Hamburg. Pandemie-Effekte lassen die Kosten für Leistungsfälle sinken – teils wegen verschobener Operationen sogar in der Kranken-Sparte.

Die Corona-Pandemie hat das deutsche Gesundheitswesen vor die wohl größte Herausforderung der Nachkriegszeit gestellt. Angesichts Zehntausender Menschen, die auf Intensivstationen wegen Covid-19 behandelt werden mussten, könnte man annehmen, dass private Krankenversicherer (PKV) ein schlimmes Jahr 2020 hatten. Doch sowohl die Signal-Iduna-Gruppe mit Doppelsitz in Dortmund und Hamburg als auch der Hamburger Assekuranzkonzern HanseMerkur konnten das vorige Geschäftsjahr insgesamt erfolgreich abschließen, obwohl beide vorwiegend als PKV-Anbieter tätig sind.

So steigerte die Signal-Iduna das so- genannte Gesamtergebnis um fast 30 Prozent auf 873,7 Millionen Euro, bei der HanseMerkur verbesserte sich der Rohüberschuss (vor Steuern und Rückstellungen) um knapp 13 Prozent auf ein Rekordniveau von 388,0 Millionen Euro. Wie war das möglich? Zunächst einmal erzielten beide Gruppen trotz der durch die Lockdowns erschwerten Vertriebsbedingungen überdurchschnittlich starke Zuwächse der Beitragseinnahmen.

8000 Corona-Fälle unter den Versicherten der Signal Iduna

Signal-Iduna schaffte hierbei ein Plus von 3,2 Prozent auf 6,1 Milliarden Euro, bei der HanseMerkur zogen die Prämieneinnahmen gar um 13,1 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro an – und das, obwohl die beiden Unternehmen in Hamburg in der Spitze 85 beziehungsweise 90 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice arbeiten ließen. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Versicherungsbranche erreichte nur eine Beitragszunahme von gerade einmal 1,2 Prozent.

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Dass ab März 2020 der allergrößte Teil des Personals innerhalb von nur einer Woche von zu Hause aus arbeiten konnte, ohne dass dies den Vertrieb ausbremste, war laut Signal-Iduna-Chef Ulrich Leitermann auf die „Digitalisierungsanstrengungen schon im Vorfeld“ der Pandemie zurückzuführen.

Niedrigere Aufwendungen für Versicherungsfälle

Doch die beiden Assekuranzunternehmen profitierten nicht nur von den Einnahmesteigerungen, sondern auch von Corona-bedingt niedrigeren Aufwendungen für Versicherungsfälle – zumindest in manchen Sparten. Bei der Signal-Iduna machte das gut 200 Millionen Euro aus, und das nach Angaben von Leitermann sogar „vor allem in der Krankenversicherung“. Zwar gab es rund 8000 Corona-Fälle im Bestand der versicherten Personen, eine geringere Zahl von Klinikaufenthalten wegen anderer Krankheiten und verschobene Operationen führten unter dem Strich aber zu niedrigeren Kosten.

Diese Tendenz setze sich im Jahr 2021 bislang fort, sagte ein Unternehmenssprecher: „Nachholeffekte können noch nicht beobachtet werden.“ Eine Prognose für den weiteren Verlauf zu treffen, sei derzeit aber nur schwer möglich, da die Einschätzung der weiteren Entwicklung der Pandemie „sehr unsicher“ sei.

Erheblicher Rückgang der Unfallzahlen

Zwar verzeichnete die HanseMerkur keine solche Entlastung in der Krankenversicherung. Doch die so genannte Schadenquote – das sind die Aufwendungen für Versicherungsfälle in Relation zu den Prämieneinnahmen – sank in dieser Sparte ebenfalls (von 72,1 Prozent auf 71,8 Prozent), was aber auf das starke Beitragswachstum zurückzuführen ist.

Sowohl der Signal-Iduna als auch der HanseMerkur gelang es jedenfalls, den Gewinn im reinen Versicherungsgeschäft, also ohne die Erträge aus den Kapitalanlagen, sehr kräftig zu steigern. Dabei wirkten in den jeweiligen Autoversicherungssparten eindeutig positive Corona-Effekte: Die wegen der Pandemie stark eingeschränkte Mobilität führte zu einem erheblichen Rückgang der Unfallzahlen.

Besonders deutliche Auswirkungen hatte das bei einem weiteren Hamburger Versicherer: Der Kfz-Spezialist Kravag-Allgemeine, bei dem nach eigenen Angaben 1,2 Millionen Fahrzeuge versichert sind, verzeichnete eine Schadenquote von nur noch 72,9 Prozent gegenüber 81,8 Prozent im Vorjahr. Auf der Grundlage dieses Effekts konnte der Jahresüberschuss von zuvor 13,3 Millionen Euro auf 26,4 Millionen Euro nahezu verdoppelt werden.

