Montag beginnenden ITS Weltkongress der Weltöffentlichkeit vorgestellt: Es gibt ein Demonstrationsmodell und eine virtuelle Reise mit einer Datenbrille durch den Containertransport der Zukunft.

Terminal Altenwerder: klimaneutral zertifiziert

Wer nicht 30 Jahre in die Zukunft blicken mag, der wird schon heute in Hamburg fündig: nämlich am Containerterminal Altenwerder der HHLA (CTA). Dieses gehört bereits zu den modernsten auf der Welt. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist dieses Terminal sogar Primus inter Pares. Das CTA ist nämlich die weltweit erste als klimaneutral zertifizierte Umschlagsanlage für Container.

Obwohl hier riesige Ladegeräte, wie zum Beispiel die weithin sichtbaren Con­tainerbrücken, im Einsatz sind, erfolgt der Betrieb überwiegend elektrifiziert. Die gesamte Anlage wird mit Ökostrom betrieben. Die wenigen Terminalprozesse, die heute noch CO₂-Emissionen verursachen, werden sukzessive auf elektrifizierten Betrieb umgestellt. Solange noch CO₂-Emissionen entstehen, werden diese kompensiert. Die HHLA unterstützt dazu zertifizierte klima­freundliche Projekte wie Aufforstungen.

Computergesteuerte Kräne und fahrerlose Flitzer

Auf dem CTA sind sehr viele Prozesse automatisiert, zum Beispiel die komplette Lagerung und Auslieferung der Container. In den Lagerblöcken, die von zwei computergesteuerten Portalkränen bedient werden, muss deshalb nachts kein Licht mehr eingeschaltet werden. Weil Computerprogramme immer den kürzesten Weg berechnen, wird ebenfalls viel Energie eingespart. Das gilt auch für die Automated Guided Vehicles (AGV) genannten fahrerlosen Containertransporter, die zwischen Schiffen und Lagerblöcken hin und her flitzen. Auch diese bilden ein eigenes Projekt, das die HHLA beim ITS Weltkongress vorstellen wird.

Der Hamburger Terminalbetreiber HHLA arbeitet an einer Verladestation für Container, die im Hyperloop transportiert werden.
Der Hamburger Terminalbetreiber HHLA arbeitet an einer Verladestation für Container, die im Hyperloop transportiert werden. © HHLA Press | mormedi

Diese AGV wurden in den letzten Jahren vom Diesel­antrieb auf schnellladefähige Lithium-Ionen-Batterien umgestellt. Das macht sie wiederum interessant für ein Forschungsprojekt der Energiewende. Ihre Batteriekapazitäten sollen zur Netzstabilität bei der Stromversorgung beitragen. Die HHLA ermittelt gemeinsam mit einem virtuellen Kraftwerksbetreiber, inwieweit solche indus­triell genutzten, mobilen Batteriekapazitäten an das deutsche Stromnetz angeschlossen werden können.

Mit Hyperloop und Smartbridge zum Hafen der Zukunft

Ganz praktisch werden die nicht benötigten AGV dem virtuellen Kraftwerk mit Voranmeldung zur Verfügung gestellt. Sie schließen sich dann zum vereinbarten Zeitpunkt an der Ladestation an, wo sie Strom entweder abgeben oder aufnehmen können. Solche Puffer helfen, die Frequenz des Stromnetzes stabil zu halten. Das Verfahren könnte weltweit in Häfen zum Einsatz kommen.

Doch nicht nur die HHLA arbeitet am Hafen der Zukunft. Ein maßgeblicher Motor der Innovation ist die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) selbst. Sie hat die „Smartbridge“ erfunden, die „kluge Brücke“. Da Hamburg bekanntlich mehr Brücken hat als Venedig, trifft man hier allerorten auf Brücken, besonders im Hafen. Nur eine Brücke ist derzeit smart – wenn auch eine ganz besondere. Gemeint ist die 1974 fertiggestellte Köhlbrandbrücke.

Mit 40.000 Fahrzeugen am Tag ist die Hafenhauptroute stark belastet. Der ständige Schwerlastverkehr hat ihr in den vergangenen 74 Jahren erheblich zugesetzt, das Bauwerk ist massiv beschädigt. Bis ein Ersatzbauwerk fertig ist, dauert es noch mindestens neun Jahre. Bis dahin müssen Belastung und Schäden der alten Brücke ständig überwacht werden. So hat die HPA aus der Not eine Tugend gemacht: Mit der Smartbridge wurde ein digitaler Zwilling der Köhlbrandbrücke hergestellt.

