Berlin. Stefan Wolf führt als Gesamtmetall-Präsident einen der wichtigsten Arbeitgeberverbände. Mit Sorgen blickt er auf die Bundestagswahl.

Zwischen Corona-Frust und neuer Zuversicht durch die wirtschaftliche Erholung ist es für Stefan Wolf Zeit zum Durchschnaufen. Als Präsident des einflussreichen Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall vertritt Wolf die Interessen der Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie und ihrer 3,85 Millionen Beschäftigten.

Daneben kann Wolf aus eigener Erfahrung berichten, wie es den Unternehmen in der Krise geht. Der promovierte Jurist ist Chef des Automobilzulieferers ElringKlinger. Neben seiner Tätigkeit für Gesamtmetall ist der 59-Jährige unter anderem noch als Vizepräsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und als Vorstandsmitglied im Verband der Automobilindustrie (VDA) tätig.

Einen Tag vor seinem Sommerurlaub spricht er am Telefon über die Lage der Industrie, das Klima und die Bundestagswahl.

Herr Wolf, nach dem Corona-Schock erholt sich die Wirtschaft rasant. Die Autobauer fahren Milliardengewinne ein, jetzt zieht auch die Elektroindustrie nach und wächst kräftig. Ist die Krise abgehakt?

Stefan Wolf: Nein, die Metall- und Elektroindustrie hat sich schon vor der Corona-Pandemie in einem Abschwung befunden. Wenn wir von der Zeit vor der Krise sprechen, dann sprechen wir vom Jahr 2018. Und von dem Niveau sind wir noch weit entfernt, insbesondere mit Blick auf die vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen.

Hat die Corona-Krise für einen Arbeitsplatzabbau gesorgt?

Wolf: Ja, wir haben im vergangenen Jahr einen Beschäftigungsrückgang erlebt, der sich abgeschwächt in diesem Jahr bislang fortsetzt. Seit der Rezession 2019 sind mehr als 200.000 Arbeitsplätze in der Metall- und Elektroindustrie bereits verloren gegangen. Und wenn sich nach der Bundestagswahl die Rahmenbedingungen verschlechtern sollten, dann wird sich dieser Arbeitsplatzabbau wieder beschleunigen.

Die Metall- und Elektroindustrie befand sich vor der Krise bereits im Umbau hin zu klimaverträglichen Antrieben und Anwendungen. Wurde der Wandel beschleunigt?

Wolf: Unsere Unternehmen haben auf die Krise mit einem Innovationsschub reagiert. Und der Wandel wird auch durch die Fördermaßnahmen beschleunigt. Es ist auch dringend nötig, dass wir eine vernünftige Ladeinfrastruktur für die E-Mobilität und auch eine vernünftige Wasserstoff-Infrastruktur bekommen. Das ist aber nicht nur ein deutsches, sondern ein europäisches Problem. Elektromobilität wird nur funktionieren, wenn die Menschen auch ins europäische Ausland fahren können.

Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, der die Interessen der Metall- und Elektroindustrie vertritt.
Stefan Wolf ist Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, der die Interessen der Metall- und Elektroindustrie vertritt. © Amin Akhtar | Amin Akhtar

Liegt der Fokus zu stark auf der batteriebetriebenen Elektromobilität und zu wenig auf der Wasserstoffbrennzelle?

Wolf: Kleine und mittlere Fahrzeuge werden auf Dauer batterieelektrisch betrieben, da Brennstoffzellen zu teuer sind. Aber bei großen Fahrzeugen, also Nutzfahrzeugen, Lkws, Kehrmaschinen, Müllwagen, aber auch bei Schiffen und Flugzeugen werden wir Wasserstoffanwendungen sehen.

Die EU-Kommission will mit ihrem „Green Deal“ beim Klimaschutz die Zügel anziehen und strengere Grenzwerte vorgeben. Auch der Verbrennermotor würde damit zum Auslaufmodell werden. Wie geht die Metall- und Elektroindustrie damit um?

