Hamburg. Luftfahrtexperte sieht ein sich verschärfendes Wettbewerbsverhältnis. Flugzeugbauer greift Geschäftszweig der Airline-Tochter an.
Traditionell waren die Rollen zwischen den beiden großen Luftfahrtunternehmen in Hamburg klar verteilt. Airbus baut in seinem Werk auf Finkenwerder Flugzeuge. Lufthansa Technik kümmert sich derweil um die Wartung, Reparatur und Überholung von Triebwerken und Jets – natürlich auch von Konkurrenten wie Boeing. Doch Airbus drängt immer stärker in das Wartungsgeschäft.
„In den vergangenen sechs Monaten haben wir elf Wartungsverträge unterschrieben“, sagte Bart Reijnen dem Abendblatt. Der studierte Luft- und Raumfahrttechniker leitet seit Mai bei dem paneuropäischen Konzern den Materialservice und ist damit auch zuständig für den Bereich Flight Hour Services (FHS). Mitte August verkündete der Konzern, dass man den saudi-arabischen Billigflieger Flyadeal als Kunden gewonnen habe.
Lufthansa Technik: Konkurrent Airbus wächst im Wartungsgeschäft
Die Zahl der im Wartungsgeschäft betreuten Flugzeuge stieg mit dem Auftrag über die Schwelle von 1000 Stück – im Juni 2017 waren es erst 372 Maschinen. „Wir haben uns bei Airbus das Ziel gesetzt, im Servicebereich stark zu wachsen“, sagt Reijnen, dessen Aufgabe im Segment Airbus Customer Services mit mehr als 6500 Beschäftigten verortet ist. Dazu gehören auch die Ausbildung und Schulung von Piloten sowie die Erneuerung der Flugzeugkabine. Reijnen: „FHS ist einer der Wachstumsbereiche.“
Ein sich verschärfendes Wettbewerbsverhältnis der beiden Unternehmen sieht Heinrich Großbongardt. „Airbus folgt dem Weg von Boeing und geht in den Servicebereich hinein. Damit ist Airbus ein Konkurrent von Lufthansa Technik“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte dem Abendblatt. Es gebe von Flugzeugbauern und Triebwerksherstellern den klaren Trend, stärker in solchen Dienstleistungen aktiv zu werden. Schließlich werde in dem Bereich ganz gut Geld verdient.
Versprochen wird Verfügbarkeit von Flugzeugteilen
FHS wird dem Namen entsprechend nach Flugstunden abgerechnet. Angeboten wird es für alle Airbus-Flugzeuge vom A220 bis zum A380, der Großteil der Verträge bezieht sich auf den Verkaufsschlager A320-Familie. Als Dienstleistung wird der Airline eine garantierte Verfügbarkeit von Flugzeugteilen versprochen. Wie schnell dies geschieht, hängt von den Wünschen und der Zahlungsbereitschaft der Kunden ab.
Man sei sehr flexibel und biete das am besten passende Produkt an, sagt Reijnen: „Wenn der Kunde besondere Teile sehr schnell haben möchte, gewährleisten wir das, indem wir ein Lager mit Ersatzteilen bei ihm aufbauen. Das ist natürlich mit entsprechenden Kosten verbunden. Wenn ihm das zu teuer ist, dann kommen die Teile aus einem regionalen Pool“, sagt der 49-Jährige. Je mehr Kunden es in einer Region gebe, umso effizienter sei so ein Pool zu betreiben. Abhängig von der gewählten Leistung wird innerhalb von Stunden oder ein bis zwei Tagen Ersatz geliefert.
Auch Singapore Airlines gehört zu Airbus-Kunden
Dabei geht es um Komponenten wie Steuerungscomputer, Anzeigen im Cockpit und Fahrwerke, die bei der Wartung regelmäßig kontrolliert werden müssen. Um die Zeit am Boden des Flugzeuges kurz zu halten, werden sie ausgebaut und durch ein überholtes Teil ersetzt. Das ausgebaute Teil wird von einem Partnerunternehmen repariert und kommt im Anschluss wieder zurück in den Pool von FHS. Demontage und Montage erfolgen dabei nicht durch FHS-Mitarbeiter selbst, sondern von der Fluggesellschaft oder einer von ihr beauftragten Wartungsfirma.
