Hamburg. Engagierte Hamburger bewahren ein historisches Festmacherboot vor der Verschrottung. Es ist rostiges Denkmal einer boomenden Ära.

Für Ahnungslose ist es eine zerknautschte Rostbeule mit mäßigem Schrottwert, für Kenner ein ehrwürdiges Denkmal Hamburger Schifffahrtsgeschichte. In jedem Fall gibt das Wrack der „Hiev In“ Rätsel auf. Nach zwei Jahren Schonfrist auf einem Tonnenhof bei Wedel ist das historische Festmacherboot aktuell vor Schuppen 50 A im Hansahafen zwischengelagert. Das sieben Tonnen schwere und reichlich demolierte Erinnerungsstück ruht auf öffentlichem Grund an der Australiastraße. Wer ins Hafenmuseum möchte oder die „Peking“ ansteuert, wird sich wundern.

„Es ist eine Geschichte mit vielen Fragezeichen“, weiß Museumsleiter Carsten Jordan. Bekannt sind lediglich Eckdaten: Gebaut wurde das 7,80 Meter lange und 2,50 Meter breite Boot 1958 auf der Bonné-Werft im Stadtteil Wilhelmsburg. Irgendwann zwischen der Indienststellung und 1964 ist die „Hiev In“ von der Bildfläche verschwunden. Mehr als ein halbes Jahrhundert schlummerte das Arbeitsschiff auf dem Grund der Unterelbe in Höhe des Wedeler Hochufers. Immer weiter versank es im Sand. Bei Baggereinsätzen im Rahmen der Fahrrinnenanpassung wurde das Wrack entdeckt – und an Land gehievt. „Hiev In“ ist Plattdeutsch und heißt „Hol rein“.

Wem gehörte das historische Festmacherboot in Hamburg?

Zwei Jahre ist das her. Seitdem ist guter Rat teuer. Im wahrsten Sinn des Wortes. Da die Eigentümerfrage nach fünf bis sechs Jahrzehnten schwer zu klären ist, fühlte sich das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt für das skurrile Fundstück verantwortlich. Heutzutage wäre es undenkbar, dass ein Stahlboot sinkt und liegen gelassen wird, als sei nichts geschehen. Auf dem Tonnenhof lag das Wrack hinter Schloss und Riegel. Still rostete es weiter vor sich hin. Bis engagierte Bürger mit einem Herz für Hamburgs Hafenhistorie das Heft in Hand nahmen. Motto: Ein solches maritimes Kleinod darf keinesfalls verschrottet werden.

Mit vereinten Kräften will man dem „Festmokerboot“ nun einen ehrbaren „Heimathafen“ verschaffen – irgendwo an Land, als letzte Ruhestätte quasi. Da das demolierte Stahlwrack unmöglich zu restaurieren ist, soll es in seinem jetzigen Zustand bleiben: ein schöner Schrottberg mit morbidem Charme, ein rostiges Denkmal einer boomenden Ära. Ohne diese robusten, wendigen und flinken Arbeitsboote würde es im Hafen nicht rundlaufen. Damals wie heute. Festmacherboote helfen Seeschiffen beim Anlegen und Festmachen. An der Bordwand übernehmen sie armdicke Trossen, bringen sie zur Kante des Kais, befestigen sie an Pollern.

Kein Computerprogramm der Welt kann das Vertäuen dieser mobilen Malocher ersetzen. „Festmoker“ heißen diese Profis op Platt, international „Lines Men“. Die Arbeitsgemeinschaft Hamburger Schiffsbefestiger mit Quartier am Köhlbrand dirigiert 23 Winschenwagen an Land sowie zwölf Festmacherboote und zwei Speedboote. Die Crew ist an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr einsatzbereit.

Wie ist die „Hiev In“ bei Hamburg gesunken?

