Berlin. Die Bahn plant 50 Prozent mehr Hochgeschwindigkeitstrassen. Für welche Strecken dies gilt, verrät der Bahnvorstand Ronald Pofalla.
Die Deutsche Bahn will ihr Hochgeschwindigkeitsnetz in den nächsten Jahren stark erweitern. „Wir werden die Hochgeschwindigkeitsstrecken mittelfristig um 50 Prozent ausbauen – von jetzt 1000 auf dann 1500 Kilometer. Dort können unsere ICE mit 250 Stundenkilometern und mehr unterwegs sein“, sagte der Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn, Ronald Pofalla, dieser Redaktion.
„Das gilt unter anderem für die Strecken Stuttgart–Ulm, Frankfurt–Mannheim, Hannover–Hamburg oder Dresden–Prag.“ Die Umsetzung könnte je nach Dauer der Planfeststellungsverfahren in „realistisch mindestens zehn bis zwölf Jahren“ erfolgen. Vor 30 Jahren – am 29. Mai 1991 – starteten die ersten ICE.
Ein Ziel der Initiative ist es, mehr Verkehr von der Luft auf die Schiene zu verlagern. „Überall, wo wir Hochgeschwindigkeits-ICE einsetzen und Städte unter vier Stunden miteinander verbinden, ist Bahnfahren eine echte Alternative zum Fliegen“, sagt Pofalla. Lesen Sie auch: Deutsche Bahn: Mehr Verbindungen und höhere Preise
Hochgeschwindigkeit: Schnelle Züge sind der beste Anreiz mit der Bahn zu fahren
Je weiter wir die Hochgeschwindigkeitsstrecken ausbauen, desto mehr Flüge werden die Fluggesellschaften wohl in Deutschland einstellen“, ist Pofalla überzeugt. Dies müsse aber freiwillig geschehen. „Von Verboten halte ich nichts.“ Das Tempo der Züge sei ein wesentlicher Schlüssel, damit Menschen überhaupt auf die Schiene umstiegen.
Als Beispiel nennt Pofalla die Strecke München–Berlin. Seitdem die Schnellstrecke existiere, seien etwa 30 Prozent der Fluggäste auf der Strecke auf die Bahn umgestiegen. „Zwischen Berlin und Nürnberg – in drei Stunden per Bahn zu erreichen – wurde die Flugverbindung eingestellt“, sagte der Bahnvorstand. In den 2020er-Jahren würden mehr als 170 Milliarden Euro in die Streckeninfrastruktur investiert.
Wenn der Fernzug alle 30 Minuten kommt und zur S-Bahn wird
Einen weiteren Schub für die Bahn verspricht sich Pofalla vom Deutschlandtakt. „Man geht an einen Bahnhof und weiß, dass die ICE alle 30 Minuten fahren, so wie jetzt schon zwischen Hamburg und Berlin. Fernzüge bekommen dann S-Bahn-Charakter“, sagte der Vorstand. „In den nächsten zehn Jahren sollen mindestens 30 weitere Großstädte im Halbstundentakt miteinander verbunden werden. Ziel ist es, alle Fernverkehrshalte im Deutschlandtakt miteinander zu vernetzen.“
Lesen Sie hier das gesamte Wortlaut-Interview mit Bahnvorstand Ronald Pofalla:
Corona hat die Fahrgastzahlen bei der Bahn erheblich reduziert. Gleichzeitig sind die Fernzüge so pünktlich wie nie. Fahren fast leere Züge schneller?
Ronald Pofalla: Im ersten Lockdown 2020 waren nur 75 Prozent unserer Züge unterwegs. Die Reduzierung des Angebots hat sich in der Tat positiv auf die Pünktlichkeit ausgewirkt. Aktuell sind wieder genauso viele Züge auf den Schienen wie im Jahr 2019, und die Pünktlichkeit ist nach wie vor hoch. Das liegt auch daran, dass die Züge noch immer geringer besetzt sind und deswegen die Umsteigezeiten besser eingehalten werden. Auf die gute Pünktlichkeit zahlen aber vor allem die neuen Züge und ein besseres Baustellenmanagement ein.
Welches Pünktlichkeitsziel streben Sie an?
Pofalla: Ich gehe davon aus, dass wir trotz der Winterstürme in diesem Jahr – und sofern nicht noch größere Störungen eintreten – eine Pünktlichkeit von rund 80 Prozent erreichen.