Drohnen: Brückeninspektion zu Wasser

Daten aus der klassischen Bauwerksprüfung werden in einem Computerprogramm mit den Ergebnissen von 520 an der Brücke angebrachten Sensoren kombiniert. Der Rechner erstellt ein virtuelles Modell der Brücke, das Rückschlüsse auf deren ­Zustand in Echtzeit zulässt, und nicht erst, wenn sich Risse im Beton bilden. Sanierungsmanagement, Leistungsfähigkeit der Brücke und ihre Lebensdauer lassen sich so optimieren. Das Verfahren könnte Schule machen. Wir haben in Deutschland etliche Straßenbrücken, die schwere Schäden aufweisen.

Zur Inspektion von Bauwerken wie Brücken sollen künftig auch mit Kameras ausgestattete fliegende Drohnen eingesetzt werden. Doch wie bekommt man Drohnen zu den entlegenen Winkeln der Stadt? Deren Batterien sind doch meist leer, bevor sie ankommen. Die Antwort für dieses Problem ist „Robovaas“, ein Projekt, an dem HPA und das Hamburger Fraunhofer Centrum für maritime Logistik (Fraunhofer CML) gemeinsam arbeiten.

Technischer Inspekteur macht Taucher überflüssig

Bereits 2021 hatte die HPA eine schwimmende Drohne vorgestellt, die selbstständig durch Hamburgs Hafenbecken fährt und kleine Tauchroboter abwirft, um den Zustand der Kaikanten unter der Wasseroberfläche zu überprüfen. Aufwendige Tauchaktionen von Menschen werden nicht mehr benötigt.

Derzeit arbeiten die Experten an einer größeren und verlängerten Version dieser Drohne, die beim ITS Welt­kongress vorgestellt werden soll und Inspektionen aus der Luft und unter Wasser miteinander verbindet. „Sie wird eine Nutzlast von 100 Kilogramm haben und eine fliegende Drohne auf dem Rücken mitnehmen“, sagt Carlos Jahn, Leiter des Fraunhofer CML und des Instituts für Maritime Logistik der Technischen Universität Hamburg.

Automatisierte Manöver: Mehr als 100 Drohnen fliegen gleichzeitig

Die Schwimmdrohne wird im Hafen zur fraglichen Brücke fahren, dort löst sich ihre fliegende Tochter vom Schwimmkörper und inspiziert die Brücke. Ist ihre Flug­energie verbraucht, kehrt sie selbstständig zur Schwimmdrohne zurück, wo ein automatischer Batteriewechsel stattfindet.

„Die Möglichkeiten, die sich mit einem solchen System eröffnen, sind groß“, sagt Schiffbauprofessor Jahn. Doch wenn der Drohnenverkehr zunimmt, wie will man ihn steuern? Wie will man sicherstellen, dass sie nicht in der Luft kollidieren? Die Antwort darauf liefert wiederum die Hamburg Hafen und Logistik AG mit dem Projekt „HHLA Sky“.

Das Tochter­unternehmen des Hafenbetriebes hat ein weltweit skalierbares Drohnen­managementsystem entwickelt, das alle Flugmanöver voll automatisiert abbildet und Drohnenoperationen auf Knopfdruck ausführt. Über einen zentralen Leitstand können mehr als 100 Drohnen gleichzeitig an unterschiedlichen Einsatzorten auf der Welt gesteuert werden.

„Der Hafen wird sehr viel umweltfreundlicher werden“

Die Software-Plattform hilft, Datenanalysen mithilfe von Drohnen zu verbessern, Entscheidungen zum Flugbetrieb in Echtzeit zu treffen, betrieb­liche Prozesse zu optimieren und Risiken durch kontinuierliche Überwachung zu minimieren. Der Leitstand ist als Komplettsystem ‚ready to fly‘ konzipiert. Er funktioniert auf Basis von Mobilfunkstandards überall auf der Welt, wo eine LTE-Anbindung verfügbar ist. Das ist bisher einzigartig und erhöht die Effizienz von Drohneneinsätzen signifikant.

Die HHLA will das System an möglichst viele Kunden verkaufen und präsentiert es deshalb beim ITS Weltkongress. „Der Umschlag von Seegütern und deren Weitertransport wird in Zukunft durch die Digitalisierung weitgehend automatisiert erfolgen“, sagt Fraunhofer-Forscher Jahn, der früher selbst zur See fuhr. „Der Hafen wird sehr viel umweltfreundlicher werden, weil die Maschinen elektrisch betrieben werden. Und alle Prozesse wie Beladen, Abladen, Weitertransport und so fort werden künftig mehr miteinander synchronisiert verlaufen.“

So profitiert der „normale Hamburger“

Lange Standzeiten von Containern, Liegezeiten von Schiffen oder Wartezeiten für Lkw werde es dann nicht mehr geben, weil alle Teilnehmer der Logistikkette miteinander vernetzt seien. „Internet der Dinge“ nennt man das. Durch die Ausstattung mit Sende- und Empfangsgeräten könnten Maschinen miteinander kommunizieren und aufeinander reagieren.

