Hamburg. Handelsverbandschef Bartmann über eine attraktivere City, schwache Geschäfte nach der Wiedereröffnung und zunehmende Leerstände.

Andreas Bartmann ist Geschäftsführer der Firma Globetrotter Ausrüstung, Präsident des Handelsverbands Nord und Vize-Präsident des Handelsverbands Deutschland. Im Gespräch mit dem Abendblatt erläutert er, was die Lockerungen vom Corona-Lockdown für den Hamburger Einzelhandel bedeuten und was sich ändern muss, damit die Geschäfte in der Innenstadt überleben.

Hamnburger Abendblatt: Herr Bartmann, wie sehr hat der Einzelhandel unter den fünf Monaten Lockdown gelitten?

Andreas Bartmann: Praktisch jedes zweite von der Schließung betroffene Unternehmen hat unseren Erhebungen zufolge mittlerweile ernste Schwierigkeiten. Insbesondere Kleinunternehmen haben ihr Eigenkapital komplett aufgebraucht und teilweise ihre Altersversicherung aufgegeben, um den Fortbestand zu sichern. Unsere Umfragen haben gezeigt, dass die Überbrückungshilfen maximal ein Drittel der durch Corona entstandenen Schäden auffangen. Am Ende bedeutet das, dass ein zweistelliger Prozentsatz an Unternehmen das nicht überstehen wird.

Jetzt dürfen sie aber wieder öffnen. Am Sonnabend war in der Hamburger Innenstadt viel los. Wie zufrieden sind Sie?

Bartmann: Wir sind im Handel ehrlicherweise noch sehr weit von einer Normalität entfernt. Es ist verständlich, dass man nach monatelangem Lockdown das Gefühl hat, dass ganz viele Leute in der Stadt sind. Schaut man sich die Kauffrequenzen in den Geschäften genauer an, sind wir bei 50 Prozent der Normalität – wenn es gut läuft.

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Woran liegt das?

Bartmann: Die sicherlich noch notwendigen Hygieneauflagen beschränken die Zugangsfrequenzen. Wir freuen uns über jeden Kunden, der kommt. Von wirtschaftlich tragfähigen Frequenzen können wir aber nicht sprechen.

Kann man unter diesen Hygienebedingungen überhaupt wirtschaftlich arbeiten?

Bartmann: Das sehe ich nicht. Das Problem sind weniger die Flächenbegrenzungen als vielmehr die Ein- und Auslass-Kontrollen. Es ist unrealistisch zu glauben, dass wir unter diesen Bedingungen auf ein normales Niveau kommen. Damit rechnen wir auch nicht vor Herbst.

Wirtschaftlicher Einzelhandel wird also vor Herbst nicht möglich sein?

Bartmann: Das möchte ich mal behaupten, zumindest in der Innenstadt nicht. Der Tourismus ist ja auch noch nicht zurückgekehrt. Wir werden schrittweise zu einem wirtschaftlichen Umsatz zurückkehren. Und der erste Schritt war, das wir überhaupt wieder öffnen dürfen.

In Nachbarländern ist die Öffnung schneller passiert, und Touristen gibt es dort auch wieder. Ist Hamburg übervorsichtig?

Bartmann: Ein zu schnelles Öffnen hätte sicher die Corona-Problematik verlängert. Aber etwas mehr Pragmatismus hätte ich mir schon gewünscht. Jeder verlorene Tag verursacht erhebliche Summen an Umsatzausfällen und entscheidet über das Überleben einzelner Händler. Und wenn ich mich an anderen Städten orientiere, wie zum Beispiel München, dann hat sich gezeigt, dass die schnellere Öffnung dort das Infektionsgeschehen nicht negativ beeinflusst hat. Zwei Wochen eher aufmachen hätte uns schon sehr geholfen. Hamburg ist etwas übervorsichtig gewesen.

Stattdessen sind die Hamburger ins Umland zum Einkaufen gefahren.

