Hamburg. Berufstätige können den Service von 0 bis 6 Uhr trotz Ausgangssperre nutzen. Ein HVV-Ticket reicht.

Das nächste Ziel für Süleyman Hakli heißt Bahnhof Harburg. Vor zehn Minuten hat der Moia-Fahrer seinen ersten Fahrgast in dieser Nacht an der Elbchaussee abgeliefert. Der junge Mann kam von der Arbeit bei einem Paketdienst und war am Nagelsweg in der Nähe des Hauptbahnhofs eingestiegen.

Jetzt steuert der Fahrer das Moia durch den Elbtunnel. Es ist zehn vor eins. Auf der A 7 sind nur einige Lkw unterwegs. Autos: Fehlanzeige. Kein Wunder, in Hamburg gilt wegen Corona seit dem 2.  April eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr morgens. Nur wer mit dem Hund geht, Sport macht oder zur Arbeit fahren muss, durfte zuletzt das Haus verlassen.

HVV-Nachtbusse wurden eingestellt

Für diese berufstätigen Menschen stellt der Fahrservice Moia im Auftrag der Stadt noch bis zum 2. Mai den Nachtverkehr sicher. Denn die HVV-Nachtbusse wurden eingestellt, und U- und S-Bahn fahren nachts nicht mehr. Die VW-Tochter Moia, die ihre Dienste seit April 2019 in Hamburg anbietet, hatte ihr Angebot bedingt durch Corona seit dem 23. Dezember vorübergehend unterbrochen.

Lesen Sie auch:

Seit dem 7 . April fahren die auffälligen goldfarbenen Kleinbusse wieder täglich von 24 bis 6 Uhr. Die Kunden bestellen die Fahrzeuge über die App und erfahren dabei ihren Abholort. Die Fahrzeuge bringen die Kunden nicht von Tür zu Tür, sondern zu festen Haltepunkten.

Wer jetzt mit Moia durch die Nacht fahren möchte, der muss beim Einsteigen nur ein gültiges HVV-Ticket vorzeigen. Weitere Kosten entstehen nicht, den Fahrpreis rechnet die Stadt mit Moia ab. Und die Nachfrage ist groß: Nach Abendblatt-Informationen wurden seit dem 9. April – da hat der HVV den Nachtverkehr eingestellt – rund 17.300 Fahrten gebucht. 120 der Elektrofahrzeuge, insgesamt hat die Flotte rund 500 Wagen, sind momentan unterwegs. Natürlich gilt für die Fahrgäste eine Maskenpflicht, und es werden nur höchstens drei der sechs Sitzplätze belegt.

Unter den Fahrgästen sind offenbar nicht nur Berufstätige

Noch sitzt nur der Abendblatt-Reporter als einziger Passagier von Süleyman Hakli in dem Fahrzeug. Aber in wenigen Minuten, um 1.04 Uhr ist der Bahnhof Harburg erreicht. Und hier auf dem Busbahnhof stehen etwa 80 Menschen und schätzungsweise zehn Moias.

Die meisten der Wartenden arbeiten im Lager des Onlineversands Amazon in Winsen und sind jetzt mit dem Zug von dort nach Harburg gekommen. Weil die Nachtbusse nicht fahren, bestellen viele ein Moia.

Die aktuellen Corona-Fallzahlen aus ganz Norddeutschland:

  • Hamburg: 2311 neue Corona-Fälle (gesamt seit Pandemie-Beginn: 430.228), 465 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (davon auf Intensivstationen: 44), 2373 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1435,3 (Stand: Sonntag).
  • Schleswig-Holstein: 1362 Corona-Fälle (477.682), 623 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 39). 2263 Todesfälle (+5). Sieben-Tage-Wert: 1453,0; Hospitalisierungsinzidenz: 7,32 (Stand: Sonntag).
  • Niedersachsen: 12.208 neue Corona-Fälle (1.594.135), 168 Covid-19-Patienten auf Intensivstationen, 7952 Todesfälle (+2). Sieben-Tage-Wert: 1977,6; Hospitalisierungsinzidenz: 16,3 (Stand: Sonntag).
  • Mecklenburg-Vorpommern: 700 neue Corona-Fälle (381.843), 768 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 76), 1957 Todesfälle (+2), Sieben-Tage-Wert: 2366,5; Hospitalisierungsinzidenz: 11,9 (Stand: Sonntag).
  • Bremen: 1107 neue Corona-Fälle (145.481), 172 Covid-19-Patienten in Krankenhäusern (Intensiv: 14), 704 Todesfälle (+0). Sieben-Tage-Wert Stadt Bremen: 1422,6; Bremerhaven: 2146,1; Hospitalisierungsinzidenz (wegen Corona) Bremen: 3,88; Bremerhaven: 7,04 (Stand: Sonntag; Bremen gibt die Inzidenzen getrennt nach beiden Städten an).

So auch Eric und Maxwell. Sie kennen sich aus und zeigen Süleyman Hakli, der durch eine Plexiglasscheibe von dem Fahrgastraum getrennt ist, ihre HVV-Karten. Der Fahrer sieht auf seinem Display die Vornamen der Fahrgäste und begrüßt jeden herzlich. Es ist nicht zu übersehen, dass der 50-Jährige seinen Job liebt.

