Hamburg. Hamburgs bekannteste Einkaufsmeile steht vor großen Umbrüchen. Sie muss sich verändern, um eine Zukunft zu haben – aber wie?
Wenn Hamburger „in die Stadt zum Einkaufen fahren“, sind in der Regel Mönckebergstraße und Spitalerstraße gemeint. Neue Hosen für die Kinder, festliches Abendkleid, Töpfe, Bettdecken oder die neue Waschmaschine – in den bekannten Einkaufsmeilen zwischen Hauptbahnhof und Rathausmarkt wird man meistens fündig. Vor allem die großen Kaufhäuser wie Karstadt, Kaufhof, Saturn, Peek & Cloppenburg oder C&A haben lange glänzende Geschäfte gemacht.
Mit Europa Passage, Levantehaus und Perle konnten gar nicht genug neue Ladenflächen entstehen, auch bei stetig steigenden Mieten. Dazu die Flagshipstores der großen Modemarken wie Zara, H&M, Görtz, Sportscheck oder Nike. Das Quartier um die Mö kommt zwar nicht elegant daher wie der Jungfernstieg oder exklusiv wie das Passagenviertel, aber hier schlägt seit Jahrzehnten das kommerzielle Herz des Handels.
Mönckebergstraße vor tiefgreifendem Wandel
Spätestens seit der Warenhauskonzern Galeria Karstadt Kaufhof im vergangenen Jahr die Schließung des Kaufhofs und von Karstadt Sport am Anfang der Mönckebergstraße angekündigt und im Oktober auch wahr gemacht hat, ist nicht mehr zu übersehen, dass der östliche Teil der City vor einem tief greifenden Wandel steht. Nachmieter für beide Top-Immobilien sind nicht in Sicht.
Statt im Kaufhaus wird immer mehr im Internet geshoppt. In den Stadtteilen entwickeln sich Zentren mit einem attraktiven Einkaufs- und Freizeitmix. Die langen Corona-Lockdowns haben auch den großen Handelsketten zusätzlich massiv zugesetzt und vorsichtiger bei der Anmietung neuer Räume gemacht.
Auch nach dem Lockdown viel weniger Kunden
Auch mehr als drei Monate nach der Wiedereröffnung der Geschäfte sind immer noch deutlich weniger Kunden vor allem im oberen Teil der Mönckebergstraße unterwegs. Kein Wunder: Zusätzlich zu Leerständen und Problem-Kaufhäusern macht die Großbaustelle der Hochbahn den Einkaufsbummel noch bis April 2022 zum Hindernislauf. So richtig Spaß macht das nicht. Die Experten, darunter City-Managerin Brigitte Engler und Einzelhandelsgeschäftsführerin Brigitte Nolte, sind sich einig, dass sich die Nutzungsmischung ändern muss – mehr Gastronomie, Hotels, Kultur, Erlebnisangebote und Wohnungen. „Die Mö braucht im Ganzen einen großen Wurf. Wir haben jetzt die Chance, sie zu dem Boulevard Deutschlands zu machen, vielleicht sogar Europas“, sagt Dietmar Hamm, Geschäftsführer der Kontorhausverwaltung Bach mit großem Immobilienportfolio in dem Quartier. Der 57-Jährige, der auch für das Levantehaus zuständig ist, sagt das nicht zum ersten Mal. Er glaubt fest an das Potenzial der traditionsreichen Einkaufsstraßen.
Schon jetzt ist nach dem Stillstand der Corona-Monate einiges in Bewegung gekommen in der Handelslandschaft. Einige bekannte Läden wie Esprit oder Runners Point sind verschwunden, neue haben eröffnet. „Die Dynamik in den beiden Einkaufsstraßen ist größer als in vielen anderen deutschen Metropolen“, stellt Philipp Hass fest, der beim weltweit größten Immobiliendienstleister CBRE für den Einzelhandel in Hamburg zuständig ist. Zahlreiche Gewerbemietverträge seien abgeschlossen worden, unter anderem hat die Trendschuhmarke Dr. Martens an der Mönckebergstraße den ersten Laden in Hamburg eröffnet. Wo früher die schwedische Kette Stadium Fitnessbekleidung und Sportgeräte verkauft hat, haben sich nach langem Leerstand unter anderem der Computer- und Multimedia-Händler Cyperport, die dänische Bäckereikette Copenhagen Coffee-Lab und das Hamburger Start-up Candy World eingemietet.
Verändertes Kräfteverhältnis zwischen Mietern und Vermietern
Es gibt auch einige Umzüge. Adidas geht vom bisherigen Standort einige Häuser weiter in eine doppelt so große Fläche wie bislang. Die Modekette New Yorker, derzeit in der Spitalerstraße, hat einen Mietvertrag für den ehemaligen Benetton-Laden zwischen Europa Passage und Karstadt abgeschlossen. Und noch eine Veränderung: Waren es bislang vor allem große Modeunternehmen, die sich im Wettbewerb um attraktive Verkaufsflächen bei den Mietpreisen überboten haben, verändert sich das Kräfteverhältnis zwischen Mietern und Vermietern mit sinkendem Flächenbedarf im Einzelhandel. Sichtbar wird das auch in der Europa Passage, wo der Outdoor-Ausrüster Globetrotter gerade einen Pop-up-Shop eröffnet hat, in dem Kunden eine virtuelle Bergtour erleben können.