Bartmann: Ja, und das ist eigentlich die größere Problematik, dass es im Norden bis zum Schluss kein abgestimmtes Vorgehen gegeben hat. Jeder macht seins. Das haben die Menschen in der Metropolregion bis heute nicht verstanden, warum man in Hannover oder Neumünster einkaufen kann, in Hamburg aber nicht. Dies wurde dann auch gemacht.

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Oder man setzt sich einfach vor den Computer und bestellt dort. Der Internethandel hat dem stationären Handel schon vor Corona geschadet. Hat der Lockdown diesen Trend verschärft?

Bartmann: Natürlich. Wer glaubt, dass es nach fünf Monaten Schließung der Geschäfte jetzt zu einem Nachholeffekt kommt, liegt falsch, weil die Kunden ihren Bedarf größtenteils inzwischen im Onlineshopping gedeckt haben.

Einige große Händler haben darauf reagiert, indem sie die Anzahl ihrer Filialen reduzieren und den Internethandel verstärken. Dabei sparen sie hohe Mietkosten. Ist das nicht gefährlich für den Einzelhandel?

Bartmann: Das wird es definitiv. Es hat eine Umsatzumverteilung gegeben, die den stationären Einkauf kannibalisiert. Wobei ich fest davon ausgehe, dass die Musik weiterhin auch im stationären Handel gespielt wird. Der Job muss nur richtig gemacht werden. Auch nach dem ersten Lockdown im vergangenen Jahr sind die Leute wieder in die Läden gekommen. Die Umsatzverteilungsstruktur hat sich aber geändert, und sie wird nicht zum alten Stand zurückkehren.

Was bedeutet das?

Bartmann: Dass die Händler sich darauf einstellen müssen. Wir werden ein erhebliches Überangebot an Flächen erleben. Die Leerstände, die wir derzeit haben, werden größtenteils definitiv nicht wieder gefüllt. Den Verkauf über drei oder vier Etagen wird es so nicht mehr geben. Die Zeit der großen Dinosaurier ist vorbei. Kleiner, flexibler und digitaler ist an­gesagt. Karstadt/Kaufhof am Eingang zur Mönckebergstraße ist das beste Beispiel. Immobilienbesitzer und Stadtplaner werden umdenken müssen. Hinzu kommt eine zweite Entwicklung, die die Innenstadt betrifft.

Nämlich?

Bartmann: Ein großer Unterschied zwischen City und Quartieren. 2020 ist der Handel um fünf Prozent gewachsen. Da fragt man sich, wie das angesichts von Corona geht. Das liegt daran, dass wir extrem unterschiedliche Entwicklungen in den Branchen und Standorten hatten. Der dominierende Lebensmitteleinzelhandel ist beispielsweise im Lockdown stark gewachsen. Auch Baumärkte und Möbel haben zugelegt, weil man sich mehr auf die Verschönerung seines Zuhauses
fokussierte. Der Bereich Textil, Schuhe und Schmuck hat hingegen ganz stark gelitten. Die Hamburger Innenstadt ist aber sehr auf gerade diese Branchen hin ausgerichtet, deshalb hat sie mehr gelitten als die Nahversorger in den Bezirken. Die Einzelhändler dort haben aber auch von der Rückbesinnung der Menschen aufs eigene Umfeld und Quartier profitiert.

Corona: So lockert Hamburg weiter

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Was bedeutet das für die Innenstadt?

Bartmann: Das bisherige Business-Konzept der Innenstadt bestehend aus möglichst viel Einzelhandel und Gastronomie wird künftig so nicht mehr funktionieren. Wir müssen die Innenstadt neu beleben, insbesondere durch die Schaffung von Wohnraum. Die Politik muss den Immobilienbesitzern den geeigneten Rahmen schaffen. Denn es ist gar noch so einfach aus Einzelhandelsflächen Wohnräume zu machen. Unsere Dresdener Filiale hat im Lockdown weitaus weniger gelitten als andere Standorte, weil in Dresdens Innenstadt viele Menschen wohnen. So ein Wandel geht in Hamburg nicht von heute auf morgen, sondern es wird vier, fünf Jahre dauern. Das verlangt auch den Immobilienbesitzern einiges ab. Der Handel hat exorbitante Mieten bezahlt. Das wird er künftig nicht mehr tun. Das wird auch schmerzliche Auswirkungen auf Immobilienbewertungen haben. Zahlte ein Einzelhändler bisher 50–100 Euro pro Quadratmeter, sind es 15 bis 20 Euro bei einem Dienstleister und noch weniger bei einem Wohnungsmieter.