Dass Manöver zwischen schwimmenden Stahlkolossen, Wassersog in Nähe gewaltiger Schiffsschrauben, Kaimauern und Dalben bei starkem Seegang und Orkanböen nicht risikofrei sind, dokumentiert der Untergang der „Hiev In“. Details sind unbekannt. Erfahrene Seebären wissen, dass es bei „Wind gegen Strom“ zu kurzen, steilen Wellen kommen kann. Ein Boot mit Tiefgang und wenig Bordwand über Wasser könne rasch in Gefahr geraten. Es gehört zu den Rätseln dieses Falls, dass angeblich niemand Bescheid weiß. Offiziell. Da säuft ein fast acht Meter langes Schiff in der Elbe ab; die Besatzung rettet sich offensichtlich, seilt sich nach Hause ab – und das war’s dann?

„Vermutlich ist das Boot bei extremem Schlechtwetter vollgelaufen und aufgegeben worden“, mutmaßt der Hafenexperte Till Braun. Der 60 Jahre alte Schiffsingenieur fuhr früher zur See, wirkte lange für den Germanischen Lloyd und arbeitet nach wie vor in der Schifffahrt. Vor allem hat der Familienvater aus Groß Flottbek eine maritime Seele, die er ehrenamtlich auslebt. Seit 2008 organisiert er im Rahmen des Hafengeburtstags spektakuläre Rennen der Festmacherboote. Und im Museumshafen Oevelgönne zählt sein historisches Festmacherboot „Stek Ut“ zu den maritimen Kostbarkeiten.

Seine Leidenschaft für die traditionellen, nach oben offenen Arbeitsboote mit Pinnensteuerung teilt er mit seinem Vereinsfreund Hermann Zehbe. Die Zehbe-Werft am Vogelhüttendeich in Wilhelmsburg galt seit 1927 als Spezialist für Festmacherboote. Das ist Vergangenheit: Auf dem Firmengelände entsteht ein neues Wohngebiet. Es ist der Abschied von einem Kapitel hanseatischer Hafengeschichte.

Das 1958 gebaute Boot ist „wie eine Zeitkapsel“

„Umso wichtiger sind Erinnerungsstücke wie die ,Hiev In‘“, sagt Till Braun. Es handele sich um ein „unwiederbring­liches Denkmal“, das auf keinen Fall verschrottet werden dürfe. Der Erhalt des Bootes sei umso wichtiger, da es zwar verrostet, jedoch in ursprünglichem Zustand erhalten sei – mit Rumpf, Motor, Getriebe, Einspritzpumpe und Vorpick, der Miniaturkajüte. „Praktisch wie eine Zeitkapsel“, ergänzt Museumschef Carsten Jordan. Eben weil es Jahrzehnte auf Grund lag, mehrere Elbvertiefungen überlebte und Erinnerungsstück einer legendären Hafenepoche ist. Beide nahmen das Wrack am vergangenen Dienstag (28. September) an Schuppen 50 A in Empfang. Es passt zur aktuellen Ausstellung im Hafenmuseum: „Schlepper- und Wrackbergung auf der Elbe“.

Doch ist Eile geboten. Mit der Winterpause des Museums vom 1. November an könnte die Zeit der „Hiev In“ abgelaufen sein. Auch aus Sicherheitsgründen kann das historische Festmacherboot weder vor dem Hafenmuseum noch im Museumshafen dauerhaft ausgestellt werden. „Wir suchen dringend eine Firma, Institution oder Privatperson, die diesem Denkmal einen würdigen Platz verschafft“, bittet Braun. Möglichkeiten wäre eine Position auf dem Neubau­gelände am Vogelhüttendeich, auf dem Gelände einer Reederei, als Denkmal in passender Umgebung. „Vielleicht findet sich ein Künstler oder ein Mäzen mit Geistesblitz“, hofft Till Braun. Das Wrack sieht aus wie eine Skulptur. Und es birgt ein Geheimnis, das wahrscheinlich niemals restlos gelüftet wird.