Auch im Levantehaus gab es mehrere Auszüge und Einzüge. Zu den Neuen gehören die Modekette Scotch & Soda und das Bürstenhaus Carl Töddensen. Kurz vor der Eröffnung sind der Stifte-Hersteller Faber-Castell und ein Fan-Shop der HSV-Handballer mit der Sportmarke Puma. „Bis zum Weihnachtsgeschäft haben wir alle Läden wieder vermietet“, sagt Geschäftsführer Dietmar Hamm, der zwischenzeitlich fünf leere Geschäfte hatte. Im Juli hat Lilly Le die erste Hamburger Filiale ihres Unternehmens Lalovliy in der historischen Passage eröffnet. Die 28-jährige Start-up-Unternehmerin hatte sich erst kurz vorher mit ihren Trockenblumen-Arrangements in Berlin selbstständig gemacht. „Der Standort in der Hamburger Innenstadt ist für mich perfekt, um mein Konzept zu testen“, sagt sie. Der Laden läuft gut an. „Wir machen viel Onlinemarketing in den sozialen Medien. Die Kunden kommen gezielt, etwa wenn sie eine Hochzeitsdekoration suchen.“ Inzwischen beliefert die Geschäftsfrau auch erste Firmen in Hamburg, so das Park Hyatt und die H&M-Filiale an der Spitalerstraße.
C&A-Haus an der Mönckebergstraße wird abgerissen
Und es wird auch tief greifende bauliche Veränderungen geben. Fest terminiert sind Abriss und Neubau auf dem Areal des jetzigen C&A-Hauses ab dem nächsten Frühjahr. Das spektakuläre Projekt zeigt, wohin die Reise geht. Statt nur auf Einzelhandel und große Handelsketten zu setzen, plant die Immobiliengesellschaft Redevco Deutschland für das zehnstöckige Backsteingebäude im Kontorhaus-Stil einen Nutzungsmix mit Gastronomie, Büros und Hotel. Sicher ist zudem, dass die Signa-Gruppe des österreichischen Immobilienunternehmers René Benko bei der Umgestaltung des Quartiers eine entscheidende Rolle spielen wird.
So soll das in die Jahre gekommene Karstadt-Stammhaus an der Mönckebergstraße im Zuge der Umbaupläne des zum Unternehmen gehörenden Warenhauskonzerns Galeria zu einem sogenannten Weltstadthaus umgestaltet werden. Angedacht ist dabei, wie berichtet, eine Öffnung des Gebäudes zum Gerhart-Hauptmann-Platz und eine Umnutzung des Parkhauses, wie Torben Vogelgesang, Projektleiter von Signa Real Estate, exklusiv im Abendblatt erklärte. Auch das Einkaufszentrum Perle steht nach dem Verkauf an Signa vor einem Umbruch. Die Verträge der Mieter laufen nur noch bis 2026.
Die Geschäftsleute wünschen sich eine Straße ohne Verkehr
Der große Wurf, den der Mö-Insider Dietmar Hamm sich für die Zukunftsfähigkeit des Quartiers vorstellt, ist das noch nicht. „Der kann nur in einem Kraftakt mit Grundstückseignern, Stadtentwicklungsbehörde und dem Oberbaudirektor gelingen“, sagt er. In den vergangenen Jahren hätten vor allem die Eigentümer in die Straße investiert. Insgesamt zehn Millionen Euro sind fest geplant, unter anderem wurden eine neue Weihnachtsbeleuchtung und Sitzbänke angeschafft. Jetzt sieht Hamm die Stadt am Zug. Auch der rot-grüne Senat im Rathaus hat der Innenstadtentwicklung Priorität eingeräumt und mit dem Handlungskonzept Innenstadt ein Maßnahmenpaket geschnürt. Unter anderem gehört die Neugestaltung von innerstädtischen Plätzen dazu, um die Aufenthaltsqualität zu steigern. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Busverkehr in der Mönckebergstraße, der – auch wegen der Forderungen der Geschäftsleute – im Zuge der Arbeiten an der Hochbahnbaustelle seit vergangenem November über die Steinstraße umgeleitet wird.
Obwohl die Auswertung der Testphase frühestens im nächsten Sommer vorliegt, werden allerdings drei Buslinien sowie die Nachtbusse schon ab November wieder zurückverlegt. Das haben Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) und Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt (SPD) gerade angekündigt. „Wenn wir über eine verkehrsarme, attraktive Stadt sprechen, ist das eine falsche Entscheidung“, kritisiert Handelsexperte Hamm. „Wir sind auf dem Weg, der hat aber noch kein klares Ziel. Und das brauchen wir, um Charakteristika zu schaffen, die uns von anderen Metropolen unterscheiden.“ Er schlägt unter anderem vor, im Rahmen des Mobilitätskongresses ITS ein zukunftsorientiertes Fahrzeug zu entwickeln, das im Ringverkehr durch die Innenstadt fährt und zugleich ähnlich wie etwa die Straßenbahn in Lissabon oder die Doppeldecker-Busse in London identitätsstiftend sei.
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Auch einen städtebaulichen Wettbewerb kann er sich vorstellen. „Aber es muss klar sein, dass wir nicht ewig Zeit haben.“ In der Stadtentwicklungsbehörde heißt es auf Anfrage eher unbestimmt: „Im nächsten Schritt sollen stadt- und freiräumliche Szenarien und Handlungsoptionen für die Mönckebergstraße entwickelt und mit den Akteuren der Innenstadt diskutiert werden.“ Das könnten breite Bürgersteige sein oder zusätzliche Baumpflanzungen. Offen ist auch, was aus den beiden leer stehenden Kaufhäuser wird – immerhin sind sie das Entree in die Innenstadt. Es gebe Gespräche, heißt es. Immer wieder poppt die Option auf, im Kaufhof-Gebäude das in Planung befindliche Naturkundemuseum anzusiedeln. Wie realistisch das ist, ist allerdings unklar. Im Moment ist die Erdgeschossfläche an einen Schnäppchen-Markt vermietet. Der Vertrag läuft bis Ende 2022.