Hamburg. Sammeltaxi-Dienst hat große Pläne. Im Juni steht der Neustart an. Was später folgen soll, klingt geradezu revolutionär.
Dennis Urbanek entriegelt mit der App auf seinem Smartphone den gold-schwarz lackierten Moia-Bus mit der Nummer 373 auf der Windschutzscheibe, öffnet die Frontklappe und wirft einen Blick ins Innere. Er zupft ein vertrocknetes Buchenblatt aus dem Motorraum und achtet dabei penibel darauf, den Leitungen mit der orangefarbenen Isolierung nicht zu nahe zu kommen.
„Besser nicht anfassen, es fließen 400 Volt Strom durch“ – das ist ein eherner Sicherheitsgrundsatz, den jeder, der bei Moia arbeitet und mit den Fahrzeugen in Berührung kommt, sehr früh lernt. Urbanek hat ihn zutiefst verinnerlicht. Wie es sich gehört für einen Betriebshofleiter bei dem Fahrdienst, der hier in Hamburg-Stellingen Herr über mehr als 150 der Kleinbusse ist.
Noch herrscht bei Moia in Hamburg Corona-Ruhe
Die stehen gerade alle wieder komplett still, sind in Corona-Ruhe. Doch das wird sich bald ändern. Moia hat unlängst angekündigt, den Fahrdienst wieder aufzunehmen und zumindest einen Teil seiner Flotte zurück auf Hamburgs Straßen zu schicken. Jetzt werden die Kleinbusse und die Fahrer auf den Neustart vorbereitet. Am 1. Juni um kurz vor 5 Uhr morgens werden von den Moia-Betriebshöfen in Wandsbek, an der Horner Landstraße und in Stellingen bis zu 190 Wagen auf die Straßen gelenkt.
Nach den Plänen der Moia-Konzernmutter VW wird das in schon vier Jahren anders aussehen. Dann werden Moia-Fahrzeuge wie von Geisterhand gelenkt und ohne Zutun eines Fahrers in der Hansestadt unterwegs sein, als sogenannte Robotaxis. Denn in Hamburg will der Weltkonzern im Jahr 2025 in die Zukunft des Personentransports mit autonom fahrenden Fahrzeugen starten. So haben es die Nutzfahrzeugsparte von VW, die auf autonomes Fahren spezialisierte Software-Schmiede Argo AI und Moia angekündigt. „Hamburg wird als erste Stadt einen autonomen Ridepooling-Service mit einem ID. Buzz haben”, erklärte Robert Henrich, Geschäftsführer der Moia GmbH.
Ein VW Bulli, der rein elektrisch fährt
Damit ist auch klar: Neben den bei VW in Osnabrück gefertigten Transportern wird Moia dann auch die nächste Generation des VW Bulli einsetzen. Der trägt den Namen ID.Buzz, wird vollelektrisch angetrieben und soll im kommenden Jahr auf den Markt kommen. Zuerst in einer Version, die nur von einem Fahrer gelenkt werden kann. Im Hintergrund aber laufen längst die Vorbereitungen dafür, den Bulli für das autonome Fahren hochzurüsten. Noch in diesem Jahr soll nahe dem Münchner Flughafen eine Teststrecke in Betrieb gehen.
Die VW-Nutzfahrzeugsparte ist in dem Projekt für das Auto selbst zuständig. Argo AI, bei dem sich VW mit 40 Prozent der Anteile eingekauft hat, entwickelt die Software für die zahlreichen Kameras und Sensoren, die es am und im Wagen für das autonome Navigieren braucht. Moia schließlich bringt seine Erfahrungen ein, wie man bis zu sechs Passagiere mit unterschiedlichen Zielen möglichst schnell und effizient durch eine Stadt fährt. Das Gesetz, das autonomes Fahren in Deutschland ermöglichen wird, ist gerade auf der Zielgeraden.
Details gibt es auf dem ITS-Kongress
„Wir sind natürlich stolz darauf, dass Moia bei der Entwicklung des autonomen Fahrens ganz vorne mitspielt. Für uns ist es eine Art Ritterschlag“, sagt Jens-Michael May, der das operative Geschäft verantwortet und damit Chef von gut 800 Beschäftigten ist. Viele Details stehen vier Jahre vor dem geplanten Start noch gar nicht fest, manches wollen die beteiligten Unternehmen erst im Umfeld des für Herbst in Hamburg geplanten Welt-Mobilitätskongresses ITS bekanntgeben.
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Doch so viel ist schon bekannt: Geplant ist, dass die Elektro-Bullis auf dem „Level 4“ autonom fahren. Das bedeutet: Der Wagen kann tatsächlich vollständig allein navigieren. Moia aber wird trotz aller intelligenten Technik dennoch zunächst einen sogenannten Sicherheitsfahrer hinter das Steuer setzen, der eingreifen kann, wenn die künstliche Intelligenz an ihre Grenzen stößt. Zudem werden die autonomen Moias zunächst nur in einem bestimmten Teil der Stadt unterwegs sein. Wie dort die Straßen verlaufen, wo Ampeln stehen und wo potenzielle Gefahrenstellen sind, „weiß“ das Auto, weil man es seiner Steuerungs-Software beigebracht haben wird. Wo genau in Hamburg? Das gehört zu den gut gehüteten Geheimnissen.