Könnte man nicht die Pünktlichkeit insgesamt erhöhen, indem die Umsteigezeiten um einige Minuten verlängert werden?
Pofalla: Das wäre nicht sinnvoll. Die Fahrzeiten der Züge würden sich deutlich verlängern – sie müssten ja an jeder Station länger halten. Zudem haben wir vertaktete Verkehre mit Anschlusszügen, die man komplett umstellen müsste. Da käme alles durcheinander.
Der ICE hat zwischen Hamburg und Berlin sogar Flugverbindungen überflüssig gemacht. Auf welchen Strecken könnte dem Fliegen ein ähnliches Schicksal ereilen?
Pofalla: Überall, wo wir Hochgeschwindigkeits-ICE einsetzen und Städte unter vier Stunden miteinander verbinden, ist Bahnfahren eine echte Alternative zum Fliegen. Beispiel München–Berlin. Seitdem die Schnellstrecke existiert, haben wir viele Reisende gewonnen – etwa 30 Prozent der Fluggäste sind auf der Strecke auf die Bahn umgestiegen. Zwischen Berlin und Nürnberg – in drei Stunden per Bahn zu erreichen – wurde die Flugverbindung eingestellt. Je weiter wir die Hochgeschwindigkeitsstrecken ausbauen, desto mehr Flüge werden die Fluggesellschaften wohl in Deutschland einstellen. Mit der Luftverkehrswirtschaft haben wir das gemeinsame Ziel vereinbart, in den nächsten Jahren rund 20 Prozent der Passagiere von Inlandsflügen für den Umstieg auf die umweltfreundliche Bahn zu gewinnen. Dies muss aber freiwillig geschehen. Von Verboten halte ich nichts.
Wo soll das Netz noch ausgebaut werden?
Pofalla: Wir werden die Hochgeschwindigkeitsstrecken mittelfristig um 50 Prozent ausbauen – von jetzt 1000 auf dann 1500 Kilometer. Dort können unsere ICE mit 250 Stundenkilometern und mehr unterwegs sein. Das gilt unter anderem für die Strecken Stuttgart–Ulm, Frankfurt–Mannheim, Hannover–Hamburg oder Dresden–Prag.
Was bedeutet mittelfristig?
Pofalla: Eine präzise Zeitangabe ist leider nicht möglich. Jedes größere Infrastrukturprojekt, das wir planen, ist von Protesten und Einwänden begleitet. Einige Planfeststellungsverfahren dauern zwei bis drei Jahre, manche deutlich länger. Darüber beklage ich mich nicht, aber dieser Prozess macht zeitliche Ziele unberechenbar. Realistisch sind mindestens zehn bis zwölf Jahre.
Wie viele Milliarden müssen für den Ausbau jährlich ins Schienennetz investiert werden?
Pofalla: In den 2020er-Jahren investieren wir mehr als 170 Milliarden Euro in die Streckeninfrastruktur. 12,7 Milliarden Euro in diesem und knapp 13 Milliarden Euro im nächsten Jahr. So hoch war die Summe noch nie.
Dies ist zugleich ein Konjunkturprogramm für den Mittelstand?
Pofalla: Die Deutsche Bahn ist in der Corona-Zeit ein Konjunkturmotor der deutschen Wirtschaft. Allein zur Verschönerung der Bahnhöfe haben wir Aufträge über 160 Millionen Euro an Handwerksbetriebe vergeben, hauptsächlich mittelständische Unternehmen. Wir stellen darüber hinaus allein in diesem Jahr 3700 Mitarbeitende ein, um diese Summen verbauen zu können.
Bundesweit fehlen derzeit Rohstoffe wie Holz oder Stahl. Betrifft dies auch Projekte der Bahn?
Pofalla: Auch wir sehen Preisanstiege. Aber bei uns gibt es bisher kein Bauprojekt, das sich dadurch verzögert.
Auch Europa hat die Bahn entdeckt, um seine Klimaziele zu erreichen. Es gibt große Pläne für grenzüberschreitende Strecken nach Wien, Mailand oder Barcelona. Sind diese Pläne realistisch?