Was können die Händler selber tun, um die Innenstadt zu beleben? Sollen sie Straßenfeste veranstalten?

Bartmann: Die Arbeit fängt in den Läden an. Die Menschen sind doch genervt davon zu Hause zu sitzen und per Bildschirm einzukaufen. Wir können ihnen eine fantastische Bühne bieten – einkaufen mit allen Sinnen. Wenn ich ein Produkt suche, kann ich es im Internet bekommen. Wenn ich aber weiß, dass ich es auch im Laden erhalte, es dort anfassen und mich beraten lassen kann, ist jeder bereit vor die Tür zu gehen. Das heißt, die Händler müssen auch ihre Sortimente auf die Kunden ausrichten und in ihrem Onlineshop deutlich machen, was man auch im Laden erhalten kann. Nichts ist schlimmer als der Satz: „Das habe ich nicht, das muss ich ihnen bestellen.“ Denn dann sagt der Kunde. „Nee, bestellen kann ich auch.“ Und natürlich benötigen wir auch Gastronomie und kulturelle Angebote. Das haben wir beim Teil-Lockdown im vergangenen Herbst festgestellt. Obwohl die Läden geöffnet hatten, blieben die Leute weg, weil das weitere Angebot im Umfeld fehlte. Helfen können auch Märkte. Die funktionierten seit 1000 Jahren als Publikumsmagneten. Da haben wir in der Innenstadt ein Defizit. Hamburg braucht tägliche Märkte in der City. Wir haben schöne Plätze, die man entsprechend gestalten könnte.

Die Handelskammer favorisiert eine Markthalle, beim leer stehenden Kaufhof-Gebäude. Wie stehen Sie dazu?

Bartmann: Warum nicht? Ich könnte mir so etwas aber auch gut unter den Brücken am Rödingsmarkt oder Baumwall vorstellen.

Ein Wort zu Ihrem eigenen Unternehmen: Wie ist Globetrotter durch die Krise gekommen?

Bartmann: Da wir im Schwerpunkt im stationären Einzelhandel unterwegs sind, hat uns die Krise in der Zeit der geschlossenen Geschäfte sehr getroffen. Wir haben zwar im Internetverkauf unsere Umsätze verdoppelt, dass fängt aber nicht das auf, was wir im stationären Verkauf verloren haben. Etwa die Hälfte des Umsatzes ist weg. Wir sind aber positiv gestimmt weil die Themen Natur, sich draußen aufhalten und bewegen derzeit und auch künftig sehr gut funktionieren. Problematisch ist die Nachschubversorgung, da sich Lieferketten in der Pandemie verschoben haben und Beschaffungs- und Logistikketten zusammengebrochen sind, sodass gewisse Produkte in den nächsten Wochen einfach nicht mehr vorhanden sein werden. Das Thema Fahrrad ist bekannt. Aber auch Faltboote, Schlauchboote und Stand-up-Paddling werden knapp. Das kommt erst im kommenden Jahr wieder.

120.000 Läden droht bundesweit das Aus

  • Laut dem Handelsverband Deutschland droht rund jedem vierten Händler durch die Corona-Krise das Aus. Bundesweit seien bis zu 120.000 der 450.000 Läden, die von 300.000 Personen geführt werden, von der Schließung bedroht.

  • Während des Lockdowns mussten Geschäfte im Frühjahr 2020 und im Winter/Frühjahr 20/21 monatelang schließen. In Hamburg durften sie erst Pfingstsonnabend wieder öffnen.

  • Der Handelsverband Nord repräsentiert 33.000 Einzelhandelsbetriebe in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Die Mitgliedsfirmen erwirtschaften rund 80 Prozent des Umsatzes der gesamten Einzelhandelsbranche.