Ehningen/Berlin. Am Dienstag enthüllt IBM nahe Stuttgart einen Quantencomputer. Forschung und Wirtschaft brechen in die technologische Zukunft auf.

Ehningen ist ein beschaulicher Ort, etwas mehr als 9000 Einwohner, Schloss, die Würm plätschert durchs Zentrum. Nichts deutet darauf hin, dass hier, 30-S-Bahn-Minuten vom Stuttgarter Zentrum entfernt, Computergeschichte geschrieben wird. An diesem Dienstag ist es so weit: Der erste universelle Quantencomputer außerhalb der USA wird enthüllt.

Quantum System One heißt das Gerät, das im Kern aussieht wie ein etwas überkandidelter Kronleuchter voller gedrehter goldener Spaghetti. Im Betrieb verschwindet er in einer Säule, die wiederum in einem Würfel mit drei Meter Kantenlänge steckt.

Quantencomputer in Deutschland: Fraunhofer-Institute nutzen ihn exklusiv

Dass der Rechner in Schwaben steht, hat mit IBM zu tun. Der US-Konzern, der den Rechner entwickelt hat, residiert mit seiner Deutschlandzentrale in Ehningen, wo Quantum System One im firmeneigenen Rechenzen­trum aufgebaut ist.

Nutzen dürfen ihn exklusiv die deutschen Fraunhofer-Institute, zunächst bis Ende 2023. Zur Enthüllung zugeschaltet sind unter anderem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und IBM-Chef Arvind Krishna. Baden-Württemberg bezuschusst das Projekt, den größten Teil hat Fraunhofer vorfinanziert.

Quantum System One heißt der Quantencomputer von IBM. Das erste Exemplar in Europa wird heute bei Stuttgart enthüllt.
Quantum System One heißt der Quantencomputer von IBM. Das erste Exemplar in Europa wird heute bei Stuttgart enthüllt. © picture alliance/dpa | ---

Quantencomputer sind herkömmlichen Rechnern deutlich überlegen

Der Quantencomputer hat ein enormes Potenzial unter anderem wegen der Art, wie er arbeitet. Herkömmliche Computer müssen alle Möglichkeiten durchrechnen, um zum besten Ergebnis zu kommen. Das dauert zum Teil sehr lange und ist bei manchen Aufgaben wegen der schieren Menge an Rechenoperationen nicht möglich.

Der Quantencomputer rechnet parallel und ist um ein Vielfaches schneller. Mit ihm lassen sich etwa Natursimulationen erstellen, komplizierte Logistikketten optimieren oder Milliarden Zahlungsströme in Echtzeit steuern, während komplexe regulatorische Vorgaben berücksichtigt werden.

Gerade erst schlossen sich zehn deutsche Großkonzerne zu einem Konsortium zusammen, um Quantencomputing in der Praxis in Deutschland voranzutreiben.

Quantencomputer stecken in einer Art Kühlschrank

Was recht einfach klingt, ist sehr schwer umzusetzen. Das hat nicht nur mit der komplizierten Quantentheorie zu tun. Eine Schwierigkeit ist technischer Art: Qubits, mit denen Quantum System One rechnet, sind äußerst empfindlich.

Sie lieben es sehr kalt, der Computer steckt deshalb in einer Art Kühlschrank, der auf eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt von minus 273 Grad gebracht wird – kälter als das Weltall. Qubits dürfen nicht erschüttert werden, da kann eine Autobahn in der Nähe einiges durcheinanderbringen.

Dann sind da noch Schwierigkeiten inhaltlicher Art. Man weiß, wofür der Rechner eingesetzt werden könnte, aber nicht genau, wie die Anwendungen gestaltet sein müssen, um die Fähigkeiten voll auszunutzen.

Deutschland will führend werden beim Quantencomputing

Die Fraunhofer-Institute wollen deshalb gemeinsam mit Unternehmen und Start-ups Anwendungen erforschen. Und es sollen Experten ausgebildet werden. „Nur weil sie Physik oder Informatik studiert haben, können Sie nicht automatisch einen Quantencomputer bedienen“, sagt Professor Manfred Hauswirth vom Fraunhofer-Institut für offene Kommunikationssysteme (Fokus) in Berlin, Co-Koordinator des Projekts.

Ziel: Deutschland soll weltweit vorn dabei sein bei der neuen Technologie. Und auch einen eigenen Quantencomputer soll es in Deutschland geben, so sieht es eine Roadmap der Bundesregierung vor. In fünf Jahren soll er fertig sein.

Binnen zehn Jahren sollen Computer und Quantencomputer zusammenarbeiten

IBM hatte den Quantum System One 2019 vorgestellt. Inzwischen laufen 40 Quantencomputer in einem Rechenzentrum im US-Bundesstaat New York, wo der Konzern Großrechner entwickelt. Die Rechenleistung dort können auch Firmen nutzen. Daimler etwa stützte sich auf Quantencomputing für eine neue Lithium-Batterie.

Bei IBM heißt es, man stehe erst am Anfang der Technologie. Der Plan: Binnen zehn Jahren sollen Quantencomputer und klassische Computer zusammenarbeiten. Wer ein kompliziertes Rechenproblem hat, nutzt dann die Leistungsfähigkeit des Quantencomputers über eine Cloud, skizziert IBM-Vizepräsident Jay Gambetta.

Quantencomputer versprechen ein Milliardengeschäft

Analysten der US-Bank Morgan Stanley schätzen, dass sich der Markt für High-End-Quantencomputer bis 2025 auf zehn Milliarden Dollar pro Jahr verdoppeln wird. Daher arbeitet auch die Konkurrenz an Quantenrechnern, etwa der US-Internetkonzern Google, der chinesische Internetriese Alibaba und Start-ups wie Novarion, Rigetti und D-Wave. Googles Superrechner läuft derzeit allerdings nicht stabil.

Bis es Quantencomputer für zu Hause gibt oder jeder Rechenkapazität nutzen kann, wird es dauern. Fraunhofer-Forscher Hauswirth sagt: „Wir wissen, dass wir es schaffen werden. Aber wir können uns nicht glaubwürdig auf einen Zeitpunkt festlegen, an dem wir praxistaugliche Quantencomputer haben.“