Hamburg. Hafenverbands-Präsident über fehlende Baustellenkoordinierung, Güterknappheit und chinesische Terminalbeteiligung.

Gunther Bonz ist seit zehn Jahren Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg und seit elf Jahren Präsident der europäischen Vereinigung der Hafenbetriebe in Brüssel. Im Interview kritisiert er massiv die Verkehrspolitik des Senats, macht Vorschläge für eine bessere Baustellenkoordinierung und weist auf Wettbewerbsnachteile des Hamburger Hafens hin.

Hamburger Abendblatt: Herr Bonz, Sie haben sich zusammen mit anderen Logistikverbänden in einem Brief an Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) über die vielen gleichzeitigen Baustellen in Hamburg beschwert, die vor allem im Süden der Stadt zu massiven Staus führen. Die Situation sei wirtschaftlich nicht tragbar, sagen Sie. Hat sich daran etwas geändert, und haben Sie schon eine Antwort auf das Schreiben?

Gunther Bonz: Es gibt noch keine Antwort und leider auch keine Aktion, die wir positiv verzeichnen könnten. Verbände und die Hafenwirtschaft sehen natürlich auch die Notwendigkeit, die In­frastruktur zu modernisieren und funktionsfähig zu erhalten. Aber in Hamburg findet faktisch keine vernünftige Koordinierung der Baustellen mehr statt. Wir haben mindestens seit 2018 immer wieder mit falsch koordinierten Straßensperrungen zu kämpfen, die zu Wettbewerbsverlusten führen.

Aber es gibt doch eine Koordinierungsstelle für Baustellen. Wo ist das Problem?

Bonz: Das Problem liegt darin, dass die verschiedenen Beteiligten nicht frühzeitig zusammenkommen. Der Bund kümmert sich um die Autobahnen, die Stadt um die überbezirklichen Hauptstraßen, die Bezirke um die Bezirksstraßen und die Hamburg Port Authority (HPA) um die Hafenstraßen. Und jeder plant in seinem stillen Kämmerlein Baumaßnahmen. Diese werden dann öffentlich ausgeschrieben. Darauf kommt es zur Vergabe, und dann kommt jede Baustellen­koordinierung zu spät. Wir fordern, dass diese bereits vor der Ausschreibung erfolgt, nur so kann vernünftig geplant werden. Zudem fordern wir eine bessere Ampelschaltung, um gegen den Stau anzukämpfen.

Es heißt, dass nicht alle Ampeln umprogrammiert werden können.

Bonz: Das können wir nicht im Detail beurteilen. Aber wenn das so ist, dann haben wir in Hamburg wohl das falsche Ampelsystem. Ich stelle nur fest, dass beispielsweise in den Niederlanden in Rotterdam die Ampeln sehr kurzfristig der Verkehrslage angepasst und umgestellt werden können. Zudem gab es früher für unsere beiden Hauptschlagadern – die Autobahnen 1 und 7 – den Grundsatz, dass nie auf beiden gleichzeitig gebaut wird. Dieser Grundsatz wurde aufgegeben. Damit ist der Nord-Süd-Verkehr massiv beeinträchtigt, zumal auch noch Ferienzeit ist. Bei den Tourismusbüros und Vermietungsagenturen an der Ostsee häufen sich derzeit die Beschwerden anreisender Feriengäste, über den Stillstand auf Hamburgs Autobahnen. Das ist auch ein unfreundlicher Akt gegenüber dem Nachbarland Schleswig-Holstein.

Das ist aber Sache des Bundes.

Bonz: In erster Linie, ja. Aber Hamburg baut zur gleichen Zeit auf den Hauptstraßen, sodass Ausweichverkehre nicht mehr möglich sind. Der zuständige Baustellenkoordinator des Bezirksamtes Hamburg-Mitte ist in die Planungen der grünen Verkehrsbehörde zur Baustelle A 255 überhaupt nicht einbezogen worden; das Bezirksamt Mitte hat davon erst zu spät aus der Presse erfahren. Das führt zwangsläufig zum Chaos. Und dieses ist eingetreten. Der Hafen war zwei bis drei Wochen fast nicht erreichbar. Arbeitnehmer haben für die Anfahrt und für die Heimfahrt bis zu einer Stunde längere Fahrtzeiten gehabt. Das sind unverantwortbare Zustände.

Lässt sich der dadurch entstandene wirtschaftliche Schaden beziffern?