Zu den 33 Kunden gehören große, etablierte Fluggesellschaften wie Singapore Airlines, die sich dann auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, sowie relativ junge Billigflieger wie Jetsmart aus Chile und Scoot aus Singapur. In allen Fällen sind FHS-Leute vor Ort beim Kunden, beraten, welche Wartungsarbeiten anstehen, und garantieren, dass die dafür benötigten Teile verfügbar sind.
FHS: Lager in Peking, Dubai und Hamburg
148 solcher Stationen gibt es. „Wir wollen nicht nur gute Flugzeuge bauen, sondern auch sicherstellen, dass sie fliegen und optimal eingesetzt werden. Das ist im Interesse von Airbus – und noch wichtiger: auch von unseren Kunden“, sagt Reijnen.
FHS greift dabei auf mehrere Ingenieurzentren – eins in der Hansestadt – sowie weltweit mehr als zehn Lager zurück, von Peking über Dubai bis nach Kopenhagen und Hamburg. In der Nähe des Helmut-Schmidt-Flughafens arbeiten mehrere Hundert Menschen in dem Lager, das Kunden auch ohne FHS-Vertrag mit Ersatzteilen versorgt. Es ist 24/7 offen, also jeden Tag rund um die Uhr, und liegt direkt gegenüber dem Haupteingang von Lufthansa Technik – dem Konkurrenten, wie auch Manager Reijnen klarstellt: „Bei Flight Hour Services ist Lufthansa Technik unser Wettbewerber – wie viele andere Unternehmen auch.“
Selbst Lufthansa Technik ist Kunde bei Airbus
Allerdings sei Lufthansa Technik auch Kunde. So würden beispielsweise Teile aus dem Lager in Fuhlsbüttel an Lufthansa geliefert. In anderen Segmenten wiederum gebe es Partnerschaften. So bieten Airbus und Lufthansa Technik seit dem Frühjahr Kunden eine gemeinsame Lösung an, um Passagierflugzeuge temporär für den Frachteinsatz zu nutzen, sagt Reijnen: „Customer Services ist ein sehr vielseitiges Geschäftsfeld.“
Auch wenn weltweit mehr als 12.000 Flieger von Airbus unterwegs sind, seien Aufträge über die Wartung von 1000 Maschinen schon eine ganze Menge, sagt Experte Großbongardt. Zudem Airbus als Hersteller eine besondere Rolle einnimmt. „Mit Airbus ist ein wichtiger Spieler mehr auf dem Markt, der ohnehin schon mit der Fluglinie eine Geschäftsbeziehung unterhält und dadurch einen Vorteil hat“, sagt Großbongardt: „Für Lufthansa Technik wird es schwieriger, solche Aufträge zu bekommen.“
Lufthansa Technik bleibt gelassen
Und der zunehmende Wettbewerb drücke auf die Margen. Für Wartungsbetriebe wie Lufthansa Technik ergebe sich noch ein weiteres Problem. Die Flugzeugbauer und Triebwerkshersteller als Originalteilefertiger würden seit Jahren immer weniger Informationen beispielsweise über neue Reparaturverfahren preisgeben – das erschwert die Arbeit.
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Bei Lufthansa Technik gibt man sich gelassen. „Wir nehmen Wettbewerber immer ernst, auch Hersteller wie Airbus, denn nur so konnten wir Weltmarktführer in unserer Branche werden“, sagte Sprecher Jens Krüger. Allerdings sei noch kein Flugzeug auf der Welt stehen geblieben, bloß weil die Flugzeughersteller da bisher kaum präsent gewesen seien.
Lufthansa Technik: „Wettbewerb macht uns besser"
Die Hamburger Tochter der Kranich-Linie hat rund 5000 Maschinen unter Vertrag. Entscheidend sei ja auch, was in den Verträgen drinsteht – und da dürfte Lufthansa Technik die deutlich umfangreicheren Aufgaben leisten. Man könne jeden verstehen, der in dem Geschäftsfeld mitmischen will, sagte der Sprecher. Denn man zeige – ungeachtet der derzeit schwierigen Branchensituation wegen der Corona-Krise – seit Jahren, dass man erfolgreich sein könne. Krüger: „Wettbewerb ist uns hochwillkommen – er macht uns alle besser.“