Wolf: Wir müssen beim Klimaschutz etwas tun, das ist klar. Wäre ich vor einem halben Jahr gefragt worden, ob es möglich ist, dass bei einer Flut in Deutschland mehr als 200 Menschen ums Leben kommen können, hätte ich geantwortet: „Niemals!“. Aber es ist passiert, in einem hochentwickelten Land. Zugleich erleben wir die enorme Hitze im Süden Europas mit verheerenden Waldbränden. Wer jetzt noch glaubt, dass es keinen Klimawandel gibt, der ist nicht von dieser Welt. Wir müssen Lösungen finden. Ein Verbrennerverbot ab 2030 wäre aber der völlig falsche Weg.

Warum?

Wolf: Verbrennermotoren haben nur einen kleinen Anteil am CO2-Ausstoß in Europa aus. Wir in Deutschland müssen umweltfreundliche Technologien entwickeln, die wir in Länder mit einem viel höheren CO2-Ausstoß exportieren können. Wenn wir noch 20 Jahre gutes Geld mit dem Verbrennungsmotor verdienen können und dieses Geld in die Forschung und Entwicklung in umweltfreundliche Technologien investieren, dann kommen wir weiter als mit Verboten. Deutschland muss nicht immer Musterschüler sein und die EU-Vorgaben überbieten. Ganz abgesehen davon, dass unsere modernen Verbrennermotoren sehr viel besser für die Umwelt sind als die Technik, die in den meisten Ländern verwendet wird.

Befürchten Sie einen Ansehensverlust der deutschen Automobilindustrie, wenn künftig anstatt des komplexen Dieselmotors nur noch die leichter zu bauende Batterie gefertigt wird?

Wolf: Nein, das glaube ich nicht. Aber wir werden Arbeitsplätze verlieren, weil die Fertigung für Verbrennungsmotoren aufwendiger und personalintensiver als hochautomatisierte Fertigungen für Batteriemodule ist.

Wann kann die Metall- und Elektroindustrie klimaneutral sein?

Wolf: Zwischen 2040 und 2050 können wir klimaneutral werden. Einen früheren Zeitpunkt halte ich nicht für realistisch.

Was braucht es für eine Klimaneutralität 2040?

Wolf: Vor allem brauchen wir grüne Energie. Solange wir Strom aus Kohlekraftwerken beziehen, ist nichts gewonnen. Dann haben wir nur Produkte und Arbeitsplätze kaputt gemacht, ohne etwas gekonnt zu haben. Also müssen wir beispielsweise massiv die Windkraft und die Stromtrassen ausbauen. Die Verfahren müssen beschleunigt werden.

Bis 2040 könnte die Metall- und Elektroindustrie nach Einschätzung von Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf klimaneutral sein.
Bis 2040 könnte die Metall- und Elektroindustrie nach Einschätzung von Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf klimaneutral sein. © picture alliance | Rupert Oberhäuser

Was muss beim Standort Deutschland besser laufen?

Wolf: Wir müssen die soziale Marktwirtschaft erhalten. Wir brauchen freie Wirtschaft, freie Unternehmen und freies Unternehmertum anstatt Vorschriften, Bürokratie und Dirigismus. Das ist eine entscheidende Frage bei der anstehenden Bundestagswahl. Und wir dürfen die Arbeit in unserem Land nicht noch teurer und unattraktiver machen. Dazu gehört unbedingt, die Sozialversicherungsbeiträge bei 40 Prozent einzufrieren. Denn: Ohne Industrie kein Wohlstand! Wenn ich mir das Wahlprogramm der Grünen angucke, dann sehe ich viele neue Regeln und Verbote. Das wird auf Kosten von Wohlstand und Arbeitsplätzen gehen.

Haben Sie Angst vor einer grünen Kanzlerin?

Wolf: Ganz offen gesagt: Ja, ich habe Angst vor einer Kanzlerin mit diesem Wahlprogramm. Ich schätze Frau Baerbock persönlich. Aber ich fürchte, dass sie mit diesem Job überfordert wäre. Auch in der Wirtschaft sehen wir öfters Menschen, die mit ihrem Job überfordert sind. Da muss man dann Konsequenzen ziehen. Wirtschaftlich gesprochen: Der Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin ist der Vorstandschef der Bundesrepublik Deutschland. Und wir brauchen auf diesem Posten jemanden, der ein absoluter Profi ist.