Bonz: Durch die Staus sind der Wirtschaft hohe Millionenbeträge verloren gegangen. Das summiert sich. Ein Beispiel: Am 12. Juli musste ein Schiff vom Terminal Wallmann zum Terminal SWT verlegt werden. Hierfür besteht Lotsenpflicht. Lotsen sind auf ein Taxi angewiesen, sie können ein Auto nicht mit an Bord nehmen. Wegen des Staus kamen Lotsen mit Stunden Verspätung beim Terminal Wallmann an. Schlepper und Festmacher mussten lange warten, unnötige und erhebliche Kosten sind entstanden. Das Schiff kam entsprechend verspätet am neuen Terminal an, dort wurden die Prozesse durcheinandergebracht.

Sie haben der Verkehrsbehörde vorgeworfen, dass sie die Situation mehr oder weniger ignoriere. Der zuständige Senator Anjes Tjarks (Grüne) sagt aber, dass die Wirtschaft frühzeitig in die Pläne eingebunden wurde und keine Verbesserungsvorschläge zur Umgehung der Staus machen konnte.

Bonz: Das ist nicht richtig. Die Wirtschaftsverbände sind im Frühjahr über die bevorstehenden parallelen Baustellen insbesondere auch auf der A 255/Wilhelmsburger Reichsstraße informiert worden und haben sie abgelehnt, weil sie das Chaos kommen sahen. Die Verbände haben daraufhin eine Vielzahl von Verbesserungsvorschlägen eingereicht, die von den zuständigen Behörden allesamt abgelehnt wurden. Zur Auffrischung des Gedächtnisses haben wir dem Senator diese Vorschläge in einem Schreiben mit Kopie an den Bürgermeister erneut übersandt.

Manche werfen der grünen Verkehrsbehörde Vorsatz vor. Sie auch?

Bonz: Ich rede häufig mit Truckern, die sicherlich zu den Hauptleidenden des Stauchaos zählen. Die stehen stundenlang in der Blechschlange und wissen nicht einmal, wo sie ihre Notdurft verrichten sollen. Das erinnert an die Sklavenzeit. In der Tat haben wir im Hafen den Eindruck gewonnen, dass Stau hier zum Programm erhoben wird. Ich habe auch mit Betriebsräten gesprochen, die nur noch mit dem Kopf schütteln. Sie haben nicht den Eindruck, dass die Sozialdemokratische Partei in dieser Sache korrigierend auf den grünen Koalitionspartner einwirkt. Zumindest nicht mehr vor der Bundestagswahl.

Die Autoindustrie hat im ersten Halbjahr ihre Produktion zurückfahren müssen, weil Mikrochips und Halbleiter fehlen. Wer in Hamburg Ware aus Übersee benötigt, muss lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Wer oder was trägt dafür die Verantwortung?

Bonz: Hinter den derzeitigen Mangelerscheinungen stehen verschiedene Ursachen. Eine ist, dass die Corona-Pandemie nicht weltweit gleichzeitig zugeschlagen hat, sondern sich nach und nach ausbreitete. Dadurch brachen die Logistikabläufe zeitlich versetzt zusammen. Als die Häfen in Asien schlossen, waren sie in Europa noch offen. Als einige in Europa schlossen, machte China wieder auf. Diese zeitliche Verzögerung hat dazu geführt, dass auch das Leercontainermanagement der Reedereien durcheinandergeraten ist. Es dauert, bis das alles wieder hochläuft. Dazukam die Blockade des Suezkanals, die die Unwucht verstärkte. Aber schon vor Corona liefen die Schiffsanläufe auch in Hamburg nicht mehr nach Fahrplan.

Was ist der Grund?

Bonz: Die Schiffe sind viel größer als früher. Die Ballung von Mengen auf einem Schiff hat bei kleinsten Störungen, etwa eine Verzögerung durch einen Sturm auf See, viel größere Auswirkungen als bei kleinen Schiffen.

Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen geht davon aus, dass sich der Schiffsbetrieb in der zweiten Jahreshälfte 2021 wieder normalisiert. Gehen Sie auch davon aus?

Bonz: Nein. Wie ich eben skizzierte, sind die Störungen fundamental. Nach Einschätzung des Unternehmensverbands Hafen Hamburg wird sich die Lage in diesem Jahr nicht mehr normalisieren. Wir rechnen mit bis zu einem weiteren Jahr.

Also werden wir das Fehlen bestimmter Artikel noch im kommenden Jahr spüren?

Bonz: Alle Beteiligten arbeiten daran, das Pro­blem zu lösen. Aber wenn Ware in Asien zu spät abgeschickt wird, kann das nicht wieder aufgeholt werden. Wir werden die Unwucht leider auch noch im kommenden Jahr haben. Dabei können wir nur hoffen, dass eine vierte Corona-Welle in bestimmten Erdteilen nicht zu einem erneuten Lockdown führt.