Pofalla: Die Nachfrage nach grenzüberschreitenden Angeboten wird wachsen. Deswegen bauen wir mit unseren Partnern die internationalen Angebote aus. Das ist nur konsequent: Wer die Klimawende will, muss die Verkehre aus der Luft und von der Straße auf die Schiene verlagern. Sonst lassen sich die CO2-Ziele des Verkehrssektors nicht erreichen. Die Deutsche Bahn befördert bereits 90 Prozent ihrer Reisenden und Güter unter elektrischer Oberleitung. Der Erneuerbare-Energie-Anteil der Bahn wird in diesem Jahr auf 62 Prozent steigen. Damit liegen wir weit über dem öffentlichen Grünstrommix von derzeit rund 50 Prozent.
Verbrauchen aber nicht ICE-Schnellzüge mehr Energie als langsamere Züge?
Pofalla: Schon, aber wenn der Mehrverbrauch klimaneutral erfolgt, ist dieser Punkt nicht entscheidend. Das Tempo der Züge ist der wesentliche Schlüssel, damit Menschen überhaupt auf die Schiene umsteigen. Lesen Sie auch: So umweltschädlich ist Fliegen wirklich
Wird auch der Deutschlandtakt helfen?
Pofalla: Der Deutschlandtakt wird die Menschen überzeugen. Man geht an einen Bahnhof und weiß, dass die ICE alle 30 Minuten fahren, so wie jetzt schon zwischen Hamburg und Berlin. Fernzüge bekommen dann S-Bahn-Charakter. In den nächsten zehn Jahren sollen mindestens 30 weitere Großstädte im Halbstundentakt miteinander verbunden werden. Ziel ist es, alle Fernverkehrshalte im Deutschlandtakt miteinander zu vernetzen.
Die Bundesregierung als ihr Eigentümer hatte das Ziel ausgegeben, dass die Bahn die Fahrgastzahlen und den Güterverkehr bis 2030 verdoppeln soll. Ist dies umsetzbar?
Pofalla: Wir planen, den Anteil des Güterverkehrs auf der Schiene von jetzt 18 auf 25 Prozent zu erhöhen und die Fahrgastzahlen im Fernverkehr auf 260 Millionen pro Jahr zu verdoppeln. In den 2020erJahren werden wir dafür mit dem Aus- und Neubau der Strecken die notwendigen Kapazitäten schaffen.
Wäre es angesichts der vielen Neubauten nicht sinnvoll, die Bahn als Konzern aufzuspalten – in Netz und Betrieb, wie es von der FDP, einigen Grünen und der Monopolkommission gefordert wird?
Pofalla: Ich bin für die Beibehaltung des integrierten Konzerns und definitiv gegen die Trennung von Netz und Betrieb. Die Deutsche Bahn kennt alle Besonderheiten des Nah-, Fern- und Güterverkehrs und kann diese zielgerichtet für den Ausbau des Netzes einsetzen. Dies ist auch im Sinne der Fahrgäste und aller Bahnen in Deutschland. Auch das als vorbildlich geltende Schweizer Eisenbahnsystem wird aus einer Hand geführt, die Franzosen haben ihre Spaltung jüngst wieder rückgängig gemacht. Alles spricht dafür, das System auch in Deutschland so zu belassen.
Surfen und Telefonieren im Zug bleibt auf vielen Strecken noch ein Ärgernis. Wann wird es besser?
Pofalla: Wir unternehmen schon jetzt alles technisch Machbare, damit der Empfang im Zug so gut wie möglich ist. Ohne Mobilfunknetz an der Strecke bringt aber auch die neueste Technik in den Zügen nichts. Die Mobilfunknetzbetreiber müssen die wichtigsten Schienenwege bis Ende 2022 mit schnellem Mobilfunk versorgen – das ist eine Auflage der Bundesnetzagentur. Für alle übrigen Strecken gilt das bis 2024. Wir unterstützen die Netzbetreiber, damit sie diese Ziele erreichen. Wir bieten zum Beispiel Kapazitäten in unseren Glasfaserkabeln an, um neue Mobilfunkmasten anzubinden. Innerhalb der nächsten sieben Jahre versorgen wir unser gesamtes Streckennetz von 33.000 Kilometern komplett mit Breitbandkabel. Damit helfen wir, die Wlan- und Telefoniequalität im Zug substanziell zu verbessern. Unser Ziel ist: Jeder soll künftig im Zug auf allen Strecken arbeiten und telefonieren können.