Warum sollte Annalena Baerbock das nicht sein?

Wolf: Ich traue es ihr schlicht nicht zu. Für jede Führungsposition braucht es ein gewisses Grundrüstzeug, viel Erfahrung und einen beruflichen Hintergrund. Mein Eindruck ist: Ihr fehlt - vielleicht: noch - dieses Rüstzeug für diesen Job.

Wäre Robert Habeck Ihrer Meinung nach der bessere Kandidat gewesen?

Wolf: Das kann ich nicht beurteilen, aber zumindest hätte er Regierungserfahrung mitgebracht. Persönlich hätte ich die Entscheidung bei den Grünen anders getroffen.

Wen wünschen Sie sich als Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler?

Wolf: Armin Laschet hat sich gut positioniert und führt das größte Bundesland Deutschlands. Das macht er mit der FDP auch gar nicht schlecht. Dieses Vorbild könnte man mit den gleichen Akteuren auf die Bundesrepublik übertragen.

Lesen Sie hier: Sinkende Umfragewerte: Wie die Union an Laschet verzweifelt

Auch Olaf Scholz bringt Regierungserfahrung mit.

Wolf: Ich halte die Inhalte der SPD für problematisch. Sowohl die SPD als auch die Grünen und die Linke erst recht wollen dieses Land verändern. Sie wollen aus meiner Sicht das Land deindustrialisieren. Sie wollen keine freie Industrie und Marktwirtschaft, die Innovationen hervorbringt. Sie wollen eine verwaltete und von Regeln überzogene Gesellschaft und Industrie.

Zu einer sozialen Marktwirtschaft gehört aber auch Lenkung – gerade beim Klima.

Wolf: Die Industrie hat verstanden, dass wir Klimaschutz brauchen. Wenn man uns Freiräume gibt, dann erreichen wir mehr als mit Fristen.

Die Pandemie hat gezeigt, dass Deutschland bei der Digitalisierung hinterherhinkt. Was muss passieren?

Wolf: In der Industrie hat die Corona-Pandemie die Digitalisierung massiv beschleunigt. Blamabel ist aber der Digitalisierungszustand unseres Staates. Der Staat hat in den vergangenen 15 Jahren die Infrastruktur sträflich vernachlässigt. Das fängt bei den Straßen und Brücken an und geht bei der digitalen Infrastruktur weiter. Und es hört bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung noch lange nicht auf. Die Politik spricht über automatisiertes Fahren. Aber wie soll das ohne ein Netz funktionieren? Die nächste Bundesregierung muss sofort handeln. Und kann sich nicht mehr mit jedem Einzelnen beschäftigten, der sich daran stört, dass hinter dem eigenen Gartenzaun ein Mobilfunkmast oder in etwas Entfernung ein Windrad steht.

Wie soll sie das verhindern können?

Wolf: Die Eingriffsmöglichkeiten der Bürger müssen konzentriert und die Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Wenn wir alle digital und klimaneutral sein wollen, dann müssen wir schneller bauen.

Der Ausbau in die Infrastruktur kostet Geld. Deutschland hat in der Corona-Krise aber einen Schuldenberg angehäuft. Wie soll das alles finanziert werden?

Wolf: Wir brauchen ein massives Effizienzsteigerungsprogramm allen Ebenen des Staates, des Föderalismus und auch in den Verwaltungsabläufen. . In jedem Ministerium muss man sich fragen, ob man etwas braucht oder einsparen kann. Damit werden wir viel Potenzial heben können, der Spielraum für Investitionen ermöglicht.

Kann eine Vermögensabgabe beim Schuldenabbau helfen?