Im Hafen wird eine Terminalbeteiligung des chinesischen Konzerns Cosco an dem Containerterminal Tollerort der HHLA diskutiert. Wie steht die Hafenwirtschaft dazu?

Bonz: Die Hafenwirtschaft unterstützt seit Langem Terminalbeteiligungen. Denken Sie beispielsweise an die Firmen Unikai, an der Grimaldi beteiligt ist, oder Altenwerder, wo Hapag-Lloyd eine Betei­ligung hält. Auch eine Beteiligung von Cosco würde von uns begrüßt. Das ist ein langjähriger Kunde des Hamburger Hafens, der eine wichtige Funktion hat, beispielsweise zur Verschiffung von Luftfahrtprodukten nach Asien. Es gibt bei uns nur einen Grundsatz: Wenn eine Reedereibeteiligung dazu dienen soll, das finanzielle Defizit der HPA auszugleichen, dann sind wir dagegen.

Dem Hamburger Hafen wird vorgeworfen, in Sachen Effizienz und Schnelligkeit gegenüber den Konkurrenzhäfen in Europa an Boden zu verlieren. Haben die Terminalgesellschaften die Entwicklung verschlafen?

Bonz: Keinesfalls. Die beiden großen Umschlagsbetriebe HHLA und Eurogate haben seit letztem Jahr Transformationsprozesse eingeleitet, die ihre Wettbewerbsfähigkeit massiv verbessert – bereits mit sichtbaren Erfolgen, wenn sie die Kundenzufriedenheit messen. Die Produktivität wurde und wird weiter gesteigert. Wenn man den Vergleich mit den Konkurrenzhäfen anstellt, muss man aber konstatieren, dass die Kosten in Deutschland am höchsten sind. Wir haben die höchsten Flächen- und Kaimauermieten in Nordeuropa, die höchsten Bruttolöhne und eine steuerliche und Subventionsungerechtigkeit.

Inwiefern?

Bonz: In Antwerpen werden beispielsweise die Bruttozusatzkosten bei den Löhnen staatlich subventioniert. Dort sind Mitarbeiter nämlich nicht bei Terminals angestellt, sondern bei einem staatlichen Personalpool, der den Terminals nur die Nettolohnkosten in Rechnung stellt. Zudem genießen Reedereien mit einer Terminalbeteiligung dort Steuerprivilegien, weil sie die Tonnagesteuer vom Transport auf den Umschlag am eigenen Terminal ausdehnen können.

Muss da nicht die EU-Kommission einschreiten? Deutschland wird doch auch oft wegen Wettbewerbsverstößen gerügt.

Bonz: Die EU-Kommission hat diese Praxis auf Antrag Belgiens und der Niederlande in Einzelfallentscheidungen genehmigt. Wir sind zusammen mit der Bundesregierung und der französischen Regierung dabei, das aufzuarbeiten und rechtliche Schritte einzuleiten, damit das abgestellt wird. Wir vermissen bei diesem Thema die Unterstützung der Stadt Hamburg. Sie schweigt.

Seit mehr als einem Jahr wartet die Stadt auf einen neuen Hafenentwicklungsplan des Senats. Wissen Sie, wann der kommt?

Bonz: Nein, wir wissen auch nicht mehr. Weder die Handelskammer noch die Hafenwirtschaft sind derzeit in einen Kommunikationsprozess eingebunden. Ende des Jahres sollen wir mehr erfahren. Wir kennen die Gründe für die Verzögerungen nicht. Wir haben die Befürchtung, dass es in der Koalition auch Streit zum Beispiel über das Thema Wasserstoff gibt. Wirtschaftssenator Michael Westhagemann hat zu Recht Wasserstoff als ein neues Umschlagsgut für den künftigen Hafen ins Feld geführt. Allerdings müsste der dann auch gelagert werden können. Wo sollen Wasserstoffläger entstehen? Es gibt freie Flächen im Hafen, die geeignet wären. Dazu müssten aber die emissionsschutzrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Und dafür ist die Umweltbehörde zuständig.

Mauert die Umweltbehörde Ihrer Meinung nach bei dem Thema?

Bonz: Ich spekuliere nicht. Ich stelle nur fest, dass es in Niedersachsen und Schleswig-Holstein bereits einen Rechtsrahmen für Lagerung und Umschlag von Wasserstoff gibt. In Hamburg gibt es den immer noch nicht. Wir fordern das seit mehr als vier Jahren.