Autonomes Fahren reduziert Kosten
Die langfristigen Ziele, für die es noch kein fest definiertes Datum gibt, gehen weiter: Eines Tages sollen die Fahrzeuge sich auch in unbekannter Umgebung autonom bewegen, ohne zur Gefahr zu werden. Und sie sollen es ohne Sicherheitsfahrer hinter dem Lenkrad tun können. Denn hinter all der faszinierenden Technik steckt langfristig das harte wirtschaftliche Ziel der Kostenreduzierung durch Personaleinsparung.
Das, betont Moia-Operations-Chef May, werde aber ein gut planbarer Prozess sein. „Ich bin überzeugt, dass es deshalb keine betriebsbedingten Kündigungen geben wird“, sagt er. Weil die autonomen Moias zunächst mit einem Sicherheitsfahrer unterwegs sein werden. Weil die ID.Buzz nicht auf einen Schlag, sondern Schritt für Schritt die jetzt genutzten Transporter erst ergänzen, dann ersetzen werden. „Wir werden lange mit einer Mischflotte aus beiden Typen unterwegs sein.“ Und weil es beim Fahrpersonal eine natürliche Fluktuation von zehn Prozent pro Jahr gebe, sei eine „sehr langfristige Personalstrategie“ möglich.
Fahrer sollen bei Moia zurückkehren
Während des zweiten Lockdowns, in dem Moia seine Kleinbusse kurz vor Weihnachten von den Straßen holte und nun nach mehr als fünf Monaten wieder dorthin zurückschickt, sei die Fluktuation gering gewesen. Nur „einige wenige Fahrer“ hätten das Unternehmen aus freien Stücken verlassen, sagt May. In Kurzarbeit waren alle. Moia stockte das Kurzarbeitergeld auf 80 Prozent auf. Nun sollen alle fest angestellten Fahrer zurückkehren, obwohl statt 330 zunächst bis zu 190 Sammeltaxis eingesetzt werden. Und alle Fahrer sollen vorerst 75 Prozent der vereinbarter Arbeitszeit tätig sein, werden für die restlichen 25 Prozent weiter Kurzarbeitergeld erhalten.
Auf dem neuen Betriebshof an der Kieler Straße haben die ersten Schulungen und Nachschulungen begonnen. Das Unternehmen hat die Corona-Pause, in der ein Teil der Moia-Busse und -Fahrer im Auftrag der Stadt zeitweise nachts im Bus- und Bahn-Ersatzverkehr eingesetzt wurden, für einen Umzug genutzt. Der Betriebshof Groß Borstel wurde nach Stellingen verlegt. Dort, wo bis vor einigen Monaten ein Elektronikmarkt Waschmaschinen und Geschirrspüler verkaufte, ist jetzt effizientere Ladetechnik installiert. Mitte der Woche hat ein Schwerlastkran den neuen 40 Tonnen schweren Trafo aufs Gelände gehievt.
Neustart für einen Moia in 30 Minuten
Jetzt machen Dennis Urbanek und seine Technik-Crew die mehr als 150 in Reih und Glied geparkten Moia-Busse fit für den Neustart. „Das dauert um die 30 Minuten pro Fahrzeug“, sagt der Betriebshofleiter. Obwohl manche der Busse in den vergangenen fünf Monaten nur einmal von Groß Borstel nach Stellingen gefahren wurden und einige der mit knapp zwei Jahren dienstältesten Modelle bereits mehr als 100.000 Kilometer auf dem Zähler stehen haben. Durchaus zeitaufwendig ist es dagegen, die neuen Viren-Schutzschilder zwischen Fahrersitz und Passagierraum zu installieren. Sie ersetzen die stark an einen Duschvorhang erinnernden transparenten Kunststoffbahnen, die zuvor die Ausbreitung der Aerosole im Fahrzeug eindämmen sollten. Komplizierter als der Einbau selbst war es aber gewesen, die notwendigen Genehmigungen einzuholen und Sicherheitsbedenken zu zerstreuen.
Und dann sind da noch die vertrockneten Blätter, die es da und dort schön vorsichtig aus dem Motorraum zu zupfen gilt. Für die Ingenieure und Techniker, die die Zukunft des autonomen Fahrens gestalten, sind Blätter auch ein Thema. Insbesondere feuchte Blätter. Was ist zu tun, wenn so ein feuchtes Blatt einen der so wichtigen Sensoren an einem fahrerlosen Auto erblinden lässt? Das gehört zu den noch nicht gelösten Problemen des autonomen Fahrens.