Die Straßen sind leer

Der gelernte Tankwart ist gerne mit Menschen in Kontakt: „Dieser Nachtverkehr ist sehr angenehm. Die Straßen sind leer, die Fahrgäste sind alle freundlich, und ich sitze gerne am Steuer.“ Währenddessen wartet auf Eric und Maxwell mehr als 20 Kilometer Fahrt in Richtung Billstedt. Sie machen es sich – der Mittelplatz bleibt frei – auf der Rückbank bequem. „Wir arbeiten in der Qualitätskontrolle bei Amazon. Unsere Schicht beginnt um 15 Uhr und endet um Mitternacht. Wir freuen uns natürlich, dass wir jetzt mit Moia fahren können, denn die Nachtbusse können wir ja nicht nutzen“, sagt Eric.

Die Moia-Elek­trofahrzeuge werden vor dem Start auf dem Betriebshof in Wandsbek aufgeladen und haben eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern.
Die Moia-Elek­trofahrzeuge werden vor dem Start auf dem Betriebshof in Wandsbek aufgeladen und haben eine Reichweite von mehr als 300 Kilometern. © Unbekannt | Andreas Laible

Und Maxwell ergänzt: „Nach der Arbeit ist man ziemlich kaputt, und das ist jetzt viel entspannter, als in Corona-Zeiten in einem überfüllten Bus zu stehen.“ Die beiden stammen aus Ghana und leben seit einigen Jahren in Hamburg. Die gut 20 Minuten Fahrt vergehen wie im Flug, und um um 1.26 Uhr steigt Maxwell an der Steinbeker Marktstraße aus. Ein paar Minuten später ist die Feiningerstraße erreicht. Eric verlässt das Moia und verschwindet in der Nacht.

An der Billstedter Hauptstraße steigt Sinan zu. Der junge Mann sieht nicht so aus, als wenn er zur Arbeit aufbricht. Sein Ziel ist nur gut drei Kilometer entfernt. Zwischendurch im Indus­triegebiet am Billbrookdeich kommt noch Ahmet an Bord. Wenige Minuten später ist die Fahrt von Sinan beendet.

Entspannter Weg nach Hause

Für Ahmet geht es weiter zur Neuen Gröningerstraße in der Altstadt. „Ich habe gerade meine Schicht beendet, habe von 17 Uhr bis 1.30 Uhr gearbeitet.“ Ahmet ist bei der Hochbahn-Tochter Tereg beschäftigt. Seine Aufgabe ist es, die Busse auf dem Betriebshof aufzutanken und innen zu säubern. „Ich freue mich, dass ich jetzt entspannt ohne umzusteigen nach Hause komme.“

Das Moia macht einen Zwischenstopp am Hauptbahnhof. Martin steigt zu. Wenige Minuten später hat Ahmet sein Ziel erreicht. Mit Martin geht es jetzt mehr als 17 Kilometer zum Marie-Henning-Weg in Neuallermöhe. Der junge Mann hat schon eine lange Strecke hinter sich, ist um 18 Uhr in Buchloe im Ostallgäu in den Zug gestiegen. Dort arbeitet er, jetzt ist Martin für einige Tage zu Hause in Hamburg. „Für mich ist das heute Premiere. Ich bin noch nie Moia gefahren.“

Abendblatt-Chefreporter Ulrich Gaßdorf im Moia. Er legte in dieser Nacht rund 160 Kilometer zurück und lernte viele freundliche Menschen kennen.
Abendblatt-Chefreporter Ulrich Gaßdorf im Moia. Er legte in dieser Nacht rund 160 Kilometer zurück und lernte viele freundliche Menschen kennen. © Unbekannt | Andreas Laible

Auch unterwegs in dieser Nacht ist Sabina. Sie steigt an der Straße An der Bergkoppel in Lohbrügge zu. Ihr Ziel: der Flughafen. Dort hat sie Nachtschicht. Wieder eine lange Strecke, gut 22 Kilometer. „Ich spare natürlich Zeit, wenn ich das Moia anstatt anderer öffentlicher Verkehrsmittel nutze“, sagt Sabina.

Er hat jetzt sogar Stammgäste

Der Hamburg Airport ist jetzt um 3.15 Uhr wie leer gefegt. Nur ein einsames Taxi ist zu sehen. Um halb vier steigt Ali am Tannenweg zu. Er verbindet sich gleich mit dem kostenlosen Internet im Moia, tippt auf seinem Handy herum, scheint Musik herunterzuladen. Sein Ziel ist die Straße Tarpen in Langenhorn.

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Ob er auf dem Weg zur Arbeit ist? Ali zuckt zusammen und sagt. „Ich brauchte WLAN.“ Eigentlich ist dieser Nachtverkehr wirklich nur für Menschen gedacht, die zur Arbeit müssen. Moia war ansonsten als günstige Alternative zum Taxi äußerst beliebt bei Partygängern, als es noch Partys gab. „Sonst fahre ich viele Jugendliche in der Nacht. Das ist jetzt ganz anders. Ich habe sogar Stammgäste. Einen Polizisten habe ich durch Zufall zwei Nächte hintereinander gefahren“, sagt Fahrer Muhammad Tariq.

Doch zurück zu den Menschen, die Moia für ihren Arbeitsweg brauchen. Am Maienweg in Alsterdorf steigt Bianca zu. Um 6 Uhr beginnt ihr Dienst in einem Senioren- und Pflegeheim in Osdorf. „Ich bin dankbar dafür, dass es dieses Angebot gibt. Je nachdem wie viele noch zusteigen, komme ich schneller und bequemer zur Arbeit. Ich brauche normalerweise eine Stunde.“ Bianca hat Glück. Nach 35 Minuten hat sie ihr Ziel erreicht.