Rasanter Anstieg der Immobilienpreise

Nutznießer waren dabei nicht irgendwelche außenstehenden Aktionäre, denn die Kravag ist als Tochter des Wiesbadener Konzerns R+V ebenso genossenschaftlich organisiert wie die Signal-Iduna und die HanseMerkur, die beide sogenannte „Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit“ sind und damit ihren Kunden gehören.

Mit Verweis auf den hohen Verwaltungsaufwand hat die Signal-Iduna jedoch entschieden, nicht von sich aus den Kunden einer Kfz-Versicherung eine Prämienrückerstattung wegen des deutlich geringeren Schadenaufwands zukommen zu lassen. Deutschlands größter Autoversicherer, die HUK-Coburg, zahlt den 13 Millionen Kunden dagegen unaufgefordert 150 Millionen Euro zurück.

Den Versicherten der Signal-Iduna bleibt aber die Möglichkeit, das Unternehmen über eine geringere Kilometerleistung zu informieren und damit die Prämie zu reduzieren. Geholfen hat den beiden großen Hamburger Assekuranzanbietern auch das – trotz des tiefen Kurseinbruchs im Frühjahr – insgesamt noch gute Börsenjahr 2020 sowie der rasante Anstieg der Immobilienpreise.

Belastender Sonderfaktor

 Denn sowohl die Si­gnal-Iduna als auch die HanseMerkur weisen im Bestand der Kapitalanlagen, die sich aus den Prämien der Kunden speisen, eine höhere Aktienquote (6,5 Prozent beziehungsweise 15,5 Prozent) wie auch eine höhere Immobilienquote (7,0 Prozent beziehungsweise 14,0 Prozent) auf als der Durchschnitt der deutschen Versicherer. Im Branchenmittel machen die Aktien 5,8 Prozent und die Immobilien nur 3,7 Prozent der gesamten Kapitalanlagen aus. Weit überwiegend bestehen diese aus festverzinslichen Wertpapieren, die aber schon seit längerer Zeit immer geringere Renditen liefern.

Allerdings litten beide der größeren Versicherer mit Verwaltungssitz in Hamburg jeweils unter einem belastenden Sonderfaktor mit Bezug auf die Pandemie. Bei der Signal-Iduna ist es die Betriebsschließungsversicherung (BSV): Um ärgerliche Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden, einigte sich das Unternehmen bereits mit etwa 88 Prozent der BSV-Kunden auf Zahlungen, obwohl sich aus den Vertragsbedingungen nicht eindeutig eine Leistungspflicht ergab, wenn beispielsweise ein Hotel oder ein Restaurant aufgrund einer behördlichen Corona-Allgemeinverfügung zeitweise schließen musste.

Kunden unbürokratisch helfen

„Uns war es aber wichtig, unseren Kunden in dieser Ausnahmesituation schnell und unbürokratisch zu helfen“, sagte Leitermann dazu. Viele BSV-Anbieter entschieden sich anders. Der Sonderweg kostete die Signal-Iduna rund 50 Millionen Euro – bei Prämieneinnahmen aus der BSV von gerade einmal 500.000 Euro. Aufgrund dieses Sonderwegs sackte denn auch der Jahresüberschuss nach Steuern um 54 Prozent auf 48,5 Millionen Euro.

Aufgrund der Berichterstattung über BSV-Streitfälle merkte Wolfgang Weiler, der Präsident des Versicherer-Branchenverbands GDV, auf dessen Jahrespressekonferenz an, die Betriebsschließungsversicherung sei nie für eine globale Pandemie oder politische Entscheidungen wie einen Lockdown konzipiert gewesen: „Vor allem Gastwirte und Hoteliers haben uns unter anderem vorgeworfen, dies in den Bedingungen nicht eindeutig genug formuliert zu haben.“

Geringere Zahl der Auslandsreisen

Dies habe, so Weiler, „zweifellos Spuren beim Image unserer Branche hinterlassen“, und man nehme die Kritik sehr ernst. Tatsache bleibe aber: „Pandemien hebeln das Versicherungsprinzip aus und sind daher rein privatwirtschaftlich nicht zu versichern.“

Auf andere Weise wurde die HanseMerkur von der Pandemie getroffen: Die Hamburger sind nach eigener Darstellung ein „führendes Unternehmen“ in der Reiseversicherung. Wegen der viel geringeren Zahl der Auslandsreisen sanken die Beitragseinnahmen in diesem Geschäftsfeld um ein Drittel auf knapp 160 Millionen Euro. Doch man sehe derzeit vor dem Hintergrund des Impffortschritts und der in vielen Ländern sinkenden Inzidenzen nicht nur ein vermehrtes Buchungsaufkommen, sagte eine Firmensprecherin: „Wir stellen ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis der Reisenden fest.“

Darauf reagierte die HanseMerkur mit einem speziellen Corona-Reiseschutzprodukt. Es versichert pandemie­typische Situationen, die vor Reisebeginn und am Urlaubsziel eintreten können, wie etwa Quarantäne vor und im Urlaub oder versagte Beförderung durch die Fluggesellschaft. Aktuell aber liegen die Beitragseinnahmen in der Reiseversicherung noch unter dem Vorjahreswert.