Wolf: Ich halte gar nichts von einer Vermögensabgabe. Viele Behörden sind hoch ineffizient. Der Staat muss erstmal vor seiner eigenen Haustür kehren und sparen, bevor er über andere Maßnahmen nachdenken kann. Diejenigen, die von einer Vermögensabgabe betroffen wären, steuern jetzt schon den Hauptanteil der Einkommenssteuer bei.

Brauchen wir ein späteres Renteneintrittsalter?

Wolf: Wir müssen zu den Menschen ehrlich sein: Wir werden das Renteneintrittsalter nicht bei 67 Jahren halten können. Wenn die durchschnittliche Lebenserwartung steigt und die Spanne zwischen Renteneintrittsalter und Tod somit größer wird, dann haben wir das Finanzierungsproblem bei den Rentenkassen. Die Konsequenz ist, dass die Leute länger arbeiten werden. Wir werden in den nächsten Jahren über ein Renteneintrittsalter von 69 bis 70 Jahren reden müssen.

Noch ist die Pandemie nicht vorbei und eine gewisse Impfträgheit macht sich breit. Sind jetzt nicht besonders die Betriebe gefragt, Impfungen anzubieten?

Wolf: Absolut. Wir bieten das in unseren Betrieben auch an, ich rufe jedes Unternehmen auf, diese Angebote weiter voranzutreiben. Mir fehlt jegliches Verständnis, wenn sich Menschen nicht impfen lassen. Es ist eine schwere Krise und eine nicht zu unterschätzende Krankheit.

Sind Sie für eine Impfpflicht?

Wolf: Rechtlich werden wir das nicht durchsetzen können. Aber ich halte es für richtig, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, gesellschaftliche Einschränkungen hinnehmen müssen.

In Thüringen gab es Bratwürste zur Impfung. Einige Unternehmen bieten Sonderurlaub oder Fußballtickets an, wenn sich die Belegschaft impfen lässt. Was halten Sie von solchen Impfanreizen?

Wolf: Mir fehlt für Menschen, die sich nur wegen einer Bratwurst oder eines Fußballtickets impfen lassen, jegliches Verständnis. Der Umgang mit der Pandemie ist ein tiefgreifendes gesellschaftliches Thema. Wir wollen zu einem normalen Leben zurückkehren. Da kann eine Bratwurst doch nicht den Ausschlag für geben.

Müssen die Kurzarbeiterregelungen verlängert werden?

Wolf: Das Instrument der Kurzarbeit hat sich bewährt und viele Arbeitsplätze gerettet. Ich denke, es reicht, die Kurzarbeiterregelung bis Ende 2021 zu verlängern und dann die Situation zu beurteilen. Anschließend sollte der Bundesarbeitsminister ein Verordnungsrecht erhalten, sodass die Kurzarbeiterregelungen auch ohne ein komplettes Gesetzgebungsverfahren in Zukunft schnell wieder in Kraft treten kann.

Die Kurzarbeit geht gerade zurück, da stehen aufgrund des Mangels an Rohstoffen und Halbleitern schon wieder Bänder still. Wie hart trifft der Rohstoffmangel die Branchen?

Wolf: Die M+E-Industrie ist hart getroffen. Im Juli haben 75 Prozent der M+E-Unternehmen Produktionsbehinderungen wegen fehlenden Materials gemeldet. Die Rohstoffpreise gehen nach oben, Stahl ist knapp. Ich sehe nicht, dass die Menge, die wir brauchen, kurzfristig verfügbar gemacht werden kann. Das Problem wird uns bis ins erste Halbjahr 2022 begleiten. Danach könnte nach und nach eine Entlastung stattfinden.

Was ist die Lehre aus dem Mangel?

Wolf: Wir müssen Lieferketten und unsere Lieferantenstruktur überdenken und vielleicht auch anders gestalten. Ausländische Lieferanten sind meist günstiger. Wir brauchen mehr Lieferanten in Deutschland und Europa. Das gilt vor allem für Speicherchips, hier brauchen wir mehr europäische Fabriken. Auch deshalb müssen wir schauen, dass die europäischen Standorte wettbewerbsfähig sind.