Was hat der normale Hamburger von all dem? „Eine Menge“, meint Carlos Jahn. Ganz plastisch werde dieses an einem weiteren Projekt, das das Fraun­hofer CML zusammen mit der Hamburger Fährreederei Hadag auf dem ITS Weltkongress vorstellen will: Es geht darum, dass Hafenfähren ihren Fahrplan nach dem aktuellen Fahrgastaufkommen ausrichten. „Manchmal bevölkern ganze Touristenströme eine Haltestelle“, so Jahn.

Bisher entscheide der Kapitän nach Gefühl, ob eine Verstärkerfähre auf einer besonders frequentierten Linie eingesetzt werden muss. Ziel ist es, dass die Fähren genau zählen können, wie viele Fahrgäste sie an Bord haben und wie viele noch einsteigen wollen. „Die Fähren können künftig also nicht nur den Wartenden ihre genaue Ankunftszeit mitteilen, sondern selbst regeln, ob sie schneller oder langsamer fahren müssen, ob sie Verstärkung benötigen oder ob sie auch eine Haltestelle auslassen können, weil kein Fahrgast wartet.“ Die Wartezeit für die Passagiere würde sich verkürzen.

Arbeitsplatz für Mensch und Maschine

Alles praktische Beispiele, die verdeutlichen, dass im Hafen schon jetzt an morgen gearbeitet wird. Auf den ersten Blick werde „der Hafen der Zukunft der Gegenwart erstaunlich ähnlich sein“, sagt Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos).

„Er wird nach wie vor ein erfolgreicher Universalhafen sein. Er wird noch immer ein Ort guter und qualifizierter Jobs für viele Menschen sein, der Wertschöpfung weit über die Grenzen Hamburgs hinaus generiert. Und er wird noch immer geprägt sein von einer Vielzahl dynamischer und erfolgreicher Unternehmen, nicht nur in der Logistik, sondern auch in der Industrie und den maritimen Dienstleistungen.“

Bis 2040 wird der Hamburger Hafen ein anderer sein

Dieses vermeintlich vertraute Bild dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich der Hafen bis zum Jahr 2040 in fundamentaler Art gewandelt haben werde, so der Senator. „Dieser Wandel, dessen Anfänge schon heute klar erkennbar sind, betrifft fast alle Dimensionen der Umschlags- und Produktionstätigkeiten im Hafen.“ Erstens spiele der Hafen eine entscheidende Rolle bei der Erreichung der Klimaziele Hamburgs und Deutschlands.

„In den nächsten zwei Jahrzehnten muss der Hafen dafür bilanziell CO2-neutral werden.“ Zweitens werde der Hafen der Zukunft noch deutlich stärker ein Ort von Innovation und qualitativer Wertschöpfung sein. „Wir rechnen auch für die Zukunft mit steigenden Umschlagszahlen bei den Containern. Deren Wachstum kann jedoch nicht mehr der primäre Maßstab sein, an dem sich der Erfolg des Hafens bemisst.“

Gibt es bald auch fahrerlose Schiffe?

Es bedürfe drittens großer Anstrengungen bei den Themen Digitalisierung und Infrastruktur. Der Hafen der Zukunft wird daher einen noch deutlich höheren Automatisierungsgrad aufweisen als heute. „Dass die Köhlbrandbrücke im Jahr 2040 kein Teil der Hafensilhouette mehr ist, ist emotional schmerzlich“, so Westhagemann.

„Mit dem neuen Köhl­brandtunnel wird sie jedoch durch ein hochanspruchsvolles Bauwerk ersetzt, das in der Lage ist, den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden.“ Viertens werde der Hafen auch in Zukunft ein Garant für gute Arbeitsplätze sein, in Hamburg und darüber hinaus. Denn mit der beschriebenen Transformation werde auch der Bedarf nach entsprechend ausgebildeten Fachkräften zunehmen, glaubt der Senator.

Und wann kommt das erste selbstfahrende Schiff? „Sehr bald“, sagt Jahn. In Norwegen sei bereits eines in Betrieb, das alleine fahren könnte, aber noch eine Besatzung auf der Brücke habe. In ein, zwei Jahren solle es alleine verkehren. Aber das ist ein anderes Kapitel, das beim ITS Weltkongress noch nicht aufgeschlagen wird.